Vergleichbare und ergänzende Artikel
„Das ist doch alles Studio-Bias! Kritiker sind alle doofe Marvel-Fans!“
Ach. Wirklich? Dieselbe Zunft, der ihr stets andichtet, eine Spaßallergie zu haben und nur langweiligen Arthouse-Kram und deprimierende Dramen zu mögen … Die soll nun aus Fahnen schwingenden Marvel-Fanboys bestehen? Was kommt als nächstes, behauptet ihr, Kritiker seien alles unentwegt Chickenburger futternde Veganer? Leute. Manche Kritiker müssen sich bei jedem Film neu daran erinnern, welches Studio welches ist, und nun sollen sie aus Prinzip eines bevorzugen? Und dann ausgerechnet das, das für die spaßigeren Filme steht – wobei Kritiker doch angeblich bedeutungsschwangeren, langweiligen Kunstkram bevorzugen? Müssten Kritiker dann nicht «Batman v Superman: Dawn of Justice» über den grünen Klee loben, statt Filme der Marvel Studios?
Bestechung? Das ich nicht lache!
„Ja, dann, dann … Ihr seid doch alle geschmiert!“, stammelt nun sicher irgendein einsames Kellerkind, nach einem neuen Strohhalm in seinem Kritikerhass greifend. Nun, für den Fall, dass sich diese mediale Entwicklung noch nicht herumgesprochen haben sollte: Hallo. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Das geschriebene Wort stirbt. Während Seiten wie Rottentomatoes geschriebene Kritiken sammeln, sind es Podcastler und YouTuber, denen da draußen mehr und mehr Bedeutung zugewiesen wird. YouTuber sind Promis, nicht Bob McSchreiberling. Und nun sollen Studios also Millionen von Dollar ausgeben, um eine gesamte, im wirtschaftlichen Abschwung befindliche US-Branche gegen einen Film der Konkurrenz aufzubringen? Hollywood wirft zwar gerne Mal Geld aus dem Fenster, aber so doof ist die Traumfabrik auch wieder nicht …
Memo an die Welt: Kaum jemand schreibt Verrisse aus böser Absicht!
Ich will ehrlich sein. Und daher kann ich nicht den gesamten Berufsstand des Filmkritikers von Sünde freisprechen. Natürlich gibt es Kollegen, bei denen ich den üblen Verdacht habe, dass sie manche Filme aus Prinzip niedermachen. Weil Unterhaltungsfilme ohne Botschaft ungeheuerlich seien. Ihnen ein hohes Maß an Gewalt übel aufstößt. Oder weil Frauen in ihrer Weltordnung nicht Regie führen dürften. Aber, Überraschung: Ein paar üble Beispiele gibt es in jedem Beruf. Um aber für die überwältigende Mehrheit zu sprechen: Denkt ihr wirklich, wir haben mehr davon, einen üblen Verriss zu schreiben als wir von einer positiven Kritik haben?
Überschlagen wir mal: Schreiben wir eine positive Kritik, so stehen wir auf der sicheren Seite. Für eine positive Besprechung wird man nur in absoluten Ausnahmefällen gehasst – etwa, wenn es sich um den neuen «Ghostbusters» handelt. Dann kommen traurige, untervögelte Männlein angerannt und kotzen ihren Hass auf die Welt an dir aus. Aber sonst? Vor Filmstart freut sich das Internet über deine positive Kritik und nachdem der Film gesehen wurde, schütteln dann vielleicht ein paar Leute ungläubig ihren Kopf. Bei einer negativen Kritik dagegen? So eine missfällt Leuten. Denn sie wollen nicht, dass ein Film, auf den sie sich freuen, schwach abschneidet. Insbesondere bei Franchisefilmen ist Hass da vorprogrammiert. Pöbelkommentare stehen zu erwarten, in den USA vielleicht sogar gepaart mit Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen, in Deutschland meist nur mit „Ich lehs nie wieder daine Criticen!“-Versprechen. Und da ich aus Erfahrung sagen kann, dass Verrisse nicht besser klicken als Lobeshymnen, darf ich fragen: Denkt ihr also wirklich, wir setzen uns dem aus Jux und Dollerei aus?
Rottentomatoes hat ein anderes Verständnis von „schlecht“ als einige Kritiker (und als viele Fans)
Wenn jeder zweite Kritiker einem Film attestiert, unterer Durchschnitt zu sein, gilt diese Produktion als „rotten“, also als „schlecht“. Da ist es irrelevant, wenn die andere Hälfte der Kritiker ihn für durchschnittlich hält oder gar lautstark feiert. Wenn ein Fan einen Film unbedingt im Kino sehen will, ganz gleich wie die Vorabpresse und die Qualität der Trailer ausfällt, wird er diesen als „schlecht“ bezeichnen, wenn er knapp daran scheitert, in seinem Jahresranking die obere Hälfte zu knacken? Wohl kaum. Eher wird ihm ein zögerliches „naja, okay …“ entfleuchen. Glückwunsch, liebe Leute. Wärt ihr Kritiker, hättet ihr in diesem Moment eine Kritik verfasst, die als „rotten“ gilt.
Wir schreiben Kritiken nicht nur für Fans!
Hallo, liebe überambitionierte Teilmasse des Internets. Schön, dass wir eure Aufmerksamkeit haben. Wusstet ihr, dass ihr nicht allein auf der Welt seid? Ja, Tatsache … Natürlich schreiben wir Kritiken auch für Fans eines Genres, einer Vorlage, eines Regisseurs oder eines Darstellers. Und zumindest die Fans, die verstehen, dass man ein Stück Filmkunst aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann, sollten damit klarkommen, wenn wir sozusagen Vorkoster spielen oder einen ersten Analyseansatz mitgeben. Denn wofür sonst wollt ihr Fans unsere Artikel? Die Frage „Gehe ich rein oder nicht?“ beantwortet ihr doch eh mit „Natürlich gehe ich rein!“ Aber wisst ihr, wer auch Kritiken liest? Menschen, die keinen Pro-Bias gegenüber dem Genre haben. Oder dem Regisseur. Oder, oder, oder … Also lesen auch Leute die «Suicide Squad»-Kritiken, die nicht automatisch jeden Superheldenfilm interessant finden und sich gerade Mal von ein paar glühenden Genrebeispielen locken lassen. Sollen wir die über den Jordan schicken und fortan jede Comicadaption zum geilsten Scheiß aller Zeiten erheben?!
Wisst ihr, was total legitim ist? In Meinungen reinschnuppern, Filme gucken, selber denken, abgleichen!
Wir leben in einer Demokratie. In einer vergleichsweise freien Welt. Niemand verbietet es euch, einen negativ besprochenen Film im Kino zu gucken! Informiert euch ruhig vorab, so viel ihr wollt, ihr könnt danach dennoch ins Lichtspielhaus gehen. Und dort könnt ihr eure eigene Meinung bilden. Dann könnt ihr entscheiden, wie ihr damit umgeht. Entweder seid ihr erwachsen, akzeptiert andere Sichtweisen und gleicht vielleicht ab „Hm, wo kommt diese Meinung her, worauf gründet diese und jene?“ Oder ihr bleibt Internetpöbel, der jeden hasst und für korrupt hält, der anders denkt. Niemand kann euch das wegnehmen. Leider.
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