Die Kino-Kritiker

«Frühstück bei Monsieur Henri»

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Eine unbedarfte junge Französin mietet sich bei einem unzufriedenen alten Witwer ein. Sie gibt ihm etwas von ihrer Leichtigkeit ab, er öffnet ihr die Augen fürs Wesentliche. Das sind die Zutaten, durch die «Frühstück bei Monsieur Henri» überraschenderweise weniger klischeehaft daherkommt, als es die Thematik anmuten lässt.

«Frühstück bei Monsieur Henri»

  • Kinostart: 21. Juli 2016
  • Genre: Komödie
  • FSK: o.A.
  • Laufzeit: 98 Min.
  • Kamera: Vincent Mathias
  • Musik: Laurent Aknin
  • Buch und Regie: Ivan Calbérac
  • Darsteller: Claude Brasseur, Guillaume de Tonquedec, Noémie Schmidt, Frédérique Bel, Thomas Solivéres, Valérie Kéruzoré
  • OT: L'étudiante et Monsieur Henri (FR 2015)
Es ist noch gar nicht lange her, da äußerten wir uns an dieser Stelle zum Status Quo des französischen Wohlfühlkinos, da folgt auf dem Fuß schon der nächste Genrevertreter der locker-leichten Tragikomödie unserer französischen Nachbarn. Auch die Geschichte von «Frühstück mit Monsieur Henri» folgt einer in diesem Segment bekannten Formel; in diesem Fall geht es um zwei Außenseiter, die aller Widerstände zum Trotz irgendwann zueinander finden werden und einander einen Teil ihrer kleinen Welt zeigen. Doch allein schon die Tatsachen, dass Regisseur und Drehbuchautor Ivan Calbérec («Irène») weder auf Biegen und Brechen ein Happy End fokussiert, noch darum bemüht ist, die Figuren aller Spleens zum Trotz mit einer Grundsympathie auszustatten (auch mit fortschreitender Spieldauer ist der mürrische Henri in Bezug auf seine Launen eine tickende Zeitbombe), zeugen davon, dass «Frühstück bei Monsieur Henri» mehr kann, als seinem Publikum die herkömmliche Portion tragikomischer Unterhaltung zu bieten. Die Geschichte über eine Zweck-Gemeinschaft aus verarmter Studentin und reichem Witwer folgt in gewissen Momenten einer vorhersehbaren Dramaturgie, geht allerdings konsequenter und damit lebensechter mit Figuren und Handlungsverlauf ins Gericht, als es viele andere Filme dieses Schlages tun.

Sturer Greis trifft unbedarfte Studentin


Monsieur Henri (Claude Brasseur) ist ein mürrischer alter Herr und stolz darauf. Er lebt allein mit einer Schildkröte in einer viel zu großen Pariser Altbauwohnung und ärgert sich – über die Ehefrau seines Sohnes, die jungen Leute von heute oder was sonst so anfällt. Doch weil Henris Gesundheit letzthin etwas nachgelassen hat, beschließt sein Sohn Paul (Guillaume de Tonqedec), dass es Zeit wird für eine Mitbewohnerin. Mit der chronisch abgebrannten Studentin Constance (Noémie Schmidt) kommt ihm eine junge Dame ins Haus, die all das hat, was Henri auf den Tod nicht leiden kann, die seine Pantoffeln klaut und unerlaubt das Klavier benutzt. Weil sich Constance die Miete eigentlich nicht leisten kann, bietet Henri ihr ein skurriles Geschäft an: Wenn sie es schafft, seinem Sohn Paul so lange schöne Augen zu machen, bis der seine Ehefrau verlässt, ist die Miete umsonst. Mehr übel als wohl willigt Constance ein. So stolpert der ahnungslose Paul in seinen zweiten Frühling und Constance in eine schrecklich nette Familie, die dank Monsieur Henri heillos im Chaos versinkt.

Obwohl auch Ivan Calbérec den Gedanken verfolgt, Gegensätze erst aufeinander prallen zu lassen, um dann den vom jeweils anderen geprägten Wandel ins Positive zu fokussieren, ist die Charakterzeichnung beider Hauptfiguren von Anfang an so klar, dass es nicht konstruiert erscheint, wenn Henri immerhin ein wenig auftaut und Constance mit der Zeit mehr und mehr in sich und ihre Stärken zu vertrauen lernt. Dadurch wirken derartige charakterliche Entwicklungen nie der Dramaturgie geschuldet; wenn Henri mit der Zeit seine Sympathien für Constance äußert, ändert das nichts an einer generell unterkühlten Attitüde, mit der seine Figur ausgestattet ist. Hier geht es nicht darum, einander um 180 Grad zu drehen, sondern darum, welche Lektion sich aus einer vollkommen gegensätzlichen Lebensart des jeweils Anderen auch für einen selbst mitnehmen lässt. Eine richtige Freundschaft wird aus der Zweckgemeinschaft daher nie, stattdessen stehen so wichtige Empfindungen wie Respekt und Anerkennung im Fokus. Durch dieses emotionale Grundgerüst fühlt sich «Frühstück bei Monsieur Henri» echter und lebensnaher an, als so manch anderer Vertreter des französischen Feelgood-Kinos. Hinzu kommt ein Schlussakt, der sich gar ein wenig weg von der altbewährten, französischen Gemütlichkeit bewegt und damit einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Die Geschichte selbst leidet etwas unter einem recht vollgepackten Skript, in welchem Ivan Calbérec Komik und Tragik unter einen Hut zu bringen versucht. Die Handlung um Henris Sohn Paul hat für einen reinen Comedy-Plot zu wenig Biss. Darüber hinaus erfährt das Publikum nur wenig über ihn und seine von Henri gehasste Ehefrau Valérie (Frédérique Bel), sodass es sich nicht immer ganz nachvollziehen lässt, weshalb der Witwer solch schwere Geschütze auffährt, um Sohn und Schwiegertochter auseinander zu treiben. Als Storymotor funktioniert die Idee dafür ganz ausgezeichnet; aus der Idee, Constance mit Paul anbandeln zu lassen, entstehen allerhand Kuriositäten, durch deren genaue Beobachtung Calbérec amüsante Szenen kreiert. So ist es äußerst lustig anzusehen, wie Constance den ihr mittlerweile verfallenen Verehrer Paul abzuschütteln versucht. Auch die Szenen mit der äußerst karikaturesk gezeichneten Valérie sind treffsicher inszeniert.

Weniger lustig denn vielmehr melancholisch


Charme, der über das kurzweilige Amüsement hinausgeht, entwickelt «Frühstück bei Monsieur Henri» jedoch hauptsächlich über die Interaktion zwischen Henri und Constance. Wirkt es zu Beginn noch arg vorhersehbar, wenn die Studentin entgegen das Verbot ihres Vermieters auf dessen Klavier spielt (und natürlich erwischt und dafür zur Rechenschaft gezogen wird), sorgt ihre immer wieder eingestreute Herkunftsgeschichte dafür, dass sich ein facettenreiches Bild von ihrer Figur machen lässt. Ihre unbedarfte Attitüde ergibt sich aus dem gesellschaftlichen Druck, dem sie in ihrer strengen Familie unterliegt; insofern ist ihre lockere Art, mit Henri umzugehen, als rebellierender Ausgleich absolut authentisch. Gleichsam erfährt man auch von Henri nach und nach, wo die zurückhaltend-mürrische Art des Rentners herrührt. Das ist nicht nur für den Zuschauer wichtig, auch die Figuren im Film erfahren so stückchenweise etwas über die Vergangenheit ihres Gegenübers, lernen, wie man einander nehmen muss, um nicht aneinander zu geraten, aber auch, dass man Auseinandersetzungen nicht scheuen braucht, um miteinander auszukommen. Hätten sich andere Regisseure wohl darauf gestürzt, Henri von Constance zu einem gesellschaftsfähigen alten Herrn machen zu lassen, darf der Henri in diesem Film ein mürrischer Witwer bleiben. Sympathien sammelt er mit der Zeit trotzdem. Schließlich zeigt Constance uns, dass sich von der harten Schale eines Menschen Niemand abschrecken lassen sollte, auch wenn er den weichen Kern darin vielleicht niemals zu Gesicht bekommt.

Fazit


«Frühstück bei Monsieur Henri» ist nicht so lustig, wie es die Prämisse verspricht, geht aber vor allem deshalb zu Herzen, weil Regisseur Ivan Calbérec auf allzu seichte Handlungsentwicklungen verzichtet und er seinen Figuren Schwächen zugesteht, für die in anderen Filmen kein Platz ist.

«Frühstück bei Monsieur Henri» ist ab dem 21. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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