Sagen Sie in der «akte»-Redaktion mal die Worte Grill- oder Gartenscheren-Test und schauen Sie, was passiert. Möglich, dass die Leute aufspringen und sich unter ihren Schreibtischen verstecken. Es war eine harte Zeit, die die Mitarbeiter der Sat.1-Traditionssendung in Berlin mitmachen mussten. Grob seit 2013 verlor die Informationssendung mit Ulrich Meyer mehr und mehr an Relevanz – so lange, bis man dieses Wort mit „R“ wohl bei der Produktionsfirma META selbst nicht mehr kannte. Oder anders gesagt: Die Probleme lagen schlicht anderswo und übertrugen sich somit auf das Sat.1-Format. In welchem Schlamassel die zur Endemol-Gruppe gehörende Produktionsfirma in dieser Zeit steckte und welche Nackenschläge sie zu verdauen hatte, ist hinlänglich bekannt. Große Teile der Führungsriege mussten nach Interimslösungen erstmal neu besetzt werden – und auch abseits der Chefsessel galt es sich neu aufzustellen.
Dienstags aber wurde weitergesendet – und zwar so unbeirrt, dass man Gefahr lief, die «akte» förmlich zu massakrieren. Seinen negativen Höhepunkt fand alles zum «akte»-Jubiläum, als man sich Joko & Klaas mit ins Studio holte und irgendwas versuchte, was zwischen Kasperei und ernsthaftem Rückblick auf viel bessere vergangene Zeiten anzusiedeln ist. Kein Wunder, dass die Spatzen bei diesen Leistungen mehr als deutlich eine Einstellung von den Dächern riefen. Als es wohl wirklich fünf vor zwölf war, installierte Endemol-Chef Marcus Wolter mit Matthias Pfeffer einen neuen META-Chef, der durch Jobs bei Focus TV für jahrelange Magazin-Erfahrung verfügte und der wiederrum holte einige Monate später mit Christian Betz einen alten Weggefährten als kreativen Kopf für Entwicklung und Weiterentwicklung ins Haus. Das ist jetzt drei Monate her.
Die «akte» hatte sich schon in den Wochen vor der Betz-Installation verändert. Man versuchte, das zurückzuholen, was längst verloren war: Die Relevanz. Das ging vielleicht auf Kosten der grenzenlosen Wiederverwertbarkeit der produzierten Beiträge in «Frühstücksfernsehen»-«Abenteuer Leben»-«Service Akte»-«taff»-„nenne ein sonstiges Magazin der ProSiebenSat.1-Gruppe“, schärfte aber das Profil der Sat.1-Traditionssendung. Das setzte zunächst einmal jede Menge Überzeugungsarbeit voraus. So ist zu hören, dass an manchen Stellen im Sender die Meinung vorherrschte, ein Magazin brauche gar nicht zwingend ein Alleinstellungsmerkmal. Letztlich aber gab es bei der im Quotental versunkenen «akte» nicht mehr viel zu verlieren und auch der damals noch frische Sat.1-Chef Kaspar Pflüger wünschte sich eine Stärkung der Dienstags-Primetime. Unter seiner Führung soll nun auch um 20.15 Uhr, dem klassischen Sat.1-FilmFilm-Sendeplatz wieder mehr frische Ware entstehen. Das ist grundsätzlich auch gut für Ulrich Meyers «akte».
Zurück aber zu Matthias Pfeffer, der zunächst erwartbare Entscheidungen traf. Zunächst einmal kam der Claim „Reporter kämpfen für Sie“ weg, denn das passierte, wie Quotenmeter schon Ende 2015 anmerkte, längst nicht mehr. Die Beiträge wurden länger, beim Durchzappen wähnte man sich teilweise eher in Formen wie «Focus TV Reportage» und Co. Der Part von Ulrich Meyer hingegen als Moderator ist, sorry!, eigentlich verzichtbar geworden. Meyer gibt der Sender halt noch das bekannte Gesicht. Thematisch wandelt «akte» aktuell auf einem Pfad zwischen guter Vergangenheit und der Neuzeit: Jüngst ging es um Pfusch bei der Fahrradreperatur genauso wie um Tattoo-Pfusch oder die Frage, ob man für unter 1000 Euro ein echtes Traumauto bekommen kann. Ergänzt wurde dieses Themenfeld aber auch durch wirklich gute Stücke wie über Crystal Meth, Organspenden oder „Doc Holiday“.
Bis zum vergangenen Dienstag, als die positive Entwicklung, die die Sendung zuletzt genommen hatte, auch für Jedermann sichtbar wurde. Als „Special“ ausgewiesen machte die «akte» quasi ein «Aktenzeichen XY» im Privatfernsehen. Ein spannendes Unterfangen: Erstens war für den Tag danach eine «Aktenzeichen»-Spezialsendung zum Thema „Wo ist mein Kind?“ im Zweiten angekündigt, zweitens leistet sich Sat.1 seit einigen Wochen am Vorabend eine eigene Fahndungssendung. Eine gute Zeit also, um auf den Zug aufzuspringen?
Inhaltlich gesehen: Ja! Die «akte» überzeugte mit den stärksten Geschichten seit langer Zeit – und erhielt somit endgültig ist einst verloren gegangene Relevanz zurück. Wäre da nicht eine Crux. Die gesunkene Qualität hat zahlreiche einstige «akte»-Stammzuschauer verprellt – eine Wiederholung im Vorprogramm tat ihr Übriges dazu bei. Mal ganz abgesehen von der Frage, ob der Audience Flow zwischen «FC Venus – 11 Pärchen müsst ihr sein» und einer investigativen Sendung stimmen kann, waren 8,6 Prozent für den Film-Re-Run kein wirklicher Antrieb. Dass die «akte» dann auf 8,3 Prozent kam, ist nicht als Sieg zu werten. Immerhin: Im laufenden Jahr bewegt man sich im Schnitt eher bei 7,5 Prozent.
Erst zwei Sendungen in 2016 schafften den Sprung in die Zweistelligkeit. Gegenüber 2015 verliert die Sendung somit weitere 0,4 Prozentpunkte bei den wichtigen Umworbenen. Der Vollständigkeit halber muss aber gesagt werden, dass in die Gesamtbetrachtung von 2015 auch die nach «Promi Big Brother» stark nachgefragten Ausgaben mit einbezogen sind, die es 2016 noch nicht gab. Trotzdem: Ein positiver Trend bei den Quoten ist noch nicht abzusehen – 2016 droht also das schwächste «akte»-Jahr überhaupt zu werden. Das muss man nicht dramatischer formulieren als es ist. Ein Versuch wie der der vergangenen Woche wird aber vermutlich nicht reichen, den Karren aus dem sprichwörtlichen Dreck zu ziehen. Eine starke Sendung wird die jahrelange thematische Flaute nicht wettmachen können.
Jetzt kommt der Spruch mit der Zeit und der Geduld und die Antwort, dass es sowas im deutschen Fernsehen bekanntlich nicht mehr so oft gibt. Da der grundsätzliche Weg aber stimmt, wäre es eigentlich verdient, wenn die Sendung ihn noch weitergehen dürfte. Irgendwann aber wird man sich zusammensetzen müssen und vermutlich nur zur Übereinkunft einer Fortsetzung des Produktionsvertrags kommen, wenn die Quoten wieder steigen.
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