Filmfacts: «Die Wildente»
- Kinostart: 27. Oktober 2016
- Genre: Drama
- FSK: 12
- Laufzeit: 96 Min.
- Musik: Mark Bradshaw
- Kamera: Andrew Commis
- Buch und Regie: Simon Scott
- Darsteller: Sam Neill, Geoffrey Rush, Miranda Otto, Paul Schneider, Odessa Young, Anna Torv, Kate Box, Sara West
- OT: The Daughter (AUS 2015)
Menschliche Dramen in Twin Peaks' Nachbarschaft
Christian (Paul Schneider) kehrt für die Hochzeit seines Vaters Henry (Geoffrey Rush) mit der sehr viel jüngeren Anna (Anna Tory) in seine Heimatstadt zurück, die durch die Schließung der Holzwerkes, der einzigen Einnahmequelle, bedroht ist. Er trifft seinen alten Freund Oliver (Ewen Leslie) wieder, der in der kleinen Stadt geblieben ist und im Sägewerk, das Henry gehört, arbeitete. Als Christian Olivers Familie, seine Frau Charlotte (Miranda Otto), seine Tochter Hedvig (Odessa Young) und seinen Vater Walter (Sam Neill) kennenlernt, entdeckt er ein Geheimnis, das Olivers Familie bedroht. Als er versucht, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, erschüttert er damit die Leben deren, die er vor Jahren zurückgelassen hat.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, das kleine Städtchen, in welchem sich die familiären Verwicklungen von «Die Wildente» abspielen, läge in direkter Nachbarschaft zu Twin Peaks. Das liegt nicht nur daran, dass auch hier die Haupteinnahmequelle offenbar in der Holzwirtschaft liegt, sondern auch an der ähnlichen Bildsprache, die Kameramann Andrew Commis («The Slap») hier walten lässt. Das aus noblen Anwesen, dichten Wäldern und ebenjenem Sägewerk bestehende Setting entwickelt mit der Zeit eine solche Beklemmung, dass die vielen zwielichtigen Verwicklungen der Hauptfiguren darin ihr perfektes Umfeld gefunden zu haben scheinen. Wenngleich sich die mysteriösen Vorkommnisse der beliebten David-Lynch-Serie in «Die Wildente» selbstredend in Grenzen halten. Trotzdem besitzt auch der von Simon Stone geschriebene und inszenierte Film hauptsächlich deshalb seinen Reiz, weil die Geschichte zwar zu jedem Zeitpunkt andeutet, dass ein Großteil der handelnden Charaktere ein Geheimnis birgt. Bis es zur Offenlegung desselben kommt, müssen allerdings erst einmal zwei Drittel des Filmes vergehen, die Stone damit verbringt, das familiäre und freundschaftliche Konstrukt der beiden wichtigen Familien so komplex wie möglich aufzuspinnen. So ist auch die bereits in der Eröffnungsszene ins Spiel gebrachte, titelgebende Wildente lediglich der Anfang einer sich durch den gesamten Film hindurch schlängelnden, symbolischen Aufladung, die wie ein Damoklesschwert über der Geschichte hängt.
Alte Vorlage, neue Sichtweisen
Wenn der Hobbyjäger Henry den flauschigen Gesellen bei einem Jagdausflug am Flügel trifft und es anschließend nicht übers Herz bringt, sie zur Erlösung ihrer Qualen von Angesicht zu Angesicht zu erschießen, spricht es schon Bände, wenn er sie schließlich zur Gesundpflege an seinen Freund Walter übergibt. Es soll nicht das erste Mal sein, dass seine Familie ausbaden muss, was Henry oder seine Angehörigen verbockt haben. Damit bildet diese Szene den Auftakt für ein Geschehen, das unter einer weniger fähigen Regie schnell ins Melodramatische abdriften könnte. Doch der Subplot um die frisch verliebte Hedvig und ihre Probleme, sich als moderner Teenie in das mitunter recht steife Umfeld zu integrieren, verankert die angestaubte Vorlage im Hier und Jetzt. Auch die als Drama beginnende, sich später aber immer weiter zu einem ruhigen, aber nicht minder intensiven Thriller entwickelnde Dramaturgie wirft einen sehr genauen, moderne Themen wie etwa Patchwork anreißendenden Blick auf die Wertigkeit der Familie als Mikrokosmos, den schon kleine Details leicht ins Wanken bringen können. In diesem Fall bringt der Stein des Anstoßes eine hochemotionale Kettenreaktion ins Rollen, die rückblickend die Frage stellt, ob es manchmal besser ist, etwas für sich zu behalten, weil die Auswirkungen des Gesagten schlimmer sein können, als das Leben unter einer Lüge.
Auch der erzählerische Fokus von «Die Wildente» verändert sich. Akzeptiert der Zuschauer zu Beginn noch den zwar ein wenig undurchsichtigen, wohl aber auch nicht besonders herausstechenden Christian als Protagonisten, wird die von Odessa Young («Looking for Grace») fantastisch passioniert verkörperte Hedvig sukzessive von der passiven Kenntnisnehmerin zur aktiven Voyeurin. Gleichwohl kann sich die zwischen kindlicher Euphorie und schwermütiger Weisheit chargierende Figur auch dann nichts gegen die drohende Katastrophe übernehmen, wenn sie sie kommen sieht. Wann immer sich etwas auch für sie Folgenschweres ergibt, erfährt sie erst viel zu spät davon und muss die Entscheidungen ihres Umfelds akzeptieren. Wenn sich im letzten Drittel all diese Hilflosigkeit in einen herzzerreißenden Nervenzusammenbruch Hedvigs entlädt, dann ist das vor allem deshalb kaum zu ertragen, da sich mit keiner Figur so stark sympathisieren lässt, wie eben mit Hedvig. Das verwundert. Schließlich ist die Teenagerin jünger als vermutlich ein Großteil des den Film ansprechenden Publikums. Doch nicht nur die allesamt weitaus zurückhaltender aufspielenden Altmeister wie Rush («Die Bücherdiebin»), Sam Neill («Jurassic Park») oder Miranda Otto («The Homesman») geben Odessa Young die Bühne, die sie braucht. Im Kern verkörpert sie bloß jenes Kind in uns, das sich in Schicksalsschlägen verdammt hilflos vorkommt.
Fazit
Das auf Ibsens gleichnamigem Theaterstück basierende Familiendrama «Die Wildente» ist eine atmosphärisch dichte, herbe und durchgehend starke Auseinandersetzung mit dem Thema Verdrängung, das aufgrund seiner Erzählweise durch die Augen der jugendlichen Hedvig besonders mitreißend geraten ist.
«Die Wildente» ist ab dem 27. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel