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ProSiebens Vorerfahrungen mit erdigen Musikshows, die sich von der lange vorherrschenden Casting-Maschinerie mehr oder minder deutlich abgrenzen, sind zwiespätig: Habers Primetime-Projekt «Die Band» scheiterte im Juni vergangenen Jahres grandios und wurde schließlich im Morgenprogramm versendet, Rea selbst hingegen legte mit «Mein Song - Deine Chance» im November 2015 einen durchaus respektablen Erfolg hin - der allerdings auch durch «The Voice» im direkten Vorlauf erleichtert wurde, denn damals wagten sich ProSieben und der irische Star noch nicht ins Haifischbecken Primetime. Bei ihrer neuesten Kollaboration sieht das schon ganz anders aus. Und dieses Wagnis könnte dem Projekt schnell zum Verhängnis werden, wenn man die Beobachtungen der Premiere zu Rate zieht.
- © ProSieben / Andre Kowalski
Rea Garvey bringt mehr Musik ins deutsche Fernsehen und feiert einen Abend lang mit internationalen und nationalen Künstlern und Bands die Musik ...
Nur eine simple «Sing meinen Song»-Kopie?
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Andererseits wäre es aber auch ungerecht, der Sendung jegliche eigene Identität abzusprechen und sie als bloßen Klon zu brandmarken. Denn sie ist viel stärker als kleines, intimes Konzert für das Publikum aufgemacht, als dass sie auf eine über Wochen hinweg wachsende Chemie zwischen den einzelnen Acts abzielt. Der Cast ist mit insgesamt vier Personen (neben Rea noch Anna Loos, Joris und Ryan Tedder(!)) deutlich überschaubarer, dafür treten die Protagonisten aber deutlich häufiger auf und besingen sich nicht gegenseitig, sondern performen unter anderem ihre persönlichen Guilty Pleasures und Lieblingssongs. Zudem sind die Schnitte innerhalb der Aufzeichnung, sofern vorhanden, deutlich weniger evident - was einerseits ein noch stärkeres Live-Feeling bewirkt, es andererseits aber umso bedauerlicher macht, dass man nicht den Mut hatte, wirklich live auf Sendung zu gehen.
Darüber hinaus überrascht die starke Betonung selbstreferenzieller und humoresker Elemente. So startet die Show bereits mit einem Einspieler, in dem Garvey beinahe die gesamte Garde aktueller und ehemaliger Coaches von «The Voice» und «The Voice Kids» telefonisch abklappert, um irgendwen zur Teilnahme zu bewegen. Doch mit fadenscheinigen Argumenten erteilen sie ihm unisono eine Abfuhr, wie der Ire in die Kamera klagt - bevor ihn Klaas Heufer-Umlauf aus seiner Wehleidigkeit zieht und ihm mit Rat, Tat und Spott bei der Künstlerakquise zur Seite steht. So nimmt laut des augenzwinkernden Narrativs alles seinen Anfang und beschert ihm letztlich Newcomer Joris, "die Frau" Anna Loos sowie den Weltstar Ryan Tedder.
Guter Einstieg, aber dann?
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Da ist es sicherlich nicht hilfreich, dass nach dem hoffnungsvollen Joris-Auftritt am Sperrmüll-Schreibtisch kaum jemand mehr wirklich kreative Herangehensweisen an die bekannten Hits in petto hat und sie oftmals letztlich doch nur mehr oder minder nachgesungen werden. Vor allem bei Ryan Tedder langt eigentlich schon seine Bühnenpräsenz und Stimmgewalt, um die Auftritte dennoch zu tragen, doch bei Anna Loos gilt dies schon deutlich weniger und bei Joris schließlich ist man um jede Weinflasche froh, die seine tonalen Probleme insbesondere bei hohen Tönen einigermaßen in den Hintergrund rückt.
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Warum er dennoch ein Problem darstellen könnte? Nun, er kann nun einmal kein Deutsch, weshalb der Talk oftmals zwischen den Sprachen changiert, Tedder bei den deutschen Passagen seiner Kollegen oftmals etwas unbeholfene und ratlose Blicke in die Kamera wirft und ihm zumindest für den Zuschauer mit geringer Englisch-Kompetenz nur in Form von Untertiteln zu folgen ist. In einem Land, dessen Fernsehlandschaft noch immer auf Synchronsprecher und Simultan-Dolmetscher setzt und die Menschen somit davon entwöhnt, der englischen Sprache in Wort zu folgen, kann das durchaus ein Quoten-Hemmnis darstellen, da sich manch einer angestrengt fühlen dürfte.
Fazit: Vielleicht etwas zu nett geraten
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Und nehmen wir nun einmal an, dass statt Tedder in der zweiten Ausgabe... sagen wir Andreas Bourani mit Joris, Loos und Garvey über seine Lieblingssongs, seine Guilty Pleasures und seine Inspirationen spricht, ein paar Lieder nachträllert und man den ironischen Unterton bereits kennt. Will man das sehen? Vielleicht. Muss man das zwingend sehen? Nein, das sicherlich nicht und im Prinzip gilt diese Aussage auch schon für Folge eins, die noch mit ein paar Zusatzargumenten aufwarten konnte. Letztlich muss man sich also die Frage stellen, ob und in welcher Form dieses Konzept wirklich das Potenzial hat, mehr als zwei Stunden zur besten Sendezeit zu bestücken, gerade auch im Kontext des «Sing meinen Song»-Existenzfaktums.
Zunächst einmal gilt es, die Resonanz des Piloten abzuwarten. Die Twitter-Trends jedenfalls sprechen für Solidität ohne nationale Begeisterung: Während der Sendung platzierte man sich zeitweise an der Hashtag-Spitze, danach jedoch ging es recht fix deutlich bergab mit dem Diskussionsbedarf.
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