Der Plan
Das ist eigentlich ein beachtenswerter Markt. Doch was machen die deutschen Fernsehstationen? Sie servieren den Fußballverweigerern Schrott. Haufenweise Schrott. Zumindest war es während der Weltmeisterschaft 2014 so (siehe Infobox). Natürlich erwarte ich keine aufwändige Liveshow der Marke «Schlag den Star» bei ProSieben oder eine namhafte Blockbuster-Free-TV-Premiere bei RTL. Aber ich verlange, dass die Fernsehsender nicht klein bei geben. Auch zu ihrem eigenen Wohl. Damit Menschen wie ich sich nicht an den Gedanken gewöhnen: „Oh, es findet ein Sportevent statt. Zeit, Netflix oder Amazon Video oder meinen Blu-ray-Player heiß laufen zu lassen.“
Was, aber wenn die Fernsehsender dazu gelernt haben. Was, wenn sie aufgehört haben, ihre Köpfe in den Sand zu stecken und den über 30 Prozent der Zuschauer, die sich nicht für Fußball begeistern können, nunmehr ernsthafte Alternativen zur Verfügung stellen? So gute Alternativen, dass vielleicht auch manch „notgedrungener“ Fußballzuschauer abwandern könnte? Um dies zu überprüfen, beginne ich beim zweiten EM-Spiel der deutschen Mannschaft meine Stichprobe. Von 21.30 Uhr bis 22.30 Uhr zappe ich durch den TV-Dschungel. So gebe ich den Sendern auch die Chance, ihr Halbzeit-Alternativprogramm vorzuführen. Das ja in der Theorie besonders attraktiv sein müsste, ist es doch eine tolle Gelegenheit, wankelmütige Konsumenten abzuwerben.
Der selbe alte Schrott
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Ein Stimmchen in meinem Hinterkopf meldet sich und sehnt sich nach friedfertiger, freundlicher Unterhaltung. Ich schalte zu Super RTL weiter. Denn ich habe vergessen, dass auch dieser Kanal am Donnerstag planmäßig auf eine verwandte Programmfarbe setzt: In «Papa gesucht - Wer heiratet meine Familie» sehe ich erwachsene Menschen, die sich unbequem durch soziale Interaktionen quälen. Und das vor urdeutschem, piefig-spießigem Wohnungsmief. Nein, danke. Nicht, dass ich bei Sat.1 Gold besser bedient wäre, denn dort leben die Scripted-Reality-Ermittler «Niedrig und Kuhnt» in Wiederholungen weiter, und bei Sport1 werde ich alter Auto-Ignorant mit «Die PS-Profis - mehr Power aus dem Pott» konfrontiert, wo mir aufgeregte Tüftler erklären wollen, wie toll diese und jene Schraubereien an ihren Karren wären. Ein Auto ist ein Auto ist ein Fortbewegungsmittel, murmle ich desinteressiert und fliehe von den kleinen Privaten zurück zu den Vollprogrammen.
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Genervt und wahllos drücke ich auf meiner Fernbedienung herum. Oh. EinsPlus. Öffentlich-rechtliches Qualitätsfernsehen mit Anspruch erwartet mich nun, oder? Und dann noch schön nieschig und nicht so staubig-rentnertauglich … Ich kann mich nur für wenige Sekundenbruchteile freuen. Denn zappelige Schönmenschen wollen mir gerade im „So stellt sich die ARD wohl vor, wie man das YouTuber-Kernpublikum anspricht“-Stil erklären, welche Beauty-Tipps Jungs fesch aussehen lassen. «Du bist Style!», heißt der Spaß. Nun, ich hab Style, danke schön. Und der befiehlt mir, wegzuschalten.
Die spannenderen Alternativen
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Bis dahin suche ich nach weiteren Bespaßungsmöglichkeiten während meiner Stunde Fernsehwahnsinn – und bemerke, dass sixx tatsächlich eine Premiere ausstrahlt: Eine neue Folge «Jane the Virgin». Das muss ich mir notieren, damit ich bloß nicht vorschnell urteile, die TV-Sender würden vor der EM kuschen. Gut, der einstige The-CW-Überraschungshit ist bei sixx kein großer Wurf und kann daher „versendet“ werden. Dennoch: Hut ab, sixx, liebe Senderin. Du könntest auch einfach einen Rerun ausstrahlen. Und auch arte zeigt frische Ware: Die gefeierte dänische Serie «Die Erbschaft». Selbst wenn ich den Einstieg verpasst habe, vergeht mein Umschaltimpuls sofort: Innerhalb weniger Minuten lerne ich die markanten Figuren kennen, versuche, durch ihre komplexen Beziehungen untereinander durchzusteigen und zu begreifen, was sie alle antreibt. Die Darsteller sind super, der Look edel. Spitze. Der Anfang wird in der Mediathek nachgeholt, ab kommender Woche nehme ich mir vor, die neuen Folgen „live“ zu schauen.
Und schon ist es 22.30 Uhr. Mein Experiment ist beendet – und ich darf sagen: Okay. So dumm stellen sich die deutschen Sender nicht an. Sie könnten sich zweifelsfrei besser schlagen – aber zu großen Teilen ist an der miesen Programmauswahl nicht die EM schuld, weil einfach derselbe Müll läuft wie sonst immer. Kleine, sündige Vergnügen wie «Step Up: Miami Heat» und lobenswerte Erstausstrahlungen lassen sich aber auch finden. Das versöhnt mich. Und jetzt werfe ich die DVD zu «Brick» ein. Weil es Rian Johnsons High-School-Film-noir mit Joseph Gordon-Levitt hierzulande nicht als Blu-ray zu kaufen gibt und ich somit mit dem älteren Medium vorlieb nehmen muss. Niedrige Auflösung zum Trotz: Der Ruhe vor meinem Fenster entnehme ich, dass mich mehr Spannung erwartet als das Fußball-Publikum.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
17.06.2016 01:12 Uhr 1
17.06.2016 01:54 Uhr 2
Bei ARD, Phoenix, 3Sat, ZDF-Neo oder ZDF-Info hätte ich z.B. locker zwei bis drei Alternativen gefunden.
Allerdings gehöre ich ja zur Mehrheit, die die Fußball-EM schauen.
17.06.2016 02:16 Uhr 3
Gestern liefen immerhin 2 einigermassen gute Filme auf K1.
17.06.2016 13:04 Uhr 4