Man muss nicht mal mehr selbst Hand anlegen: Let’s Plays, eSport-Shows und die Rocket Beans bringen Videospiel-Unterhaltung auf die Bildschirme. Über das Massenphänomen Gaming, über einen Vergleich mit dem Fußball – und über Videospiel-Turniere auf Bühnen, wo sonst Helene Fischer singt.
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Bei den Rocket Beans ist es ein bisschen so wie der Wechsel eines großen Fußballspielers von einem zum anderen Meisterschaftskonkurrenten. Oder – um in der Szene zu bleiben – wie der Wechsel eines populären eSportlers zu einem anderen Clan: Neben Let’s Plays ist der professionelle eSport die zweite Säule digitaler Gaming-Unterhaltung. Im eSport treten Mannschaften oder Einzelspieler im sportlichen Wettkampf gegeneinander an – virtuell, bei Spielen wie «FIFA 17» oder «Call of Duty». Zu den populärsten eSport-Spielen gehören «Counterstrike: GO» und Strategiespiele wie «StarCraft II» und «DOTA 2». Die Meisterschaften werden als großes Event inszeniert, in Stadien oder Hallen, mit Preisgeldern im Millionenbereich.
Im August fand die Weltmeisterschaft der «Counter Strike»-Spieler in Köln statt, in der Lanxess Arena. „Es gibt viele Menschen, die sich das anschauen wollen. Die merken: Okay, das Thema ist wirklich in der breiten Masse angekommen. Die Lanxess Arena ist jetzt ein Schauplatz für eSports“, sagt Ulrich Schulze vom Veranstalter ESL One gegenüber dem WDR. 19.500 Menschen passen in das Gebäude, Helene-Fischer-Ausmaße also. Viele Beobachter und Manager prognostizieren, dass eSports in Europa erst am Anfang seiner populären Entwicklung steht. Manch klassisches Medium experimentiert mit dem Potenzial: Sky zeigte die Endwettkämpfe der virtuellen Bundesliga von «FIFA 16» als Liveübertragung, der FC Schalke 04 hat kürzlich ein eSports-Team gekauft – übrigens nicht vom Spiel «FIFA», sondern von «League of Legends», einem Strategiespiel. Die weltweite Begeisterung für eSport wächst ungebrochen: Studien sprechen von einem zuletzt rasanten Wachstum an Zuschauern, mit rund 58 Millionen im Jahr 2012 und 134 Millionen drei Jahre später. In Asien ist der Markt längst Mainstream, die Turniere werden auf Pay-TV-Sportsendern live gezeigt. Die erfolgreichsten Spieler der Szene: Multimillionäre. Sponsoring macht den Hauptanteil der Einnahmen aus, wie auch bei den ganz großen YouTubern.
Medienwissenschaftler erklären die Popularität des eSport anhand der geschichtlichen Entwicklung: Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Geld zumeist mit körperlicher Arbeit verdient. Der Siegeszug des Fußballsports ist dementsprechend auch zurückzuführen auf die Körperlichkeit des Spiels, die Fitness. Die Idole von früher wurden Idole aufgrund ihrer physischen Exzellenz. Körperliche Stärke ist für die meisten heutigen Jobs nicht mehr relevant, im Gegenzug hat der (Computer-)Nerd die Rolle des Relevanten eingenommen: Mark Zuckerberg, Steve Jobs und Jeff Bezos sind es, die unseren Alltag umkrempeln, sie sind die neuen Macher. Der Nerd ist cool geworden. Und mit ihm sein Arbeitsfeld: das Virtuelle. Idole der digital natives, der jüngeren Generationen, sind daher zunehmend: eSportler, die perfekte Strategien ausarbeiten, LetsPlayer mit dem Gespür für Unterhaltung, Speedrunner als Perfektionisten des Spiels. So sieht es Medienwissenschaftler Gundolf Freyermuth im WDR: „Was ich [als Videospieler] geschaffen habe, ist nicht materiell, ist nicht physisch, ist nicht körperlich. Und ich glaube, genau darin beruht der große Reiz des Spielens und aber auch der Reiz, anderen beim Spielen im eSport zuzugucken. Das sind Meister der Manipulation virtueller Symbole.“ Für Freyermuth steht der eSport heute dort, wo der Fußball vor 100 Jahren stand: Er entwickelte sich von einem Spielersport zu einem Zuschauersport, mit der ganzen Ökonomie drumherum. Dasselbe könne man gerade bei Videospielen beobachten, so der Wissenschaftler.

Und das Fernsehen? Dort wird Gaming auch zukünftig kaum eine Rolle spielen, dafür driften die Lebenswelten der Generationen zu stark auseinander. Sprich: Es wird dort gezockt, wo die Gaming-Zielgruppe sich vorwiegend aufhält. Im Internet also. Das Phänomen künstlich auf das klassische Fernsehprogramm zu übertragen, ist gescheitert. Je größer die Möglichkeiten im Netz wurden, desto mehr verschwand Gaming von der linearen Bildfläche: ob «GIGA GAMES», «GameOne» oder «Reload». Der neue Sender RTL II You versucht es trotzdem nochmal – aber zumeist mit der Übernahme von Webformaten. Diejenigen Webformate, die noch am ehesten Konzepte des klassischen Fernsehens adaptieren, können als dritte Säule der digitalen Videpspiel-Unterhaltung gelten. Dazu gehören einige Sendungen von Rocket Beans TV oder von Medien wie Gameswelt und GIGA, die eigene Shows im Livestream anbieten. Es sind informationslastige Angebote, die nie nur LetsPlay oder nur eSports sind. Es gibt Moderatoren, Interviews, Reportagen. Auch dieser Markt funktioniert und lebt – vielleicht eher als Nische denn als künftiger Mainstream: Kaum ein größeres Videospiel-Informationsmedium kann mehr ohne Live-Shows auskommen, und die Rocket Beans haben eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben.
Ist Gaming-Unterhaltung also Mainstream? Allein, dass wir uns diese Frage stellen, sagt viel über die steigende Relevanz aus. Ob nun Mainstream oder noch nicht, ist da fast egal – der Trend jedenfalls zeigt dahin, dass immer mehr gezockt wird: aktiv und passiv.
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