Die glorreichen 6

Die glorreichen 6: Eine filmische Weltreise (Teil VI)

von

Sommerzeit, Reisezeit. Wir stellen sechs Filmmärkte anhand je eines Beispielfilms vor. Heute: «Die Jagd» aus Dänemark.

Der Filmmarkt


Filmfacts: «Die Jagd»

  • Regie: Thomas Vinterberg
  • Drehbuch: Tobias Lindholm, Thomas Vinterberg
  • Darsteller: Mats Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Annika Wedderkopp, Lasse Fogelstrøm, Susse Wold, Anne Louise Hassing, Alexandra Rapaport
  • Musik: Nikolaj Egelund
  • Kamera: Charlotte Bruus Christensen
  • Schnitt: Janus Billeskov Jansen, Anne Østerud
  • Herkunftsland: Dänemark/Schweden
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Nominiert für den Golden Globe sowie den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film
In den letzten Jahren hat sich das dänische Kino hauptsächlich als Hauptlieferant für düster-pessimistische Krimikost bewiesen. Der Grund dafür liegt schon in der Geschichte des Kinos unserer nordischen Nachbarn begründet; seit dem frühen 19. Jahrhundert gehören Themen wie Religion und Moral, Schicksalsschläge, Mord und Sexualität zu den Hauptinhalten des dänischen Kinos. Ein Blick auf die bekanntesten Regisseure des Landes besätigt das: Lars von Trier, Susanne Bier, Nicholas Winding Refn oder eben auch Thomas Vinterberg bauen alle auf einen inszenatorischen Realismus und düstere Nuancen innerhalb ihrer Werke, sodass sich der dänische Film bei aller Schwere gut im Ausland vermarkten lässt. Auch auf internationalen Filmfestivals ist das dänische Kino oft vertreten.

Uneinigkeit besteht ob des Einflusses von Seiten des dänischen Filminstituts, das die Produktion dänischer Filme immer noch fast vollständig kontrolliert. Ein Teil der Regisseure fühlt sich von dieser Kontrolle eingeschränkt, der andere nimmt die Vorzüge der Geldzuschüsse gern in Anspruch. Gerade die für ihre extravaganten Werke bekannten Regisseure wie etwa Lars von Trier «Nymph()maniac» versuchen, sich bei ihrer Arbeit unabhängig zu machen und bringen die Produktionskosten für ihre Werke lieber auf andere Weise auf.

Die Handlung


Lucas (Mads Mikkelsen) ist gerade frisch geschieden und wohnt wieder in seinem Heimatdorf in Dänemark. Seit Jahren pflegt er einen ausgewogenen Kontakt zur Dorfgemeinschaft und wird von allen Seiten als Mitmensch und ortsansässiger Kindergärtner geschätzt. Zu Klara (Annika Wedderkopp), der Tochter seines besten Freundes Theo (Thomas Bo Larsen), pflegt er einen freundschaftlichen Kontakt. Sie darf hin und wieder seinen Hund ausführen und ab und an gehen beide gemeinsam den Weg zum Kindergarten. Als die Kleine für Lucas zu schwärmen beginnt, wird dieser vorsichtiger im Umgang mit ihr, provoziert dadurch jedoch genau das Gegenteil: Aus Frust darüber, dass Lucas ihr selbstgebasteltes Herz nicht annehmen wollte, behauptet Klara, von ihm sexuell genötigt worden zu sein. Für die Dorfgemeinde gibt es keine Gründe, dies zu hinterfragen. In ihren Augen ist Lucas ein Kinderschänder, den es aus dem Dorf zu vertreiben gilt.



Die 6 glorreichen Aspekte von «Die Jagd»


Schon die beständige Aktualität lässt sich dem von Thomas Vinterberg inszenierten Sozialdrama «Die Jagd» nicht absprechen, man denke nur an den erst kürzlich zum wiederholten Male aufgerollten Vermisstenfall "Peggy". Die Frage nach Schuld und Sühne ist in der Gesellschaft immer wieder aufs Neue ein spannendes Thema, dem im Falle von «Jagten» – so der dänische Originaltitel – eine höchst emotionale und dabei leicht zugängliche Verarbeitung zuteil wird. Die sensible Geschichte um den Kindergärtner Lucas, dem von einem Tag auf den anderen, durch eine unbedarfte Lüge eines kleinen Mädchens, sein Platz in der Gesellschaft abgesprochen wird, erzählt leise, dafür von umso brachialerer Härte aus dem Leben eines jenen, für den die Schuldfrage – auch ohne Verurteilung – längst gesprochen ist.

Der einstige «Bond»-Bösewicht Mads Mikkelsen liefert dabei eine emotionale und von stetigen seelischen Schwankungen unterworfene One-Man-Show ab, die ihresgleichen sucht. Das von immenser Intensität geprägte Spiel des gebürtigen Dänen entfaltet sich dabei nicht nur in den hochdramatischen Momenten, die den auffälligen Mimen in emotionalen Extremsituationen zeigen. Bereits zu Beginn, als die Welt für Lucas noch heile ist und er lediglich mit den Nachwirkungen einer schwierigen Scheidung zu kämpfen, wird Mikkelnsens Lucas zum perfekten Sympathieträger und aufgrund seiner Bodenhaftung und seines an den Tag gelegten Realismus zu einer idealen Identifikationsfigur. Er spielt den “Typ von nebenan” ohne jedwede Attitüde, nutzt jedoch die Stärken des von Tobias Lindholm und Thomas Vinterberg verfassten Skripts, die seiner Rolle allerhand verschiedene Charakterzüge mit auf den Weg geben und macht Lucas dadurch zu einer zwar durch und durch sympathischen, jedoch immer wieder äußerst kantigen und in manchen Situationen sogar unbequemen Figur. So mutet er zwar stets korrekt an und ist im Umgang mit seinen Mitmenschen höflich und zurückhaltend. Gleichzeitig wirken seine emotionalen Ausbrüche, wie etwa der Rausschmiss seiner neuen Lebensgefährtin, als diese den leisesten Zweifel an Lucas’ Unschuld hegt, oder die aufkommende Wut über die von seinen Nachbarn begangene Lynchjustiz an seinem Hund, jederzeit realitätsnah und nachvollziehbar.

Immer wieder gelingt es Vinterberg, mit den üblichen Pro- und Antagonisten-Schemen zu brechen und bringt das Publikum dadurch in eine unangenehme Bedrängnis: Früher oder später muss es sich zwangsläufig für eine Seite entscheiden, weshalb «Die Jagd» zu einem Film wird, dem es unmöglich ist, das Publikum kalt zu lassen. Bis zum Schluss hält Vinterberg eine allgegenwärtige Spannung aufrecht, die ihren Höhepunkt in einem erneuten Zusammentreffen zwischen Lucas und Klara findet. Die kleine Annika Wedderkopp, die die kleine Klara mit beachtlicher Stärke verkörpert, liefert hier ein beeindruckendes Spielfilm-Debüt ab und schafft es, sämtliche Szenerien an sich zu reißen. Ihr gelingt es hervorragend, der Figur schon in so jungen Jahren eine innerliche Zerrissenheit anzueignen und mimt glaubhaft, wie sich ein Mädchen in exakt so einer Situation fühlen muss, wie Klara es tut. Dabei geht es ihr gänzlich ab, vom Publikum als “Auslöser” des ganzen Trauerspiels aufgenommen zu werden. Gleichzeitig lässt das Drehbuch sie einen absolut glaubhaften, inneren Wandel vom unbedarften, kleinen Mädchen zur Erkenntnis, etwas Falsches gemacht zu haben, durchlaufen, was sie von manch anderen Jungdarstellern abhebt. Sie steht ihren erwachsenen Kollegen in Nichts nach und ist die ideale Besetzung dieser zwar mit wenig Screentime gesegneten, aber enorm wichigen Rolle.

Immer wieder sind es die leisen Momente, in denen «Die Jagd» seine Stärken voll und ganz ausspielt. Thomas Vinterberg gelingt mit einem klaren Blick für Details eine Sozialstudie, die auch den abgebrühtesten Kinogänger und Cineasten nicht kaltlassen kann. Wenn etwa Anne Louise Hassing («Eine Familie») als Klaras Mutter Agnes von einem gegen Lucas gerichteten Wutausbruch in sich zusammensackt und mit Tränen in den Augen ihre Tochter in den Arm nimmt und so tut, als sei alles in Ordnung, ist dies ebenso aufwühlend wie die teils äußerst rabiaten, körperlichen Attacken gegenüber Lucas oder auch dessen Sohn Marcus (Eine Entdeckung: Lasse Fogelstrøm). Der Regisseur bietet dem Publikum eine emotionale Achterbahnfahrt. Dabei muss es sich erst an den rauen und so gar nicht Hollywood-typischen Look gewöhnen, der zeitweise eher an ein öffentlich-rechtliches Fernsehdrama erinnert und jegliche Formen von Hochglanz vermissen lässt. Der leicht bräunliche Farbfilter taucht «Die Jagd» dabei stets in einen verwaschenen Herbst-Look und untermalt dadurch die bisweilen als Leitthema dienenden Szenen einer echten Wildjagd – die dann auch für den bitteren, finalen Schlussakt zuständig sind. Dass dieser erst folgt, nachdem zwischen den Hauptereignissen und dem Finale ein Zeitsprung von rund einem Jahr stattfindet, wird schließlich zum einzigen Wehrmutstropfen, den «Die Jagd» zu bieten hat. Denn so lässt Vinterberg die wohl wichtigste Phase zwischen Erkenntnis und Vergebung schlicht nicht stattfinden.

«Die Jagd» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich und zudem via Amazon, iTunes, Videobuster, Videoload, Videociety, XboX Video, Sky Go und Google Play zu streamen.

Kurz-URL: qmde.de/87449
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