Die Kritiker

«Tatort: Feierstunde»

von   |  3 Kommentare

Mit «Tatort: Feierstunde» bestreitet das Münster-"Kult"-Ermittlerteam seinen 30. Fall, der die Form einer dramatischen Geiselnahme annimmt.

Cast und Crew «Tatort: Feierstunde»

  • Regie: Lars Jessen
  • Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefer, Friederike Kempter, Christine Urspruch, Peter Jordan, Oda Thormeyer
  • Drehbuch: Elke Schuch
  • Kamera: Rodja Kükenthal
  • Szenenbild: Götz Harmel
  • Schnitt: Sebastian Thümler
  • Musik: Stefan Wulff, Hinrich Dagefür
Die 30. Episode einer «Tatort»-Reihe ist schon etwas Besonderes, spricht es doch für den Erfolg des vorliegenden Formats. In der deutschen Fernsehwelt ist das definitiv relativ selten. Der wirsche Kommissar Thiel (Axel Prahl) und der sarkastisch-zynische Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef-Liefers) sind als Münsteraner Ermittlerduo deutschlandweit bekannt und die Frage „Hast du den Münster-«Tatort» gesehen?“ wird wohl nach jedem Auftritt nicht nur einmal gestellt. Auch wenn die beiden Streithähne durch Thiels Mitarbeiterin Nadeshda Krusenster (Friederike Kempter) und Boernes Assistentin Silke Haller „Alberich“ (ChrisTine Urspruch) emotional geerdet und abgerundet werden, sind die von Liefers und Prahl gespielten Charaktere mittlerweile zu einer Art „Kult“ geworden, die auch gerne in deutschlandweiten Werbespots auftreten. Und selbst wenn der Begriff „Kultfiguren“ mittlerweile kaum eine Bedeutung mehr hat, weil er so inflationär verwendet wird, wenn es so etwas wie eine deutsche Popkultur gibt, dann sind diese Beiden bereits dort angekommen.

Die beiden - nennen wir sie der Einfachheit halber „Kultfiguren“ - haben bereits einen „Fluch der Mumie“ aufgeklärt, in der Münsterlichen Spargelszene ermittelt, der Business High-Society auf den Zahn gefühlt und in der letzten Episode legte man eine flotte Sohle aufs Parkett, um einen Mordfall zu lösen. Die humorvolle Komponente ist ein fester Bestandteil des Teams. Es scheint in ihrem 30. Einsatzes fast so, als könnte sich das ändern. Schon zu Beginn entwirft "Feierstunde" ein düsteres Szenario: Der offensichtlich verzweifelte und psychisch labile Dr. Harald Götz (Peter Jordan) erzählt seiner Psychotherapeutin Dr. Corinna Adam (Oda Thormeyer) von seinen Rache- und Mordphantasien, die er gegen den wesentlich erfolgreicheren Karl-Friedrich Boerne hegt. Dieser hat nämlich drei Millionen Euro Fördergelder bekommen, die Dr. Götz aus bestimmten Gründen, die an dieser Stelle noch nicht verraten werden sollen, gern bekommen hätte.

Damit nicht genug, Kommissar Thiel findet die Leiche von Götz Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung. Die hat sich, wie es scheint, mit einer Pumpgun ins Gesicht geschossen. Fortan wird natürlich der Ehemann verdächtigt. Dieser ist allerdings nicht aufzufinden, bis er bei Boernes Feierlichkeiten in einem Restaurant auftaucht und sogleich das gesamte wissenschaftliche Kollegium als Geiseln nimmt. Die Geiselnahme gestaltet sich stellenweise durchaus spannend und einfallsreich. Insbesondere zu Beginn entwickelt sich hier eine schockierende Dynamik: Ein unerwarteter und schockierender Mord zeigt von Anfang an, dass es sich hierbei um kein Kinderspiel handelt. Ein Mord, der Spuren hinterlässt, nicht nur beim Zuschauer, sondern auch beim werten Professor Boerne selbst. Gerade in dieser Szene spielt sich viel hinter den Augen und in der überzeugend-geschockten Mimik des Darstellers Liefers ab. Denn das arrogante und oftmals kaltschnäuzige Gerede verstummt doch einmal und für einen kurzen Moment darf man hinter die Fassade des versnobten Professors blicken. Leider wird das im Verlauf der Handlung wenn überhaupt nur oberflächlich weitergeführt.

Während sich auf der einen Seite eine dramatische Geiselnahme abspielt, ermittelt Thiel die Motive des Dr. Götz und versucht, Schritt für Schritt den Plan des Geiselnehmers aufzudecken. Dazu nimmt er die Hilfe von dessen Therapeutin Dr. Corinna Adam in Anspruch, die ihm sogar mit seinem angeschlagenen und schmerzhaften Rücken hilft. Diese stellt sich aber ansonsten gerne mal auf ärgerlich arrogante und ignorante Weise den Ermittlungen entgegen, um ihren Patienten zu schützen und scheinbar um für zusätzliche, aber unnötige Dramatik zu sorgen. Bei "Feierstunde" handelt es sich um einen «Tatort», der offensichtlich gerne mal in die tiefen Gewässer eintauchen möchte, aber leider immer wieder zurückschreckt, sobald der kleine Zeh ins Wasser gehalten wurde: Die Arroganz eines Wissenschaftskaders, der aber unter Druck irgendwann gar nicht mehr so zivilisiert und erhaben ist. Und ein einzelner Wissenschaftler, der augenscheinlich ohne Rücksicht auf Verluste den eigenen Interessen folgt, und nun dafür die Rechnung bezahlen muss. Dieser Archetyp des arroganten, aber effektiven Doktors und Genies sollte mittlerweile hinreichend bekannt sein, so dass er bereits zum Stereotyp geworden ist, wäre da nicht Jan Josef Liefers, der seiner Performance durchaus immer wieder Nuancen abverlangt.

Boerne ist zwar ein Bastard, aber ein Bastard, der sich durchaus um seine Kollegen sorgt, wenn es hart auf hart kommt. Aspekte, die zwar angeschnitten werden, aber letztendlich keine dauerhaften Auswirkungen auf das Leben der Figuren haben werden. Denn das ist generell das Problem von „Kultfiguren“ - und irgendwie auch des deutschen Fernsehens selbst, das rigoros die Weiterentwicklung und Veränderung von fiktionalen Charakteren in langlebigen Serien und Reihen verweigert - Figuren ändern sich selten und bleiben im Status Quo verhangen. Nach jeder Episode drückt man auf den Reset-Button und die Charaktere sowie ihre Beziehungen zueinander sind in etwa dieselben wie zuvor auch. Im Grunde ist das nicht schlimm und auch dieses Fernsehen hat eine Existenzberechtigung, dennoch ist es schade, wenn man weiß, dass Liefers das Potential zu sehr viel mehr hätte, was er durchaus in dieser Episode zeigt. Der Fall selbst ist unterhaltsam aufgezogen und Dr. Götz-Darsteller Peter Jordan bewegt sich bei seiner Performance zwischen gelegentlich überzeugender Bedrohung und gelegentlich augenrollender, zeichentrickartiger Irrer.

Ein «Tatort», der bekannte Geiselnahme-Pfade betritt: Geiselnehmer fuchtelt wild mit Pistole herum, Polizei verhandelt, Scharfschützen warten auf ihre Chance, irgendwann fällt auch der Klischeesatz: „Sie haben den Verstand verloren, Götz!“. Hier und da taucht noch ein kleiner Story-Twist auf, aber abseits der vertrauten Spannungsbrennpunkte bewegt sich «Feierstunde» nie.

«Tatort: Feierstunde» ist am 25. September 2016 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
23.09.2016 18:05 Uhr 1
Ich werde nie einen tatort aus Münster Sehen, hatte noch nie Bedürfnis dafür.
P-Joker
23.09.2016 19:57 Uhr 2


Hast du denn wenigstens jemals einen gesehen um so urteilen zu können?
Sentinel2003
23.09.2016 21:43 Uhr 3
Nö, man muss ja nicht alle Teams Sehen, oder?? Die, die ich Sehe, reichen mir!! Auserdem habe ich schon mal gesagt, das mir das Comdey - Dingens im tatort garnicht gefällt!!
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