Popcorn & Rollenwechsel

Die Videothek

von   |  1 Kommentar

Auch in Zeiten von Netflix, Maxdome und Co. gibt es sie: Videotheken. Und sie sind wahrlich einen Besuch wert, so einzigartig, wie sie sind.

Die Videothek. Man glaubt es kaum, doch sie existiert noch. Irgendwo in einer Seitengasse. Von außen sieht sie so aus, als sei sie gar nicht in Betrieb. So leblos. Mit so hässlicher Eigenwerbung an den Außenwänden. Und, kann das sein? Das jüngste Filmplakat an der gläsernen Eingangstür, das ist doch vier Jahre alt? Aber, ja, sie ist geöffnet. Die Videothek.

Die Videothek. Es ist wenig los. Und doch mehr als erwartet. Ein junges Pärchen, höchstens Anfang Zwanzig, schlendert zwischen den Regalen umher. In einem unmöglich einzuordnendem Hickhack aus „Hand in Hand gehen“ und „Getrennt voneinander ausschwärmen und Filmvorschläge aussuchen“. Ein Kerl mit Dreiundsechzigtagebart und abgewetzten Schuhen starrt ein Loch ins Kinderfilmregal. Und eine attraktive Mitdreißigerin, deren Schuhe nicht zum Rock passen, hält eine Adam-Sandler-Komödie, eine Nancy-Meyers-Romanze und einen wenig bekannten Japan-Horror in den Händen. Dabei verzieht sie verwundert die Schnute, als wolle sie sagen: „Wie zur Hölle sind die drei Filme in meinen Händen gelandet?“ Gute Frage. Bessere Frage: Wieso weißt du das nicht, du hast sie doch ausgesucht!?

Die Videothek. Der Typ mit Stufenschnitt hinter der Theke hat dich ausfindig gemacht. „Kann ich dir helfen“, fragt er. Und dreht sich im selben Atemzug weg. Um … Irgendwas hinter dem Regal zu machen, das an die Theke grenzt. Neben der Theke attackiert ein Neongelb-quietschblau-alarmrotes Plakat die Augen der Kundschaft. Und erklärt die Superdupermegakombiangebote. Sehr intuitiv: „Vier Filme, Fünf Tage, Zwölf Euro. Fünf Filme, Vier Tage, Neun Euro. Acht Filme, Eine Woche, Zwanzig Euro.* (*Gilt nicht an Kalenderwochen, die dienstags beginnen). Nur samstags bis Sonntag: Drei Filme, ein Videospiel, fünf Packungen Chips, sieben Euro! “ Jo. Erklärt sich von selbst. Die Videothek.

Die Videothek. Beim Spaziergang zwischen den Regalen fällt auf: Jedes. Cover. Ist. Ausgeblichen. Jedes! Selbst das zu «Brühe im Schritt: Die Magier K. Norr Story». Der Film kam erst gestern in den Verleih, verflixt! Und diese Videothek hat keine Fenster! Welche Hexerei steckt dahinter? Die Videothek.

Die Videothek. Soll das ein Suchspiel inklusive Preisausschreiben sein, oder weshalb befindet sich in jedem Themenregal ein Film, der da nicht hingehört? «Deuce Bigalow: European Gigolo» ist zwar kindisch, aber KEIN Kinderfilm. Wieso ist «Inception» bei Drama, «The Social Network» bei Komödie, «Top Gun» bei Musical und Kevin Smiths «Dogma» unter Horror? Trotz auserwählter Schauplätze und Daniel Brühl gehört «The First Avenger: Civil War» NICHT in die Ecke für deutsche Filme, und ja, sehr lustig, «Irreversibel» steht im Aktionsregal „Fürs erste Date“. Aber Hauptsache, seit fünf Monaten versauert «Kauf‘ mich nicht, sondern lad‘ mich illegal runter» in der „Neu und aktuell“-Ecke!

Die Videothek. Du entdeckst in den Winkeln dieses Schuppens stets irgendwelche Filme, von denen du noch nie gehört hast. Vor allem aus dem Horrorsektor. Und im Bereich sexuell aufgeladener Komödien. Wenn du sie ausleihen willst, zusammen mit einem Blockbuster, den der VoD-Anbieter deiner Wahl nicht im Portfolio hast, musst du dich erstmal hinten anstellen.

Die Videothek. Der Stammkunde befindet sich gerade mitten im Fachgespräch mit dem Videothekar. Sieben radikale Themensprünge später, von «TinkerBell» zu Tarantino zu «Schlaflos in Seattle» zu «Notgeile Schlampen rennen vom stummen Maskenkiller weg III: Jetzt wird’s matschig» und so weiter, bemerkt dich der Videothekar. Er lobt, dass Videotheken noch immer der günstigste Weg seien, legal an Filme zu kommen. Seine Netflix-und-Amazon-und-Maxdome-sind-sauteuer-Vorrechnerei? Undurchschaubar. Die Videothek.

Die Videothek. Jede zweite Disc, die du ausleihst, ist angekratzt. Selbst der Film, der erst seit vorgestern im Verleih ist. Was zum Teufel machen die Kunden bitte?! Was sie nicht machen, ist zumindest klar: Es gibt ein Regal mit Chips, Süßigkeiten und Getränken. Niemand schlägt zu. Noch nie hat hier jemand seine Snacks gekauft. Noch nie! Wahrscheinlich sind die Packungen leer. Oder sie enthalten wertvolle Schätze. Doch niemand wird es erfahren. Jemals. Die Videothek.

Kurz-URL: qmde.de/88621
Finde ich...
super
schade
82 %
18 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelTrump vs. Hillary: Debatte verliert rund 20 Prozent der Zuschauer - und einen Sendernächster Artikel«Bauer sucht Frau»: Warum schauen wir’s?
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Sentinel2003
10.10.2016 19:56 Uhr 1
Also, meine ehemalige Stamm Videothek ist nicht in einer Seitenstrasse, sondern direkt an einer Hauptsrasse....
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung