Quotenleck
Klare Antwort: Vermutlich nicht. Im ersten Jahr sammelte die damals neue und innovative Show satte 3,23 Millionen Zuschauer und 11,0 Prozent Marktanteil ein. 2,55 Millionen davon waren werberelevant – was tolle 21,2 Prozent bedeutete. Der Lack war jedoch schnell ab. Im zweiten Jahr kam fast eine Million abhanden, im vierten hatte sich die Zuschauerzahl bereits mehr als halbiert. Einem kleinen Zwischenhoch im fünften und sechsten Jahr folgte dann sukzessive der endgültige Absturz über 1,67 Millionen bis zum Tiefpunkt von nur 1,29 Millionen 2013. Zuletzt lag man mit 1,44 und 1,46 Millionen zwar wieder besser, hatte aber auch über die Jahre den Marktanteil insgesamt auf rund 7 Prozent in den Keller gefahren.
Auch die Sampler, die in den ersten zwei Jahren noch die Spitze der Charts erklimmen konnten, verkauften sich zunehmend schwerer. Irgendwie schien die Show jegliche Massentauglichkeit verloren zu haben. Doch warum?
Die Realität frisst die Romantik auf
Eigentlich war das Konzept doch perfekt durchdacht. Eine Show, die – im Gegensatz zu dem Heer an uniformen Castingshows – bereits fertige, aber noch unbekannte Regional-Bands und Künstler präsentiert, die dann auch noch für ihr Bundesland einstehen konnten, erste große Bühnen- und TV-Erfahrung sammeln durften und vielleicht dank Raab am Ende den Sprung in eine deutschlandweite Karriere schaffen würden.
Liest man sich die Liste der Sieger durch (Juli, Seeed, Oomph!, Subway to Sally, Peter Fox, Unheilig, Tim Bendzko, XAVAS, Bosse, Revolverheld, Mark Forster) fällt jedoch sofort auf: Ein Sieg war einem Underdog nicht vergönnt. Auch auf den weiteren Podiumsplätzen findet man Bekanntes: Hier tummeln sich Acts wie Fettes Brot, Sido, In Extremo, Jan Delay, Clueso, Ich+Ich, Kim Frank, Silly, Donots oder Yvonne Catterfeld. Nur selten verirrte sich mal ein regionaler Exot wie MC Fitti, Teesy, Ich kann fliegen oder Flo Mega in diese Regionen.
Eine Band, die ihren regionalen Erfolg nicht zuletzt durch ihre Teilnahme und ihren vierten Platz 2011 steigern und ausweiten konnte, war hingegen Glasperlenspiel – und das sogar bis heute und somit nachhaltig. Dies blieb jedoch eine Ausnahme.
Das Leben ist eben kein Theoriekonstrukt. So schön man sich das alles hätte malen können, zeichnete die Realität mit den Jahren leider ein eher negatives Bild. Nicht zuletzt unter dem zunehmenden Quotendruck holte die Redaktion mehr und mehr bekannte und etablierte Künstler, überregionale Stars und Profis auf die Bühne, die die Show nur nutzten, um ihre ohnehin erfolgreiche Single oder das neue Album zu promoten. Diesen Künstlern wurde dann der Einfachheit halber auch nicht auferlegt, ein bisher wenig bekanntes Stück zu spielen – nein, es durfte gerne der bereits bekannte und in den Radios totgespielte Hit sein. Speichelleckerei der übelsten Sorte und ein Schuss in den Allerwertesten der Nachwuchs-Acts, die sich somit in einem kaum mehr fairen Wettstreit zu behaupten hatten. Dass dieses Vorgehen den Quoten scheinbar nie half, blieb dann am Ende nur umso tragischer.
Die Gewohnheiten der Menschen, was das Erkennen und Entdecken eines Hits angeht, sind schlicht eingefahren. Man mag was man kennt oder schon tausendfach gehört hat. Wie soll sich in diesem Kontext eine Schülerband aus Bremerhaven mit einem Lied, das noch nie jemand vorher gehört hat, gegen den aktuellen Radiohit von Revolverheld, Unheilig oder Juli durchsetzen? Möglich ist das sicher immer, doch in der Realität funktioniert der Musikmarkt in den seltensten Fällen auf diese Weise.
Gerade von einem Stefan Raab hätte man hier etwas mehr Rückgrat erwarten dürfen – letztlich hat er sich aber mit seinem Format dann doch lieber zum reinen Vorzeige-Grinser der Musikindustrie gemacht.
Ein zweites Problem der Konzeption baute sich ebenfalls über die Jahre auf: Hätte man eigentlich erwarten dürfen, dass ein Act auch wirklich nur das Bundesland vertritt, aus dem er stammt oder in dem er lebt, drängte sich zunehmend der Eindruck auf, dass es die Redaktion hinter den Kulissen damit nicht so genau nahm.
Dass des Drummers Schwippschwager einmal einen Latte-to-go am Stuttgarter Hauptbahnhof gekauft hatte, reichte dann im Zweifel schon für die Teilnahme eines Bremer Quintetts mit zwei gebürtigen Sachsen und drei Nordfriesen als Act für Baden-Württemberg. Hier wurde hinter dem breiten PR-Grinsen so lange getrickst und gebastelt, bis es irgendwie passte – nur um eben genau die Künstler zu bekommen, die man am Ende gerne auf der Bühne sehen wollte.
Wie clever wäre es stattdessen gewesen, hätte Raab einen der vielen überregionalen Talentwettbewerbe unter seine Fittiche genommen (oder einen eigenen gegründet), der in regionalen Contests die Landessieger hätte bestimmen können? Hier hätte man respektable Basisarbeit geleistet, dem ganzen einen nachvollziehbaren Anstrich gegeben und letztlich wirklich die Acts auf die Bühne gebracht, die die Musikszene der verschiedenen Länder hervorgebracht und selbstständig gewählt hat.
Stefan Raab sagte einmal, er wollte den «ESC» für die deutsche Musikszene adaptieren, jedoch explizit ohne die intransparenten politischen Irrungen und Wirrungen des Vorbilds. In die gleichen Fallen getappt ist er dann aber leider trotzdem.
Conclusio
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für Rezensionen, Interviews & Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne Sülters Sendepause und schrieb für Die Experten und Der Sportcheck.Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch Es lebe Star Trek gewann er 2019 den Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei SYFY sowie freier Mitarbeiter bei Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins TV-Klassiker und des Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner Autorenseite.
Durch fehlenden Mut und unter dem Eindruck, alles für die heilige Kuh Quote tun zu müssen, zerfaserte das Konzept jedoch zunehmend und entblößte eine Dauerwerbesendung für satte Stars und Sternchen, die vieles, nur keine unbekannten Acts promoten wollte. Ein purer Selbstzweck für das Establishment – selbstverliebt und mit Scheuklappen. Schade – so sehr mir dieser kleine Gesangswettstreit 2016 also auch irgendwie gefehlt hat, so froh bin ich, dass er nicht mehr auf die gleiche lustlose und frustrierende Art wie die letzten zehn Jahre durchgezogen wurde. Vielleicht hat ja in ferner Zukunft jemand Lust, das Ganze noch einmal richtig umzusetzen? Viele Bands und Solokünstler würden sich alle Finger nach dieser Chance lecken.
Der Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Vermisst ihr den «BuViSoCo»? War euch die Star-Dichte zu hoch oder vielleicht doch genau richtig? Hättet ihr euch mehr Mut gewünscht? Denkt darüber nach und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
In 14 Tagen sehen wir uns zur nächsten Ausgabe von «Sülters Sendepause».
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
Für konkrete Themenwünsche oder -vorschläge benutzt bitte die Kommentarfunktion (siehe unten) oder wendet euch direkt per Email an bjoern.suelter@quotenmeter.de.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel