First Look

«Lady Dynamite» sprengt die Grenzen der Serie

von

Die Comedyserie «Lady Dynamite» ist mit nichts bisher Gezeigtem vergleichbar, auch wenn der Humor der Netflix-Produktion nur wenig zu einem grandiosen Urteil beiträgt.

Cast & Crew

  • Autoren: Mitch Hurwitz, Pam Brady
  • Executive Producers: Mitch Hurwitz, Pam Brady, Maria Bamford
  • Cast: Maria Bamford, Fred Melamed, Mary Kay Place, Ana Gasteyer, Lennon Parham, Bridget Everett
  • Gaststars: Patton Oswalt, Jon Cryer, Judd Apatow, James Corden, Seth Meyers
  • Musik: David Schwartz
  • Produktion: The Hurwitz Company, Wounded Poodle, Netflix
Im Jahr 2006 sitzt Maria Bamford in einem spartanisch eingerichteten Zimmer. Zwischen der in die Jahre gekommenen Möblierung, der grauen Wand und einer Dekoration, die man eigentlich nur von großelterlichen Häusern kennt, wirkt die Komikerin mit ihrer ekstatischen Stimme ziemlich deplatziert. „It’s the Maria Bamford Show!“, ruft sie in die einzige Kamera, begleitet von Schnitten im drei-Sekunden-Takt. Es ist eine Zero-Budget Webserie, in der die Schauspielerin sämtliche Rollen selbst spielt. Die Handlung: eine gewisse Maria Bamford erlitt einen psychischen Zusammenbruch, der ihre Stand-Up-Karriere lahmlegte. Sie verschwand, zog später jedoch zurück ins elterliche Haus in Duluth, Minnesota.

Hierzulande ist Maria Bamford kaum bekannt. Die 45-jährige US-Amerikanerin ist Stand-Up-Komikerin und Schauspielerin, wurde in Kalifornien geboren und wuchs in Duluth (Minnesota) auf – dieser Ort dürfte dem geneigten «Fargo»-Fan geläufig sein. Bekannt ist Maria Bamford vor allem aufgrund ihrer selbstironischen, wenngleich schonungslosen Witzen über ihre dysfunktionale Familie und eigene psychische Krankheiten. Bei ihr selbst wurde eine bipolare Persönlichkeitsstörung festgestellt – etwas, das sie in ihren Stand-Up-Programmen aufgreift und verarbeitet. So ist Bamfords Webserie, die später als „wahnsinnig innovativ“ bezeichnet werden sollte, durchaus als autobiographisches Werk anzusehen.

Die Lebensgeschichte von Maria Bamford?


Zehn Jahre später: Netflix veröffentlicht eine Comedyserie mit dem mysteriösen Namen «Lady Dynamite», in der Maria Bamford wieder sich selbst spielt und quasi nahtlos an ihre eigens produzierte Serie aus dem Jahr 2006 anknüpft. Doch dieses Mal steht ein großes Budget zur Verfügung – und dank Netflix sämtliche künstlerische Freiheiten. «Lady Dynamite» bewegt sich inhaltlich nicht weit weg von der „Maria Bamford Show“ und basiert wiederum lose auf dem Leben der Komikerin. In der neuen Serie erlitt Maria einen psychischen Zusammenbruch, begab sich deswegen in Behandlung und kehrte anschließend in das elterliche Haus nach Duluth zurück. Nun versucht Maria, langsam wieder Fuß zu fassen in der unglaublich umkämpften und belastenden Welt des harten Showbusiness in Los Angeles, die sie einst in den mentalen Einsturz getrieben hat.

Auch wenn Maria Bamford behauptet, dass die Single-Camera Serie nur sehr lose auf ihrem Leben basiere, so sind die Parallelen unbestreitbar. Denn im Jahr 2011 erlitt die Komikerin selbst einen psychischen Zusammenbruch und musste sich wieder ins normale Leben zurückkämpfen. „Viele Menschen gestalten ihre Ziele nach jeglicher Art von Krise neu. Sie merken ‘Oh, meine bisherherigen Ambitionen entsprechen vielleicht nicht dem, was mich wirklich glücklich macht‘.“ So sehr sich Real-Maria und Fiction-Maria diesbezüglich auch ähneln, andere Charakterzüge wurden in «Lady Dynamite» deutlich übertrieben – so wie es die Serie in vielerlei Hinsicht tut. „Ich bin viel ängstlicher als der Charakter. Und ich habe deutlich mehr Energie in der Serie. Wenn es irgendetwas gäbe, das ich ergänzen würde, dann wären es Szenen, in denen ich schlafe.“ Ihr Kollege Fred Melamed, der in der Serie die Rolle ihres Agenten Bruce Ben-Bacharach übernimmt, ergänzt: „Obwohl Maria sehr verletzlich ist, ist sie gleichzeitig auch äußerst stark.“

Mit nichts bisher Gezeigtem vergleichbar


Die Show ist experimentell. Wir haben es mit drei verschiedenen Zeitebenen zu tun, die wir nicht unbedingt miteinander verknüpfen, sodass «Lady Dynamite» aus erzählerischer Sicht herausfordernd ist. Ich denke nicht, dass es die Serie hätte irgendwo anders als bei Netflix geben können.
Autorin Pam Brady
«Lady Dynamite» ist somit keine Sitcom im klassischen Sinne, in denen die Gags im Sekundentakt abgefeuert werden. Vielmehr reiht sie sich in die Tradition solcher Komiker, die ihr eigenes Leben sowie ihre seelischen Abgründe lose filmisch und humoristisch aufzuarbeiten – man denke an «Curb Your Enthusiasm» oder «Pastewka». Doch an dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten mit solchen Produktionen bereits auf. Denn die von Mitch Hurwitz («Arrested Development» und Pam Brady («South Park») geschriebene Comedyserie ist in ihrer Art mit nichts bisher Gezeigtem vergleichbar. „Die Menschen werden in 50 Jahren über «Lady Dynamite» reden“, resümierte Guardian-Redakteur Stuart Heritage. Was hat ihn zu dieser Aussage getrieben?

Spence erklärt die Serienwelt


Die Serie ist in weiten Teilen ziemlich experimentell. Nur zu gerne durchbrechen die Macher die vierte Wand und heben Szenen und Dialoge auf eine oder auch mehrere Metaebenen. Ein Beispiel: die Pilotfolge beginnt mit Maria als Protagonisten einer bizarren Werbung für Haarprodukte, durchbrochen von der Realität, die ihren Tagtraum beendet. „Maria, das ist keine Haar-Werbung. Das ist deine Show.“ Daraufhin schaut sie direkt in die Kamera und spricht zum Zuschauer: “I’m a 45-year-old woman who’s clearly sun-damaged! My skin is getting softer, yet my bones are jutting out, so I’m half-soft, half-sharp!”

So springt «Lady Dynamite» von einer surrealen Situation in die nächste – streckenweise weiß der Zuschauer nicht, was nun Realität, Fiktion oder Metaebene ist. Zwischendurch erklärt Gaststar Patton Oswalt (Spence in «King of Queens») beispielsweise, dass man dem Publikum auch verschiedene Zeitebenen zumuten kann, sofern die Übergänge nicht allzu holprig sind. Unmittelbar danach macht «Lady Dynamite» diesen Fehler und geht damit selbstironisch mit sich selbst ins Gericht. Gerade in den ersten Folgen verschwimmen die Grenzen zwischen der Realität und der Produktion in der Produktion – sehr verwirrend, wenngleich hervorragend umgesetzt.

„Eine Anspielung auf Maria Bamford. Ich habe sie auf Netflix gesehen.“


Drei verschiedenen Zeitebenen repräsentieren Marias eigene Geschichte und ihr jeweils vorherrschender psychischer Zustand. Die extrem bunte und ekstatische Vergangenheit, als ihre Karriere auf dem Höhepunkt war. Die in Grau- und Blautönen gehaltene Zeit nach dem Zusammenbruch in ihrem Elternhaus. Und die Gegenwart, in der Maria vorsichtig wieder in ihr Leben zurückkehrt und gelernt hat, mit ihrer bipolaren Störung umzugehen. Dabei macht Maria Bamford das, was sie in ihren Stand-Ups schon lange verfolgt: der Brandmarkung psychischer Krankheiten als Schwäche entgegenwirken.

Es war meine eigene Entscheidung, keine Autorin der Serie zu sein. Ich habe hierzu nicht die nötigen Fähigkeiten und bin nicht hartnäckig genug. Ich habe den Autoren gesagt: ‘Macht, was ihr wollt. Das ist eure Serie! Träumt euren eigenen kleinen Traum!‘
Maria Bamford
„Es gab eine Geschichte, die ich gerne in Form einer Serie erzählen wollte: die meines Zusammenbruchs 2011. Das wäre für mich bedeutungsvoll.“ Den Machern gelingt es mit einer großen Portion Humor, das Stigma psychischer Störungen zu bekämpfen – auch dank einer authentischen und toll aufgelegten Maria Bamford. Nicht umsonst stellt ein afrikanischer Rebellenkämpfer in einer grandiosen Meta-Szene fest: „[Dieses T-Shirt] ist eine Anspielung auf die Komikerin Maria Bamford. Ich habe sie auf Netflix gesehen. Sie arbeitet wirklich hart daran, psychische Krankheiten zu entstigmatisieren.“

Doch auch die Nebencharaktere überzeugen fast durch die Bank weg, wenngleich sie ziemlich eindimensional gezeichnet sind – eine Zuspitzung typischer Hollywood-Figuren. Vor allem die Auftritte von Agentin Karen Grisham sind jedes Mal ein absolutes Highlight. Das liegt in erster Linie an der wunderbaren Ana Gasteyer («Die Goldbergs», «Suburgatory»), die selbst über die Rolle sagt: „Sie ist die unflätigste, schamloseste Frau in der ganzen Welt; verabscheuungswürdig und jenseits jeglicher Moral. Was beim Spielen einfach nur unglaublich Spaß macht.“

Warum empfiehlt man eine Comedyserie, die man nicht lustig findet?


Und obwohl der Humor in «Lady Dynamite» eine enorme Bandbreite besitzt, von Furzwitzen bis tiefschwarzem Humor ist alles dabei, so ist die Comedyserie nicht für ein Massenpublikum geeignet. Die Bewertungen zeigen zwar auch eine Zuneigung seitens der Zuschauer, doch vor allem bei den Kritikern ist die Serie mit Maria Bamford ein Hit. So fällt es mir als Kritiker nicht gerade einfach, eine Comedyserie zu empfehlen, bei der man recht selten lacht. Vielmehr lächelt man in zahllosen Aha-Momenten, in denen das Konzept der Serie aufgeht. Aufgrund hervorragender erzählerischer Entwürfe, zahlloser Metaebenen und einer starken Produktion hat «Lady Dynamite» die Anerkennung definitiv verdient. Und so ist es durchaus möglich, dass man in 50 Jahren noch von dieser Serie sprechen wird – zumindest in Kritikerkreisen.

Das bewegte Leben der Maria Bamford hat in merkwürdiger fiktionaler Form endlich seinen Weg in die Wohnzimmer gefunden. Vor zehn Jahren stelle Maria Bamford in ihrer Webserie noch resignierend fest: „Ich war eine wenig erfolgreiche Komikerin, die 14 Jahre lang Stand-Up in Los Angeles machte, aber nie ihre eigene Sitcom bekommen hat.“ So können sich die Zeiten ändern.

Die erste Staffel «Lady Dynamite» ist bei Netflix abrufbar. Die 12 Episoden umfassen jeweils 30 Minuten.

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