Filmfacts «Vor ihren Augen»
- Regie und Drehbuch: Billy Ray
- Produktion: Matt Jackson, Mark Johnson
- Drehbuch: Billy Ray
- Laufzeit: Chiwetel Ejiofor, Nicole Kidman, Julia Roberts, Dean Norris, Michael Kelly, Joe Cole, Alfred Molina
- Musik: Emilio Kauderer
- Kamera: Danny Moder
- Schnitt: Jim Page
- Laufzeit: 111 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Wie schon im Original springt der Plot zwischen zwei Zeitebenen hin- und her: 2002, nicht lange nach den Anschlägen vom 11. September, arbeiten FBI-Agent Ray Kastan (Chiwetel Ejiofor), seine Kollegin Jessica Cobb (Julia Roberts) und Staatsanwältin Claire Sloan (Nicole Kidman) in einer speziellen Task-Force, die sich mit der Terrorbekämpfung beschäftigt. Die USA befanden sich verständlicherweise zu dieser Zeit noch im Alarmzustand. Die Angst, dass Los Angeles das nächste Ziel eines Terroranschlages sein könnte, war groß. Zwar bleibt die Stadt der Engel vorerst von der Terrorgefahr verschont, allerdings soll die Arbeitsbeziehung und Freundschaft zwischen den drei Gesetzeshütern schnell zerbrechen: Als in einem Müllcontainer neben einer Moschee die Leiche von Carolyn Cobb (Zoe Graham), Jessicas Tochter, gefunden wird. Während sich Ray auf die Suche nach dem Täter macht, droht Jessica an dem gewaltsamen Tod ihrer Tochter zu zerbrechen. Rays Ermittlungen führen ihn zu einem Verdächtigen, der allerdings auch als wichtiger Informant im Anti-Terrorkampf fungiert, und daher unter Schutz steht. Erst 2015, also fast 13 Jahre später, kann Ray die Spur wieder aufnehmen.
Für Regisseur und Drehbuchautor Billy Ray sind die Verflechtungen von Mord, Todschlag, Korruption und Lügen kein neues Territorium: Als Regisseur des Journalisten-Dramas «Lüge und Wahrheit - Shattered Glass» mit Hayden Christensen und Peter Sarsgaard sowie des Spionage-Thrillers «Enttarnt - Verrat auf höchster Ebene» mit Chris Cooper und Ryan Phillipe verstand es der Filmemacher durchaus, spannende Verschwörungen mit komplexen Emotionen zu verbinden.
Leider schafft er es kaum, diese Instinkte und Fähigkeiten auf den vorliegenden Thriller anzuwenden oder diesem eine eigene Richtung zu geben, die sich von seinem Vorbild in irgendeiner bedeutsamen Weise abhebt. Letztendlich erzählt «Vor ihren Augen» von den gleichen Emotionen und politischen Verstrickungen, von denen auch «In ihren Augen» erzählt hat, auch wenn das Setting und der politische Kontext ein anderer sein mag. Einziger Vorteil scheint zu sein: Das englischsprachige Publikum muss keine Untertitel mehr lesen.
Die Zeitebenen vermischt der Regisseur teils mit Bedacht, teils aber auch willkürlich miteinander, so dass die Verwirrung beim Zuschauer garantiert ist und man Vergangenheit und Gegenwart nur anhand der grauen Haarsträhnen von Chiwetel Ejiofor unterscheiden kann. Es gibt durchaus einige, geringe Verbesserungen zum argentinischem Film: Der Protagonist versucht hier nicht ein Buch über einen längst vergangenen Fall zu schreiben, sondern nimmt eine alte Spur und damit die Ermittlungen wieder auf - insgesamt erlaubt dies Hauptdarsteller Ejiofor, aktiver am Plot beteiligt zu sein. Außerdem hat der zugrunde liegende Mordfall eine wesentlich persönlichere Komponente für die Hauptfigur und sorgt damit für zusätzliche Motivation, den Fall obsessiv weiter zu verfolgen, was es auch dem Publikum leichter macht, emotional involvierter zu sein.
Leider stolpert «Vor ihren Augen» aber auch über die Schwächen des Originals: So setzt das Drehbuch zu einigen Logiksprüngen an, denn z.B. einen unbekannten Verdächtigen und die damit sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen (oder in einem überfüllten Sportstadium) können auch nur Filmpolizisten finden. Nun wird jeder Film, der auf Herz und Nieren geprüft wird, den ein oder anderen Logikfehler aufweisen. Dennoch wirken solche erzählerischen Abkürzungen befremdlich in einem Politthriller bzw. Kriminaldrama, das so sehr um Plausibilität bemüht ist, selbst wenn sich die anschließende Verfolgungsjagd aufregend gestaltet. Der 9/11-Hintergrund ist quasi austauschbar und löst die gleichen Plot-Mechanismen aus wie der politische Kontext der argentinischen Diktatur im Original, ohne jemals eigene Ideen zu entwickeln und individuelle Story-Pfade zu betreten.
Die Darsteller können diese Mängel nur bedingt ausgleichen: Chiwitel Ejiofor schafft es auch hier komplexe Emotionen mit nur einen Blick auszudrücken. Julia Roberts stürzt sich lobenswert und mit voller Wucht in die Rolle der trauernden Mutter. Sie bricht beim Fund ihrer Filmtochter zunächst schreiend, zeternd und flehend zusammen und driftet im Laufe der Handlung in eine depressive Abwärtsspirale, während derer sie hagerer, blasser und dementsprechend älter wirkt als jemals zuvor. Neben diesen beiden extremen, gelegentlich aber auch forciert wirkenden Performances bleibt Nicole Kidman relativ zurückhaltend und blass. Eine stimmige Chemie will sich zwischen ihrer Figur und der von Ejiofor nicht aufbauen, so dass ihre Zuneigung zueinander emotional kaum nachvollziehbar ist.
Fazit: Für alle, die das Original gesehen haben, wirkt dieses Remake trotz Starbesetzung wie die Kopie einer Kopie, die zwar sehr ähnliche Storypfade betritt, emotional jedoch, trotz angestrengter Darstellerleistungen, kalt lässt.
«Vor ihren Augen» ist ab sofort in ausgewählten Kinos zu sehen.
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