Gawker.com ist sicherlich eines der niederträchtigsten Outlets, das der Journalismus je hervorgebracht hat. Seit vielen Jahren ist es bekannt für seine Missachtung jedweder ethischer Standards bei seiner Berichterstattung über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, und operierte mit der berüchtigten Gawker Stalker Map, mit der im Zweifel in Echtzeit über Aufenthaltsorte von Prominenten berichtet wurde, sogar am Rande der Legalität, die das bekanntermaßen äußerst liberale amerikanische Presserecht so weit fasst, dass man dort mit lauteren Methoden kaum ankommen kann.
Gawker berichtet Unwahrheiten, mit besonderer, teils hämischer Freude auch über das Intimleben von Prominenten. Anwälte, die von «Us Weekly» und dem in den besseren Ausgaben hirnrissigen, in den schlechteren dem Wahnsinn nahen «National Enquirer» gestählt sind, waren von Anfang an entsetzt. Eine der Redakteurinnen der Plattform trat in einer Talk-Show mit einer solch penetranten Uneinsichtigkeit und strunzdummen Argumentation auf, dass sie sogar Jimmy Kimmel auf die Palme brachte. Kurz: Neben einem solch abstoßenden Geschäftsgebaren wirkt sogar die ebenfalls unsympathische TMZ-Klitsche wie ein seriöses Unternehmen.
Nun dürfte Gawker es jedoch zumindest bereuen, vor einigen Jahren den Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel als Homosexuellen geoutet und ein Sex Tape des Wrestlers Hulk Hogan veröffentlicht zu haben. Denn Thiel scheint sich daraufhin das Ziel gesetzt zu haben, Gawker aus dem Geschäft zu klagen. Wofür er bisher einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Zeit und seines Geldes aufgewendet hat. Unter anderem stellte er Hogan Kapital für einen Prozess gegen Gawker. Nicht aus Rache, sondern zur Abschreckung, wie Thiel betont.
Die Geschworenen haben Hogan nun eine Summe von 140 Millionen Dollar für Schadenersatz, Schmerzensgeld und Punitive Damages zuerkannt. Und auch wenn, was zu erwarten ist, dieses Verdict vom Richter oder der Berufungsinstanz bald kassiert werden wird: Der finanzielle Schaden für Gawker wird in jedem Fall enorm sein.
Doch obwohl nahezu alle seriösen Journalisten Amerikas die Geschäftspraktiken von Gawker klar ablehnen, stößt das Urteil gegen das Unternehmen nicht auf allzu laute Jubelschreie. Denn, wie die „Washington Post“ in diesem Beitrag ausführte, bedienten sich die Kläger im Gawker-Prozess derselben juristischen Figuren, mit denen Politiker und öffentliche Funktionäre mancher Südstaaten gegen die Berichterstattung über die weitverbreitete Polizeibrutalität und organisierte Rechtsbeugung bei der Desegregation in den 50er und 60er Jahre vorgehen wollten.
Eine besonders klare Stimme, die Gawker in seinem Prozess unterstützte, kam vom "Esquire"-Kolumnisten Stephen Marche in einem Artikel für die „New York Times“: Marche sieht in Gawker ein notwendiges Korrektiv für die (Einwurf dieses Autors: scheinbare?) Macht von Celebrities und bringt das sehr amerikanische Argument vor, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, Gawker überhaupt nur zu kritisieren, hätte das berüchtigte Sex Tape nicht Hulk Hogan, sondern einen Kongressabgeordneten abgebildet. Schon dieses Argument zeigt frappierende Unterschiede zwischen angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Vorstellungen von Öffentlichkeit und journalistischen Pflichten.
Aber nun zum Kernpunkt von Marche: Ist Gawker – dieses abstoßende Produkt aus der Unterschichtenpresse – trotz all seiner Verfehlungen und Bösartigkeiten ein relevantes Korrektiv, vielleicht sogar wichtig in einer Gesellschaft, in der ein Reality-Star wie Donald Trump in die Fußstapfen von Lincoln, Eisenhower und Reagan getreten ist?
Die angelsächsische Vorstellung von Öffentlichkeit und den Aufgaben der Presse sagt zähneknirschend mehrheitlich: ja. Trotz all der furchtbaren, teilweise gefährlichen Abfallprodukte, die Gawker dabei produziert und damit den Objekten seiner Berichterstattung einen nicht selten immensen unlauteren Schaden zufügt.
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