Sülters Sendepause

Size does matter

von   |  2 Kommentare

Die großen US-Serien schrumpfen und schrumpfen - konnte man früher oft noch über 30 Episoden pro Staffel konsumieren, begnügen sich heutige Top-Formate nur zu gerne mit deutlich weniger. Doch ist weniger hier wirklich mehr? Steigt mit dem komprimierten Format die Qualität? Oder sind Serien 2016 nur noch ein One-Night-Stand-Äquivalent?

Es ist noch gar nicht allzu lange her - die Älteren unter uns mögen sich noch gut erinnern - da war es selbstverständlich, dass eine US-Networkserie über 20, teils an oder über 30 Episoden pro Staffel fasste. Das Jahr hatte schließlich zumeist 52 Wochen und es war schon schlimm genug, die Hälfte davon ohne das geliebte Format auszukommen.

Dann jedoch begann spätestens mit dem Einzug der Privat- und Pay-TV-Sender und später der Streamingdienste ein Wandel vorzugehen - plötzlich sackte die Episodenzahl knapp über zehn und teilweise sogar darunter. Was war geschehen? Gingen Hollywood die Ideen aus? Hatte man plötzlich die Formel für straffes Erzählen entdeckt oder gar im Labor gezüchtet? Ich habe mir das Thema in meiner Funktion als Serienjunkie einmal genauer angeschaut.

Früher war alles länger


Die Zeiten, in denen man noch fast jede Woche mit einer neuen Ausgabe seiner Lieblingsserie bedacht wurde, sind lange vorbei. «Rauchende Colts» begann bereits Mitte der 50er Jahre – und ließ damals noch annährend 40 Episoden pro Staffel auf die Zuschauer los. In den späten 60ern war man dann jedoch bereits unter 30 gefallen, die 70er Jahre brachten gar nur noch knapp über 20 neue Abenteuer pro Jahr hervor. Auch «Die Waltons» hatten sich von Beginn der 70er noch im mittleren 20er-Bereich aufgehalten und waren dann zum Ende hin kürzer getreten. So erging es zwischen den 50ern und 80ern jeder Serie – der Ausstoß sank, blieb dann aber lange Zeit im Bereich über 20 Episoden konstant. Eine feste Form für das Erzählen im TV schien gefunden.

Man möge es mir verzeihen – auch meine große Serienleidenschaft «Star Trek» muss hier Erwähnung finden, dienen die verschiedenen Inkarnationen doch gewissermaßen als Abriss der beschriebenen Entwicklung - und das innerhalb eines Franchise. Die Originalserie der 60er Jahre hatte noch um die 30 Episoden pro Staffel zu bieten gehabt. Ende der 80er hatte man sich dann für die drei Nachfolgeserien auf 26 Abenteuer festgelegt und zumeist – wenn nicht gerade ein Streik den Laden aufhielt - auch eingehalten. Als 2001 dann der letzte Ableger startete, war man bereits nicht mehr so konsequent und schrumpfte über zweimal 26 auf 24 und letztlich 22 Episoden. 2017 nun soll mit «Star Trek: Discovery» die nächste Serie starten – was die Anzahl der Episoden angeht absolut ein Kind seiner Zeit mit nur dreizehn Episoden pro Jahr. «Star Trek: Discovery» wird diese Konzentration auf wenige Abenteuer vermutlich gut tun – keine Staffel der Vorgängerserien hatte wirklich konsequent das Niveau und den Fokus hochhalten können.

Und das gilt eben auch für das heutige Network-TV: Nehme man Dauerbrenner wie «Grey´s Anatomy», «The Big Bang Theory» und «NCIS» oder kleinere Geschwister wie «Once upon a time» oder «Agents of Shield» - alle leiden unter starken Schwankungen, alle können hier und da begeistern und fallen dann auch wieder ins triste Mittelmaß oder gar darunter.

Man kann die qualitative Streuung einer Fernsehserie mit über 20 Episoden pro Jahr letztlich mit einer simplen Faustformel zusammenfassen: Ein Drittel der Episoden sind wirklich gut, ein Drittel sind nice-to-have und das letzte Drittel sind reine Füllerfolgen. Ob im Bereich Crime, Medical, Thriller, Action, SF oder Fantasy – überall findet man die gleichen Probleme.

Von dieser ungeschriebenen Regel gibt es jedoch selbstverständlich auch Ausnahmen: Die erste Staffel von «24» präsentierte zwar genaugenommen einen zweigeteilten Handlungsstrang, bestach jedoch dabei mit einer unerreichten nägelbeißenden Spannung. Das gleiche Kunststück gelang dem ersten Jahr von «Prison Break», das keine Verschnaufpause zuließ – und auch bei «LOST» konnte man dank der vielen potenten Charakterrückblenden und Mysterien im Auftaktjahr keine Langeweile spüren. Fakt ist jedoch auch, dass selbst diese drei Serien bereits in ihren jeweils zweiten Jahren allesamt begannen, in die Masse-statt-Klasse-Falle zu tappen und sich der oben beschriebenen Formel anzunähern.

Ratz-fatz für eine schnellebige Welt?


Und dann war sie auf einmal da – eine vollkommen neue Form der TV-Serie. Natürlich hatte es auch schon vorher immer wieder Mini-Serien gegeben, die in wenigen Episoden eine Handlung abschlossen. Dass man eine reguläre Fernsehserie jedoch direkt auf deutlich weniger Ausgaben pro Jahr beschränkte, war neu und direkte Folge einer Vielzahl neuer potenter Player auf dem Markt. Pay-TV-Sender und Streamingdienste, die ganz andere Anforderungen an ihre eigenen Produktionen stellen wollten und konnten und von anderen Faktoren abhängig waren, schossen sich auf kurze Staffeln zwischen 8 bis 13 Episoden ein.

So entstanden mutige moderne Klassiker wie die «Sopranos», «Six feet under», «The Wire», «Boardwalk Empire», heutige Megahits wie «Game of Thrones» oder Perlen wie «The Leftovers» oder die famose erste Staffel von «True Detective». HBO kann man hier durchaus als Vorreiter nennen, auch wenn man dort aktuell händeringend nach einem neuen großen Wurf fahndet. Vielleicht hat man diesen ja in «Westworld» gefunden?

Im Bereich der Streaminganbieter müssen natürlich Netflix und Amazon genannt werden - wobei man bei Netflix noch klar die Nase vorn hat. Sei es das charmant-verrückte «Sense8», das stilvolle Familiendrama «Bloodline» oder der aktuelle Hit «Stranger Things» - Netflix-Eigenproduktionen können oft begeistern. Dass man zudem einem Juwel wie «Black Mirror» ein neues Leben schenkt, nimmt der Serienfreund da nur allzu gerne mit. Bei Amazon gehen am ehesten noch «Transparent» oder «The Man in the High Castle» als überdurschnittlich durch - vielleicht kann ja das im Ansatz sehr amüsante «Jean-Claude van Johnson» in höhere Sphären vordringen.

Doch auch Showtime kann schon lange mithalten: «Homeland», «Dexter», «Weeds» oder «Californication» – alles überdurchschnittliche Serienkost in komprimierter Form. Der dritte Riese im US-Seriengeschäft ist aktuell AMC, wo man mit «Breaking Bad» vielleicht die beste Serie der vergangenen zwanzig Jahre präsentieren konnte. Doch auch «Mad Men» und «Better Call Saul» sollten nicht unerwähnt bleiben. Und dann wäre da ja auch noch «The Walking Dead», der größte AMC-Hit überhaupt. Bei diesem begann man ganz verschüchtert mit sechs Episoden, wagte dann im zweiten Jahr 13 Ausgaben und lässt, seit die Quoten endgültig durch die Decke gingen, inzwischen gleich 16 Mal pro Jahr die Zombies los und legte gar noch eine Ablegerserie nach. Dass diese Entscheidung eine klare Verwässerung bewirkt und die Füllerfolgen definitiv Einzug gehalten haben, nimmt man seitens des Senders natürlich gerne in Kauf. Hier biedert sich der kleine Qualitätssender wieder dem Massenmarkt an – ein Vorbote für eine Trendwende?

Qualitativer Kompressionsstrumpf


Wie man es auch dreht oder wendet – Serien mit kürzeren Staffeln haben uns zwar zuletzt oft echte Highlights beschert, sind aber selbstverständlich nicht zwingend ein Indikator für höhere Qualität. Man schafft es eben auch problemlos, sich bei der Ansicht von nur zehn Episoden quälend zu langweilen. Der Hund liegt immer in der Kompetenz der Autoren, Produzenten und des gesamten Teams begraben – und ist letztlich auch in großem Maße stoff- oder genrebedingt.

Dennoch kann das Straffen und Verdichten einer Idee eben durchaus wie der oben zitierte qualitative Kompressionsstrumpf wirken. Plötzlich ist man als Autor gezwungen, viel exakter zu planen, Figuren präziser und durchdachter zu zeichnen, redundante Nebenhandlungen direkt zu streichen oder auszudünnen und klarer auf den Kern der eigentlichen Geschichte zu kommen. Eine Serie wie «Breaking Bad» wäre mit doppelt so vielen Episoden niemals derart homogen und auf den Punkt zu erzählen gewesen. Hier muss man als nimmersatter Serienjunkie dann eben auch die eigenen Prioritäten abklopfen – lieber in kleinen Dosen Extraklasse serviert bekommen oder inflationär ausgeweitete Massenware? Gourmetrestaurant oder Fast-Food-Kette? Die Fragen im Leben sind oft dieselben – zumindest im Serienbereich profitieren entschlussunfreudige Zeitgenossen aber nun zumindest vom Trend. Weniger ist mehr. Weiter so.

Conclusio


Steckbrief

Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für Rezensionen, Interviews & Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne Sülters Sendepause und schrieb für Die Experten und Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch Es lebe Star Trek gewann er 2019 den Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei SYFY sowie freier Mitarbeiter bei Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins TV-Klassiker und des Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner Autorenseite.
Verallgemeinerungen einmal außen vor gelassen, haben die besten Serien der vergangenen Jahre vom Trend zu kürzeren Staffeln klar profitiert. Ein Allheilmittel wurde damit wie so oft aber natürlich nicht gefunden. Mist bleibt Mist, egal wie schnell er vorbei ist. Und wenn der Stoff einer Serie es hergibt, über Hunderte von Episoden erzählt zu werden, oder das Genre diese Menge trägt, ist auch weiterhin nichts dagegen einzuwenden. Es bleibt letztlich den Autoren und Produzenten überlassen, die eigene Idee und potentielle Kreativität realistisch einzuschätzen.

Merke: Wenn man weiß, was man zu sagen hat, liegt die Form des Ausdrucks immer im eigenen Ermessen – in der Hoffnung, mit dieser Kolumne nicht mehr geschrieben zu haben, als sie inhaltlich hergab, empfehle ich mich für diese Woche.

Der Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Mehr oder weniger Episoden? Genreabhängig oder nicht? Welche Serien haben am meisten von kürzeren Staffeln profitiert? Welche am meisten unter zu langen gelitten? Oder gibt es auch gegenteilige Beispiele? Verschenkte Möglichkeiten bei kurzen Staffeln? Serien, die wunderbar in der langen Form funktionieren? Denkt darüber nach und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.

In 14 Tagen sehen wir uns zur nächsten Ausgabe von «Sülters Sendepause».

Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.

Für konkrete Themenwünsche oder -vorschläge benutzt bitte die Kommentarfunktion (siehe unten) oder wendet euch direkt per Email an bjoern.suelter@quotenmeter.de.

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
08.10.2016 12:01 Uhr 1
Beim Thema Amazon gegen Netflix ist das Geschmackssache: ich bin nicht deiner Meinung, das Netflix klar die Nase vorne hat, Amazon hat genauso gute Serien!!



Und, deiner Meinung über die Episodenanzahl kann ich mich anschliessen: ich finde es auch sehr schade, das die heutige Ami - Serie durchschnittlich um die 13 Folgen hat, wer hätte das noch in den 70ern gedacht??



Zum Glück gibts mit NCIS und Grey Ausnahmen, die weiterhin über 20 Folgen pro Saison haben!
charLy®
01.12.2016 15:23 Uhr 2
Was für ein dumpfer/stumpfer Trick, elitär + arrogant, aber gut 90% werden es noch nicht einmal bemerken...... teilnehmen soll also nur wer auch zahlen kann? Schämt euch.....!!!!

by the way....

natürlich können unterhaltsame Serien gar nicht Staffeln genug haben, das lässt sich auch locker ohne Hirn(nach Gefühl...=die neue "Denkart.."?) beantworten...

cu/charLy®
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