Die Kritiker

«Umweg nach Hause»

von

«Ant-Man»-Hauptdarsteller Paul Rudd, Popstar Selena Gomez und Indie-Darling Craig Roberts kurven in diesem Netflix-Film humorvoll, aber wenig einfallsreich durch die USA.

Cast & Crew

  • Regie: Rob Burnett
  • Produktion: Rob Burnett, Donna Gigliotti, James Spies
  • Drehbuch: Rob Burnett, basierend auf dem Roman «The Revised Fundamentals of Caregiving» von Jonathan Evison
  • Darsteller: Paul Rudd, Craig Roberts, Selena Gomez, Megan Ferguson, Jennifer Ehle, Frederick Weller, Bobby Cannavale, Julia Denton
  • Musik: Ryan Miller
  • Kamera: Giles Nuttgens
  • Schnitt: Christopher Passig
Seit rund einem Jahr mischt Netflix nicht nur im Serien- und Dokumentarfilmgeschäft mit, sondern vertreibt auch eigene Filme – und stellt sich in diesem Bereich bereits so auf, wie es auch viele große US-Studios vormachen: Auf der einen Hand gibt es bereits Netflix-Filme, die spezifisch für den Video-on-Demand-Anbieter in Auftrag gegeben wurden und bei denen Netflix-Programmchef Ted Sarandos sogar als Produzent mitwirkte – Adam Sandlers Rohrkrepierer «The Do-Over» beispielsweise. Doch Netflix hat auch Exklusivinhalte anzubieten, die nicht spezifisch für den VoD-Dienst entstanden sind.

Genauso, wie viele Filmverleiher neben ihren Eigen- und Auftragsproduktionen auch bereits fertiggestellte, unabhängige Produktionen vertreiben, nimmt auch Netflix Filme in sein Portfolio auf, die zunächst ohne Vertriebspartner verwirklicht wurden. Was innerhalb des Mediengeschäfts noch immer laute Reaktionen hervorruft: Als auf dem diesjährigen, prestigeträchtigen Sundance Film Festival einen kostspieligen Deal einging, um sich die Indie-Tragikomödie «Umweg nach Hause» als Exklusivinhalt zu sichern, war das Echo seitens der US-Branchenpresse groß. Und das aus gleich zweifachem Grund: Einerseits, weil Fox Searchlight, The Weinstein Company und die anderen großen Kinolabels, die während Sundance ihr Portfolio aufstocken, nun einen wirtschaftlich stark aufgestellten Konkurrenten in etwaigen Bieterkriegen zu beachten haben. Zweitens, weil sich einige US-Kritiker die Häme nicht haben verkneifen können: Nachdem der anspruchsvolle «Beasts of No Nation» nicht die von Netflix erhoffte Welle bei den Branchenpreisverleihungen geschlagen hat, habe das Unternehmen offenbar resigniert, und kauft sich nun erstmal ein Archiv an reiner Berieselungsware zusammen …

Basierend auf einem US-Bestseller von Jonathan Evison erzählt «Umweg nach Hause» die Geschichte zweier Männer, die auf ihre eigene Art und Weise paralysiert sind – der eine emotional, der andere körperlich: Gelegenheitsschriftsteller Ben Benjamin («Ant-Man» höchstpersönlich: Paul Rudd) befindet sich in einer biografischen Sackgasse. Seit langer Zeit geht er seiner Frau aus dem Weg, um nicht die Scheidungspapiere unterschreiben zu müssen, ihm wollen partout keine guten Buchideen mehr einfallen und da er ein traumatisches Ereignis nicht verarbeiten konnte, stapft er eher apathisch durch seinen Alltag. Hoffnung, seinem Leben wieder einen Sinn zu geben, verleiht ihm nur die Aussicht, als Pfleger zu arbeiten.

Doch sein erster Schützling, der an den Rollstuhl gefesselte Trevor («Submarine»-Hauptdarsteller Craig Roberts), ist ein anstrengender Sonderfall: Der Heranwachsende ist mürrisch, hat einen derben Sinn für Humor und hat sich an eine passive Alltagsroutine gewöhnt. Er hat nicht einmal verquere Lebenswünsche: Zwar stellt er eine US-Karte zusammen, auf der allerlei kuriose Sehenswürdigkeiten verzeichnet sind (die größte Kuh, das größte Kuchenstück, die tiefste von Menschen geschaffene Grube ...), allerdings hat Trevor keinerlei Interesse, diese Orte zu besuchen. Genervt von Trevors Lebensplanung, die noch eintöniger ist als seine eigene, drängt Ben den schwarzhumorigen Scherzkeks trotzdem zu einem Roadtrip quer durch die Staaten …

Regisseur, Autor und Produzent Rob Burnett (einst ausführender Produzent der «Late Show with David Letterman») vermag es nicht, in seiner zweiten Regiearbeit aus der Fließband-Wohlfühlvorlage eine erfrischende Filmhandlung zu formen. Die ersten 20 Filmminuten reichen aus, um den letzten Akt bis ins kleinste Detail vorherzusagen, selbst wenn Burnett die Hintergründe von Ben Benjamins Bedrücktheit lange im Verborgenen hält. Und auch unter Berücksichtigung des „Der Weg ist das Ziel“-Mantras ist «Umweg nach Hause» kein Film, der im umfangreichen Genre der inspirierenden Dramödien besonders heraussticht, da es den Figuren an denkwürdigen Charakteristika mangelt: Trevor ist ein widerborstiger Heranwachsender, Ben ein orientierungsloser Mann, dessen Kreativität durch unverarbeitete Trauer gehemmt wird. Und … das war es. Im Laufe seiner US-Reise trifft das Duo zudem zwei weitere Abziehbilder von Figuren: Die „vorlaute, aber gut meinende“ 21-Jährige Dot (Selena Gomez) und eine „verpeilte Anhalterin“ (Megan Ferguson).

Dass «Umweg nach Hause» dennoch 90 recht amüsante Filmminuten bietet, ist der Verdienst der beiden Hauptdarsteller, die sich großartig die Bälle zuspielen und so aus dem neckischen Geplänkel zwischen ihren Figuren das Optimum rausholen. Zwar gibt Roberts nicht gerade die ambitionierteste Darbietung seiner Karriere (man nehme Trevor den Rollstuhl weg und er wäre einfach nur ein launischer Bube), doch sein komödiantisches Timing ist makellos. Zudem gelingt es Roberts, mit seiner Rolle genau die Balance zwischen Quälgeist und Charmebolzen zu halten. Paul Rudd derweil vermag es trotz des mageren Materials, sowohl den Kummer seiner Figur spürbar zu machen, als auch plausibel den Sprung zu machen, die ihm sehr gut zu Gesicht stehenden Späße abzuliefern.

Gomez hingegen bewies zwar unter anderem in «Spring Breakers», dass sie fähig ist, gut zu schauspielern, wirkt hier allerdings verloren und liefert ihre Textzeilen sehr flach ab, so als hätte sie sie gerade erst auswendig gelernt. Sobald Dots und Trevors Flirterei in den Fokus des Films rückt, und Paul Rudds Rolle ins Hintertreffen gerät, verliert «Umweg nach Hause» daher viel seines Humorfaktors. Quirlig genug ist diese Liebelei dennoch geschrieben, so dass der von Giles Nuttgens («Water») kompetent gefilmte, mit schönen Landschaftsaufnahmen ausgestattete US-Trip wenigstens nicht völlig an Reiz verliert. Dennoch sind die Reaktionen der US-Kritiker nachvollziehbar: «Umweg nach Hause» ist nicht die Art Film, für die sich zwingend ein Kinobesuch anbietet. Als nachmittägliche Berieselung, die man quasi gratis zum bereits bezahlten Netflix-Abo dazu bekommt, hat dieser Neunzigminüter dank Rudd und Roberts jedoch seine unaufgeregte, wenig originelle, aber sympathische Daseinsberechtigung.

Fazit: «Umweg nach Hause» ist eine sympathische, aber uninspirierte Wohlfühl-Tragikomödie, die nahezu allein mit ihren Hauptdarstellern punktet.

«Umweg nach Hause» ist ab dem 24. Juni 2016 bei Netflix abrufbar.

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