Hingeschaut

«Applaus und raus!»: Polak spaltet mit unberechenbarem Dirty-Talk

von   |  2 Kommentare

Derb, vulgär und nicht selten respektlos präsentierte sich der neueste ProSieben-Testlauf am späten Montagabend. Eine große Zuschauerschaft wird Oliver Polak damit gleich auf Anhieb exkludiert haben - doch der Rest erlebte ein nicht immer stimmiges, aber zu jedem Zeitpunkt spezielles Stück TV-Unterhaltung.

Montagabend-MAs (14-49) um 23:15 Uhr

  1. «10 Fakten» (4): 12,1%
  2. «Duell um die Geld» (4): 11,4%
  3. «Studio Amani» (8): 10,4%
  4. «Mission Wahnsinn» (4): 10,1%
  5. «In The Box» (4): 10,0%
  6. «Follow us!» (3): 7,2%
Durchschnittliche Werte aller ausgestrahlten Folgen (Zahl in Klammern).
Es war ein mutiges Versprechen, das ProSieben nach dem Ende von «TV total» aussprach: Nein, man werde dessen Sendeplatz nach 23 Uhr nicht bloß in den Dauer-Standby versetzen, sondern sich weiterhin an frischen und auch einmal mutigen Inhalten versuchen. Nach zehn Monaten lässt sich zumindest für den Montagabend sagen, dass der Sender Wort gehalten hat: Nur in Ausnahmefällen wie der Fußball-EM erlag man der Versuchung, den simpelstmöglichen Weg zu gehen und weitere Folgen des längst zum senderspezifischen Synonym für Dauerschleifen-TV verkommenen «The Big Bang Theory» zu versenden. Nach Ingmar Stadelmann darf sich nun sogar mit Oliver Polak ein weiterer Comedian austoben, der bislang eher in der zweiten Reihe agierte und nominell längst kein Garant für starke Quoten ist. Nein, im Falle von «Applaus und raus!» käme es nach Sichtung der Auftaktfolge schon einem kleinen Wunder gleich, sollte dies beim Massenpublikum tatsächlich fruchten - denn man scherte sich keine Sekunde um Sehgewohnheiten.

Das Konzept der Sendung ist denkbar leicht erklärt: Polak lädt Promis wie Normalos zu einer Gesprächsrunde ein, die möglichst nah am echten Leben sein soll, keineswegs in oberflächliche Selbstinszenierungs- oder Promo-Plappereien abdriften darf und in welcher der Talkmaster stets den Buzzer ganz nah an seiner Seite hat. Drückt er ihn, ist das Gespräch mit seinem Gegenüber augenblicklich beendet und der nächste Gast darf sich versuchen. Was Polak einfordert: "Ich will berührt werden von Menschen, ich will spannende Geschichten hören, die man vorher noch nie gehört hat. [...] Der Überraschungs-Effekt ist so echt und so gut, das darf und kann man nicht faken."

Zu sehen bekommt man aber erst einmal den etwas bemühten Versuch, in einem vorproduzierten Clip mit einigen ProSieben-Gesichtern den Umstand aufzubereiten, dass dieses Format nun den ewigen Raab ersetzen soll. Nach einem kurzen Standup-Part, bei dem die vorgetragenen Gags nicht so recht zünden wollen und in Polak-typischer Manier auch eher die Grenzen des humoristisch noch Machbaren und Verdaulichen auslotet als ein Feuerwerk der guten Laune zündet, geht es dann nach einigen Minuten doch ans Eingemachte: Oliver Pocher betritt als erster Gast die Bühne und soll anschließend mehrere Minuten damit beschäftigt sein, sich selbst, sein Auftreten in der Öffentlichkeit und seinen angeblich unstillbaren Drang nach televisionärer Aufmerksamkeit zu rechtfertigen. Das ist nicht produktiv, wenig erkenntnisreich - und irgendwann ist dann auch erstmals der Buzzer betätigt. Es soll nicht das letzte Mal bleiben.

Spätestens bei der Spiegel-Online-Kolumnistin Margarethe Stokowski aber, die sich nach einem weitgehend irrelevanten Kurzauftritt von Rapper Frauenarzt auf den Sessel setzt und sich etwas zu verbissen und mit zu weit erhobenem Zeigefinger für Frauenrechte und Feminismus einsetzt, taut Polak spürbar auf - und die derben Sprüche fliegen dem Zuschauer nur so um die Ohren. Nicht selten bleiben die Gespräche mit den Gästen substanzarm, nicht wenigen dürfte die "haha, ich habe einen rassistischen Witz gemacht"-Dauerattitüde auf die Nerven gehen und sogar ziemlich viele weitere dürften einigermaßen desillusioniert per Klick auf die Fernbedienung schnell das Weite gesucht haben. Auf der Haben-Seite schlägt gleichwohl eine bei Talkshows nahezu beispiellose Unvorhersehbarkeit zu Buche und wer sich auf das schräge "Konzept" mit diesem komischen dicken Mann einlässt, wird mit unschlagbar hoher Offenheit und einem äußerst dynamischen, temporeichen Ablauf entlohnt.

Mehr zu Oliver Polak

Polak wurde 1976 geboren und moderierte zu Beginn seiner Karriere unter anderem bei VIVA und im RTL-«Disney Club». Bevor er sich hauptsächlich der Stand-up-Comedy verschrieb, war er auch als Schauspieler tätig, unter anderem in der RTL-Sitcom «Bernds Hexe». 2014 ließ er sich wegen schwerer Depressionen behandeln, was er im Sachbuch «Der jüdische Patient» verarbeite. Zuletzt war er acht Mal an der Seite von Micky Beisenherz in der WDR-Sendung «Das Lachen der Anderen» zu sehen.
Etwas bedauerlich mutet es bei aller offen zur Schau getragenen Scheißegal-Haltung aber schon an, dass man inhaltlich aus kaum einem Gespräch etwas mitnimmt - weil der Moderator seine Gäste eher als Kanonenfutter nutzt, als mit ihnen mal wirklich ins Detail zu gehen. Das ist völlig okay und nur konsequent bei den Menschen, die ihn offensichtlich nicht interessieren, dass er aber keinem einzigen Kandidaten mehr als ein paar wenige Minuten Redezeit gönnt, ist schade. Und hier muss sich Polak dann eben auch ein wenig den Vorwurf der Oberflächlichkeit gefallen lassen, in die er im hervorragenden WDR-Format «Das Lachen der Anderen» mit Micky Beisenherz kaum abgerutscht ist. Zumal ein paar substanzielle Talks eine willkommene Abwechslung darstellen und die Spreu vom Weizen trennen könnten.

Wie hat euch der Auftakt von «Applaus und raus!» gefallen?
Sehr gut, ich freue mich schon auf die weiteren Folgen.
12,4%
War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
22,7%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
51,6%
Habe es (noch) nicht gesehen.
13,3%


So oder so ist «Applaus und raus!» einer der mutigsten Versuche von ProSieben in seiner jüngeren Sender-Vergangenheit, eine neue Show an den Mann zu bringen. Hinsichtlich der Einschaltquoten ist kaum mit einem großen Kassenschlager zu rechnen, pfeift die Show doch auf zu viele Konventionen, auf denen es sich vielleicht auch einfach zu viele Konsumenten bequem gemacht haben - mit der Folge, dass Mittelfinger-Fernsehen dieser Couleur auf den großen Programmstationen inzwischen kaum mehr eine Bühne hat. Wer auf abwechslungsreiche, gnadenlos ehrliche und nicht selten auch geschmacklose Unterhaltung steht und sich von einer Talkshow nicht zwingend tiefsinnige Dialoge erwartet, der dürfte seinen Spaß an diesem rotzig-vulgären Versuch haben, einmal "etwas anderes" Fernsehen über die Flimmerkiste laufen zu lassen. Fraglich nur, wie viele Menschen das am Ende des Tages sein werden.

«Applaus und raus!» läuft derzeitigen Planungen zufolge noch viermal montagabends gegen 23:10 Uhr auf ProSieben.

Kurz-URL: qmde.de/88929
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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
25.10.2016 10:16 Uhr 1
Mein Kommentar: ab in die Tonne damit!!
Rodon
25.10.2016 10:26 Uhr 2
Könntest du das mal etwas näher begründen?

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