Schritt 6: Sei kein 'Nur Meisterwerke kommen bei mir ungeschoren davon!'-Meckerfritze
Popcorn, Rollenwechsel und Kinoformen
Schritt 7: Warte nicht auf das filmische Pendant zur eierlegenden Wollmilchschau!
Ja, wir alle lieben es, wenn große Ambitionen verfolgt und erfüllt werden. Ein moralisch komplexes Thrillerdrama mit spektakulärer Optik, originellen Figuren, die urkomische Dialoge vom Stapel lassen, während revolutionäre Musik läuft? Gespickt mit technisch komplexen Actionsequenzen und sinnlichen Sexszenen? Ja. Gerne doch! Kleine Ziele, punktgenau getroffen, sind aber auch was wert, oder? Eine Komödie, die einfach nur lustig ist, ein Musical mit starken Songs, ein Actionfilm, der sofort loslegt und vor tollen Stunts platzt? Was hält dich davon ab, es anzuerkennen, wenn ein Film kein Rundumschlag ist, sondern in sehr spezifische Dingen sehr gut ist?
Schritt 8: Spar dir die Beleidigungen, ja?
Wenn du die neue Melissa-McCarthy-Komödie doof findest, erklär mir, weshalb. Und stell dich nicht auf ein Podest, von dem aus du in die Welt hinausbrüllst: „McCarthy ist eine unlustige Fettsau!“ Wenn ein Film mit guten Performances und cleverem Skript an einer miesen Inszenierung scheitert, was gewinnt deine Kritik dadurch, wenn du schreibst: „Regisseur Nobody McMustermann ist eine talentfreie Nullnummer, die lieber zurück an die Supermarktkasse sollte!“? Wenn du jeden cineastischen Fehlgriff als „blöden Scheißfilm“ bezeichnest, verliert dieses Urteil rasch an Wirkung. Du bist Kritiker. Kein Ein-Mann-Mob mit Fackel und Mistgabel. Benimm dich.
Schritt 9: „Aber, aber, Marcel Reich-Ranicki wurde auch laut! Und Karl Kraus, also, der war voll für Deutlichkeit!“

Außerdem: Wer ernsthaft Kraus‘ Forderung einer vollkommen deutlichen Kritik mit der Legitimation unqualifizierter Drastik verwechselt, sollte dessen Namen gar nicht erst in den Mund nehmen dürfen. Kraus‘ Vorstellung von Deutlichkeit umfasst ebenso sehr Präzision. Sie ist mit einem exakt gesetzten, tödlichen Schuss eines Scharfschützen gleichzusetzen: Finde die Missgeschicke eines Werkes und … *zack*. Genau getroffen! Was du Hanswurst willst, ist mit einer Jahrespackung Splittergranaten um dich werfen, weil du dich in einem Film zwischendurch ein wenig gelangweilt hast und du die Hauptdarstellerin nicht so geil findest wie dein liebstes Pornosternchen!
Schritt 10: „Du nervst voll! Verkopf nicht alles so krampfhaft, hör mir auf mit diesem piefigen Quark! Wir leben in neuen Zeiten! Da brauch ich Härte! Medien ändern sich! #YOLO! #MakeReviewsHardcoreAgain“
Du sagst es. Die Medien wandeln sich. Nahezu jeder kann heutzutage seine Gedanken auf die Welt loslassen. Geschrieben. Gesprochen. In Videoform. Jeder ist ein kleiner Hobbypublizist. Alle Welt glaubt, ein Angry Movie & Television Geek zu sein, gefühlt jeder fünfte Filmliebhaber, der über den Mainstreamtellerrand schaut, hält sich für den nächsten Marcel Reich-Ranicki. In einer digitalen Welt voller Schreihälse, die glauben, dass die Masse an Beschimpfungen mehr zählt als die Prägnanz der getätigten Beobachtungen …. Sei da nicht der nächste Wutnickel, den ich schon vergessen habe, sobald ich die neuste Schimpfattacke des übernächsten Verbalraufbolds erblicke! Der Schockfaktor allein zieht nicht. Ich habe Internetzugang – keine Formulierung eines Irgendwers kann mich noch schocken! Niemand denkt „Wow, was für ein harter Kritiker, der meckert so viel, der muss Ahnung haben.“ Wenn ich unqualifiziertes, unanalytisches Gezeter lesen will, dann lese ich Internetkommentare. Ein Kritiker muss mehr auf dem Kasten haben. Mehr Beobachtungsgabe. Mehr Willen, auf eine Produktion einzugehen. Mehr Schreibtalent, weniger Aufplustern!
Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
13.09.2016 14:55 Uhr 1
15.09.2016 00:06 Uhr 2