Sat.1 hat ein Faible dafür, seine Fernsehfilme aus den Schlagzeilen zu reißen: «Der Minister», ein Film à clef um den Rücktritt von Verteidigungsminister Guttenberg. «Der Rücktritt», eine Allegorie auf Bundespräsident Wulffs Untergang in Schimpf und Schande. Die «Schlikkerfrauen», eine gänzlich fiktive Geschichte um Niedriglohnangestellte eines insolventen Konzerns, die von heute auf morgen auf die Straße gesetzt werden sollen. Und die «Udo-Honig-Story» über den Niedergang des urbayerischen Saubermannes Uli Hoeneß und seinen Weg in die Justizvollzugsanstalt.
Auch das amerikanische Fernsehen kennt diese Aufarbeitung des noch halbwegs frischen Tagesgeschehens in Fernsehfilmform. Allerdings mit einer anderen Stoßrichtung, anderen Sujets und einer anderen Ambition.
So verfilmte 2008 Regisseur Jay Roach mit «Recount» die Irrungen und Wirrungen des knappen Wahlergebnisses in Florida bei der Präsidentschaftswahl 2000, wo Gore gegen Bush nur mit einer Handvoll Stimmen unterlag, und es einer höchstrichterlichen Entscheidung bedurfte, um in der Sache endgültige Klarheit zu schaffen.
Oder, im aktuellen Wahljahr relevanter, «Game Change» über die desaströse Entscheidung des Wahlkampfteams um John McCain, Sarah Palin als Vizepräsidentschaftskandidatin aufzustellen.
Wobei desaströs ein relativer Begriff ist. Sicherlich war es beängstigend, dass eine Person, die nicht einmal die Grundzüge der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik verstand, im wahrsten Sinne des Wortes nur einen Herzschlag vom Präsidentschaftsamt hätte entfernt sein können. Aber neben dieser leichten Weltuntergangsstimmung hatte Amerika damals vor allem einen Riesenspaß.
«Game Change» lohnt sich in diesem Jahr auf vielen Gründen: Denn der Film liefert einen Erklärungsansatz dafür, wie es so weit kommen konnte: Der Erfolg Palins, dieser anti-intellektuellen politischen Tabula Rasa, war von Anfang an ein ausschließlich populistischer. Ihr Aufstieg und der Aufstieg von ihr ähnlichen Protagonisten (Michele Bachmann, Ted Cruz, Rand Paul u.v.m.) hat die Republikanische Partei vernichtet und kulminierte in der Krönung von Donald Trump, einem Mann, der den Populismus perfektioniert hat, der nie in etwas anderem gesprochen hat als in Sound Bites, der bei seinem Amtsverständnisähnlich wie Palin Unerfahrenheit und Unkenntnis eher als Vorteil denn als Nachteil sieht.
Der Film zeigt freilich noch mehr: nämlich wie die Wahlkampfstrategen Steve Schmidt und Nicolle Wallace (Beide bezeichneten «Game Change» später als äußerst nah an der Realität) nach und nach an Palin verzweifeln und ihre Entscheidung, sie zur Stellvertreterin McCains machen zu wollen, bitter bereuen. In amerikanischen Talk-Shows leistet Schmidt noch heute Abbitte.
«Game Change» ist nicht nur ein Blick durchs Schlüsselloch, sondern eine veritable politische These. Und anders als die einschlägigen Polit-Satire-Filme kein weiträumig ausgeschmücktes Was-hätte-alles-sein-können, sondern eine strukturierte Nacherzählung der größtenteils tatsächlichen Begebenheiten. Vor November sollte sich zumindest Donald Trump zu einem Rewatch hinreißen lassen.
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