Sonntagsfragen

'Wenn dich möglichst viele mögen, bist du möglicherweise egal'

von

Zum Start der neuen «Ponyhof»-Staffel bei TNT Comedy unterhält sich Quotenmeter.de mit den Moderatorinnen Annie Hoffmann und Jeannine Michaelsen über Metahumor, Social Media, die Fragmentierung des Fernsehens und Erwartungsdruck.

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Bei gut gemachten Referenzen ist ja der springende Punkt: Wenn du sie nicht verstehst, wirst du nicht ausgeschlossen.
Jeannine Michaelsen
Als Zwischenfazit können wir, glaube ich, festhalten: Im Idealfall verstellt man sich nicht, sondern züchtet sich sein eigenes, spezielles Publikum heran – ob als Sender oder als Sendung. Ihr verfolgt bei «Ponyhof» dieses Prinzip zweifelsohne. Jede stereotypische Marktforschungsabteilung würde ja vollkommen durchdrehen: „«Ponyhof», die Sendung für Jugendliche und junge Erwachsene, die alt genug sind, um Jörg Draeger und «Der heiße Stuhl» zu kennen, aber juvenil genug, um über Vibratorhöschen zu lachen …“ Spitzer kann eine Zielgruppe kaum sein. (lacht)
Jeannine Michaelsen: Bei gut gemachten Referenzen ist ja der springende Punkt: Wenn du sie nicht verstehst, wirst du nicht ausgeschlossen. Wenn du etwa Jörg Draeger nicht kennst, hast du noch immer jemanden dasitzen, der diesen ulkig-charmanten Duktus hat und dann noch so einen skurrilen Text vorliest. Dann lernen manche Zuschauer ihn halt erst in unserer Sendung kennen. Na und? Genau so sollte es sein. Erzieh dir dein Publikum. Denn die Leute sind nicht dumm, sie werden vom Fernsehen für dumm gehalten. Deswegen ist der einzige Aspekt, an dem ich nicht bereit bin, Abstriche zu machen, was ich intellektuell vom Publikum abverlangen kann. Ich denke, da ist Frau Hoffmann genau meiner Meinung. Man hat eine gewisse Grenze. Und die ist nicht, dass man keine Witze machen kann, die unter der Teppichkante durchlaufen! Mit denen habe ich überhaupt kein Problem.

Annie Hoffmann: Für einen Witz unter dem Niveau einer Teppichkante ist immer Zeit.

Jeannine Michaelsen: Trotzdem möchtest du in deinem Publikum einfach einen gewissen Grundstock an Intelligenz und Intellektualität sitzen haben. Es gibt einen Humor-Stil, dem ich bewusst aus dem Weg gehe, weil ich nicht aus dem Grund Lacher kassieren möchte. Ich persönlich mag das einfach nicht. Es geht nicht darum, ob das gut ist oder eine Daseinsberechtigung hat. Es geht schlicht darum, dass es nicht mein Geschmack ist, nicht mein Stil. Wenn ich mein Gesicht in die Kamera halte und mein echter Name drunter steht, möchte ich hinter dem stehen, was ich da tue und sage, und wenn es nur ein: „Ja, ich schäme mich, aber ich habe das gern gemacht. Das ist in Ordnung so!“ Deswegen ist es natürlich schade, wenn sich doch mal jemand ausgeschlossen fühlt. Aber das ist mir hundertmal lieber als beliebig zu sein. Wenn dich von 100 Leuten 70 nicht abkönnen, aber 30 dich abfeiern, ist das so viel mehr wert als wenn du 100 Leuten egal bist. Was bringt es uns, wenn alle sagen: „Ja, doch. Die sind nett. Die mag ich, die … Schorfmann und die Michaelsson“?

Annie Hoffmann (gespielt traurig): Das sagt doch so oder so keiner …

Das Schöne, wenn du so eine mit Haltung transportierte Metaebene hast: Die kannst du als Zuschauer aufschnappen und auseinandernehmen – du kannst sie aber auch übersehen und du hast trotzdem deinen Spaß.
Jeannine Michaelsen
Beim Thema „«Ponyhof» und intellektueller Anspruch“ muss ich zwangsweise an das Stichwort „Metaebene“ denken. In der Sendung kokettiert ihr ja gelegentlich mit dem Klischee, dass es die braucht, damit die Kritiker zufriedengestellt werden. Da muss ich mir auch an die eigene Nase fassen: Bei vielen der derberen oder alberneren Shows, die ich mag, feiere ich eben diese oft besagte Metaebene ab. Alle Kritikerklischees und alle Selbstironie aber mal bei Seite: Sofern ich sie nicht grundlos in «Ponyhof» hineininterpretiere, wann denkt ihr über sie nach, wo kommt sie her?
Jeannine Michaelsen: Ich glaube, sie kommt aus der Haltung, mit der du das machst. Genauer gesagt: Grundsätzlich entsteht sie, wie ich denke, wenn du das, was du machst, ernst nimmst, selbst wenn das, was du machst, der allergrößte Quatsch ist. Das ist ein grundlegendes Gesetz in der Comedy. Ein Witz ist dann am besten, wenn du ihn ernst erzählst. Alles, was du versuchst, und dabei selber nicht ernst nimmst, wird nicht funktionieren. Im Fall unserer Einspieler: Wenn du dich auf eine Situation einlässt, sie und dich selbst dabei ernst nimmst, und dann schaust, was die Situation mit dir anstellt, dann entsteht dabei sowohl Tragik als auch Komik. Meistens generiert sich die Metaebene dabei von ganz allein. Und wenn das nicht klappt, dann kommt halt die Postproduktion.
Und klar, für uns ist es ein Running Gag, immer wieder zu betonen, dass wir Contenance und Würde bewahren sollten, um mehr Anspruch zu haben. Wir machen uns schon zum Teil über die Erwartungshaltung lustig (näselt): „Ja, das muss ja alles irgendwie auf der Metaebene. Bedeutung. Und so.“
Aber auf der anderen Seite ist uns diese zusätzliche Ebene in unserem Humor tatsächlich wichtig. Wenn wir eine Ausgabe damit anfangen, dass wir auf die Bühne gehen und sagen: „So, lasst uns das Allerwichtigste, wenn Frauen Fernsehen machen, zu allererst klären: Ja, natürlich sehen wir fantastisch aus“, dann hat das in unserem Fall eine Haltung. Und die ist meta, und die ist echt, die kommt natürlich, so etwas kannst du nicht konstruieren, denn das fällt auf und das ist nicht gut.
Das Schöne, wenn du so eine mit Haltung transportierte Metaebene hast: Die kannst du als Zuschauer aufschnappen und auseinandernehmen – du kannst sie aber auch übersehen und du hast trotzdem deinen Spaß. Das gleiche Prinzip fahren im Endeffekt die Kollegen von Florida TV mit Joko und Klaas: Die produzieren eine MAZ, und da sind total viele Lacher drin. Und wenn sie eine fixe Idee haben, dann bauen sie noch eine zusätzliche Ebene in den Film ein, aber wenn sie mal drauf verzichten oder sie dir als Zuschauer nicht entgegenspringt, sind diese MAZen dennoch nicht dumm oder stumpfsinnig. Das unterscheidet Florida TV von uns, wir sind vollkommen hohl …

Annie Hoffmann: Büttä? Wie-waas? (lacht)

Jeannine Michaelsen: Quatsch, letzteres war nur Spaß. Worum es mir geht: Wir rennen ja nicht einfach draußen auf der Straße herum und schubsen wildfremde Leute gegen die Wand. Manchmal, ja, bekommt eine MAZ eine vollkommen andere Bedeutung als zunächst angenommen, aber das geschieht nie mit eisigem Kalkül. Wir haben etwa eine MAZ, in der wir als Nutten verkleidet Goethe im Stadtpark zitieren. Und wir dachten, das wird der absolute Knaller, weil die Leute uns anspringen und hart mit uns ins Gericht gehen, obwohl wir gut situierte Gespräche führen. Das war der eigentliche Ansatz. Damit sind wir aber katastrophal gescheitert. Aber dann hat die Aktion eine völlig neue Bedeutung gewonnen, die wir im fertigen Einspieler mittels Schnitt und Anmoderation dann noch unterstreichen. Wenn du das mit ehrlicher Haltung verfolgst, und du dich da draußen durchweg ernsthaft dransetzt, was aus der Sache zu machen, statt einfach nur deinen eigenen kleinen Karneval zu veranstalten „Juchhe, ich bin verkleidet“, bekommst du hoffentlich eine Ebene rein, die das dann für einige Zuschauer noch lustiger macht.
Das geht aber wirklich nur, wenn du dabei durchweg eine ehrliche, ernste Haltung einnimmst. Ich habe mich da draußen als Pseudo-Nutte sowas von geschämt! Und dann kommt irgendwann der Moment, wo das Hirn aussetzt …

Annie Hoffmann: Weil du genau weißt, dass du aus dieser Nummer sonst auch nicht mehr rauskommst. Nach Scham kommt daher irgendwann …

Jeannine Michaelsen: …doof!

Annie Hoffmann: Ganz genau. Nach Scham kommt der Moment, wo du mit der Rolle verschmilzt und sagst (wahnsinnig): „Oh, jetzt ist mir das auch alles bummsegal!“
Und darüber kommt der Witz auf einmal wieder. In der MAZ sieht man ja natürlich nicht, wie lang der Tag für uns war, zwischendurch standen wir am Rande der Verzweiflung, nur um dann irgendwann an der Straße zu stehen, wo ich vollkommen aggressiv mit dem Hintern wackle, während sich Jeannine gleichermaßen in Grund und Boden geschämt und vor Lachen weggeschmissen hat. Die hatte Pippi in den Augen

Jeannine Michaelsen: Die Leute haben dich aber auch komisch angeguckt!

Annie Hoffmann: Ähnlich spielt sich das in den Meetings ab. Irgendjemand hat eine Idee, wir besprechen sie gemeinsam, und irgendwer sagt dann: „Ja, aber da fehlt die Metaebene!“ Dann geht die Diskussion los: Braucht man die? Wie soll sie aussehen? Wie kriegt man sie rein? Und letztlich kommen wir doch immer zum Punkt, an dem wir merken …

Jeannine Michaelsen: Wir müssen die nicht reinhebeln, sie entsteht von alleine. Aus unserer Haltung. Und manchmal entsteht sie dann eben doch nicht. Das ist auch in Ordnung. Dann sind manche Dinge eben stumpf. Aber auf eine Weise stumpf, zu der wir uns bekennen.

Annie Hoffmann: Und die Jeannine ist die verkörperte Metaebene.

Jeannine Michaelsen: Und die Annie der Gassenhumor.

Herzlichen Dank für das aufschlussreiche sowie unterhaltsame Gespräch!

Die neuen Folgen «Ponyhof» sind ab dem 4. September 2016 sonntags ab 22 Uhr bei TNT Comedy zu sehen.

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