Zur Person
Der Kriminalist Stephan Harbort wurde 1964 in Düsseldorf geboren und entwickelte als Kriminalhauptkommissar verschiedene Fahndungsmethoden. Seine Fachbücher zum Thema Kriminalistik wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt. Seit 1997 führt er Interviews mit über 50 verurteilten Serienmördern.Das Thema beschäftigt die Menschen schon seit vielen Jahrzehnten, und in diesem Zeitraum gab es immer mal Höhen und Tiefen. Meiner Beobachtung nach: True Crime erlebt immer dann einen Höhepunkt in der medialen Aufmerksamkeit, wenn auch in unserer Gesellschaft Dinge passieren, die uns zwar nicht zwingend unmittelbar betreffen – bei denen aber die gefühlte Gefahr, betroffen sein zu können, stark zunimmt. Wir leben zur Zeit mit dem Terror, haben ihn auch schon in Deutschland erlebt. Außerdem trägt das Internet seinen Teil dazu bei: Die Presse hat seit jeher über Serienmorde und andere spektakuläre Verbrechensfälle berichtet, nun kann sich jeder Mensch zu jeder Zeit über solche Taten informieren. Hinzu kommt eine sehr blumige und mitunter reißerische Berichterstattung – so etwas macht neugierig, also wollen sich immer mehr Menschen mit dunklen Themen befassen und aufgeklärt werden.
Und welchen Zweck erfüllt True-Crime-Stoff Ihrer Ansicht nach für den Konsumenten?
Es gibt Menschen, die Opfer von Straftaten geworden oder Angehörige von Opfern sind und sich dann über TV-Sendungen oder durch Bücher, wie ich sie schreibe, darüber informieren, was jemanden dazu bewegen kann, derart abscheuliche Verbrechen zu begehen. Sie suchen nach Erkenntnissen über diese ihnen fremde Welt. Darüber hinaus sind Menschen, die schwere Straftaten begehen, stets Grenzgänger – sie tun Dinge, die sich viele nicht einmal vorstellen können. Wahr ist aber auch: Das Böse hat den Menschen seit jeher stärker angesprochen als das Gute.
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Ich kann bei vielen aktuellen Sendungen nicht erkennen, was deren Intention ist. Das liegt in erster Linie daran, dass einige von ihnen recht oberflächlich bleiben und wenig darüber aussagen, wie Menschen zu Tätern werden. Auch finde ich es bedauerlich, dass die Opferbelange, wenn überhaupt, nur stiefmütterlich behandelt werden. Die Frage, wie sie in ihre prekäre Situation gekommen sind, wird vernachlässigt, fast immer steht der Täter im Mittelpunkt des Interesses.
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Stephan Harbort
Das ist schwer zu sagen. Ich kann bei vielen aktuellen Sendungen nicht erkennen, was deren Intention ist. Das liegt in erster Linie daran, dass einige von ihnen recht oberflächlich bleiben und wenig darüber aussagen, wie Menschen zu Tätern werden. Auch finde ich es bedauerlich, dass die Opferbelange, wenn überhaupt, nur stiefmütterlich behandelt werden. Die Frage, wie sie in ihre prekäre Situation gekommen sind, wird vernachlässigt, fast immer steht der Täter im Mittelpunkt des Interesses. Ich wäre dankbar, wenn auch auf die Angehörigen von Opfern und Tätern eingegangen und auch erklärt würde, wie man in einer ähnlichen Lage solch traumatische Erlebnisse verarbeiten kann.
Der Fairness halber muss man da dann aber sagen, dass «Protokolle des Bösen» ebenfalls nur den Täter in den Fokus nimmt …
Gewiss. Wir haben beabsichtigt, uns ausschließlich mit der Psyche der Täter zu befassen. Meine Kritik ging eher in Richtung solcher Sendungen, die vorgeben, alles abzudecken, dann aber die Opfer und Angehörigen nur zweitrangig behandeln. Dennoch haben Sie Recht: Man könnte sicher eine Reihe starten, in denen ich mich mit Menschen unterhalte, die von Serienmördern angegriffen wurden, die Tat aber überlebt haben. Das würde mich sehr interessieren, das würde ich gerne machen. Ich befürchte bloß, dass sich das in der Medienlandschaft aktuell nicht durchsetzen lässt.
Wie wurden aus Ihren zahlreichen Gesprächen mit Serienmördern die ausgewählt, die nun in «Protokolle des Bösen» nachgestellt werden?
Ich habe mir vorgenommen, in dieser Reihe die gesamte Bandbreite des Serienmordes darzustellen: Fünf Täter mit fünf unterschiedlichen Lebensläufen und Motivlagen. Entscheidend war ebenfalls, ob sich der- oder diejenige damit einverstanden erklärt, dass unsere realen Gespräche im Fernsehen nachgestellt werden. Ich habe allen Beteiligten ausführlich die Vor- und Nachteile erläutert, die das für sie mit sich bringen kann.
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Ich stehe den Tätern, deren Gespräche mit mir nachgestellt wurden, gegenüber in einer besonderen Verantwortung. Es ist meine Pflicht, die Authentizität zu gewährleisten. Daher habe ich mit den Darstellern nicht nur vorab ausführliche Gespräche über ihre „Rollen“ geführt, sondern beim Dreh stets eingegriffen, wenn das Spiel davon abgewichen ist, wie sich der Täter mir präsentiert hat.
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Stephan Harbort
Die Reaktionen waren unterschiedlich. Es gab mitunter Berührungsängste, weil derjenige nicht einschätzen konnte, was die damit einhergehende Öffentlichkeit für ihn bedeutet. Wir haben etwaigen Repressionen vorgebeugt, indem wir keine Klarnamen verwenden und das den Tätern auch von vornherein zugesichert haben. Dennoch gab es einige, die sich geschmeichelt fühlten – das hängt von der Situation des Täters ab. Wer aktuell begleiteten Ausgang bekommt, daher schon teilweise in die Gesellschaft zurückfindet und womöglich Hoffnungen hat, das in Zukunft dauerhaft tun zu können, hat hingegen trotz der Pseudonymisierung Angst, dass irgendwer ihn durch die Sendungsinhalte wiedererkennt.
Haben Sie beim Dreh auch gewissermaßen Regie geführt, indem Sie den Schauspielern erklärten: „Nein, der wahre Täter hat diese Zeilen ganz anders gesagt …“?
Selbstredend. Ich stehe den Tätern, deren Gespräche mit mir nachgestellt wurden, gegenüber in einer besonderen Verantwortung. Es ist meine Pflicht, die Authentizität zu gewährleisten. Daher habe ich mit den Darstellern nicht nur vorab ausführliche Gespräche über ihre „Rollen“ geführt, sondern beim Dreh stets eingegriffen, wenn das Spiel davon abgewichen ist, wie sich der Täter mir präsentiert hat.
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Es hat Täter gegeben, die haben sich durch unterschiedliche mediale Einflüsse zu ihren Taten inspirieren lassen, beispielsweise auch durch wissenschaftliche Publikationen, weil es dort Tatortfotos und Tatbeschreibungen zu lesen gibt. Allerdings hätten die Täter ihre Taten mit Sicherheit auch dann verübt, wären sie keinem medialen Einfluss ausgesetzt gewesen, denn aus ursächlicher Sicht entscheidend ist die Pathologie des Täters, nicht der mediale Reiz, dem sie ausgesetzt sind.
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Stephan Harbort
Ich gebe Ihnen gerne zumindest teilweise Recht. Es hat Täter gegeben, die haben sich durch unterschiedliche mediale Einflüsse zu ihren Taten inspirieren lassen, beispielsweise auch durch wissenschaftliche Publikationen, weil es dort Tatortfotos und Tatbeschreibungen zu lesen gibt. Allerdings hätten die Täter ihre Taten mit Sicherheit auch dann verübt, wären sie keinem medialen Einfluss ausgesetzt gewesen, denn aus ursächlicher Sicht entscheidend ist die Pathologie des Täters, nicht der mediale Reiz, dem sie ausgesetzt sind. Um es auf den Punkt zu bringen: Auch wenn es gelingen sollte, den Boulevard in diesem Sinne zu reglementieren, würde dadurch nicht ein einziger Mord weniger passieren.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
«Protokolle des Bösen» ist ab dem 24. September 2016 immer samstags um 21.50 Uhr exklusiv bei A&E zu sehen.
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