Die glorreichen 6

Die glorreichen 6: Kurz und knapp – Filme unter 90 Minuten (Teil IV)

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Sie stehen oftmals im Schatten dreistündiger Epen und fünfteiliger Filmreihen – dabei sind kurze Filme mindestens genauso beeindruckend. Diese Staffel "Die glorreichen 6" befasst sich mit Geschichten unterhalb einer Laufzeit von 90 Minuten. Weiter geht es mit «Drei Caballeros».

Die Handlung


Filmfacts «Drei Caballeros»

  • Leitende Regie: Norman Ferguson
  • Szenenregie: Clyde Geronimi, Jack Kinney, Bill Roberts, Harold Young
  • Produktion: Walt Disney
  • Story: Homer Brightmen, Ernest Terrazas, Ted Sears, Bill Peet, Ralph Wright, Elmer Plummer, Roy Williams, William Cottrell, Del Connell, James Bodrero
  • Originalsprecher: Clarence Nash, José Oliveira, Joaquin Garay, Sterling Holloway, Frank Graham, Fred Shields
  • Darsteller: Aurora Miranda, Dora Luz, Carmen Molina, Nestor Amaral, Trío Calaveras, Trío Ascencio del Rio
  • Kamera: Ray Rennahan
  • Schnitt: Donald Halliday
  • Musik: Edward H. Plumb, Paul J. Smith, Charles Wolcott, Ary Barroso, Ray Gilbert
  • Erscheinungsjahr: 1944
  • Laufzeit: 72 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Der wohl berühmteste Erpel und Matrosenanzugträger der Weltgeschichte hat Geburtstag: Donald Duck. Anlässlich seines Wiegenfests wurde dem heiser-nuschelnden Plattfuß ein überdimensionales Geschenkpaket zugesandt, in dem sich Geschenke seiner lateinamerikanischen Freunde befinden. So erhält Donald einen Filmprojektor inklusive einer auf Zelluloid gebannten Zusammenstellung von ulkigen Anekdoten über seltene Vögel. Außerdem hat sich sein alter Bekannter José Carioca, ein brasilianischer Gentleman-Casanova von einem Papageien, selber verschickt – in Miniaturform und innerhalb eines Pop-up-Buches über Brasiliens nordöstlichen Bundesstaat Bahia. Nachdem José Donald von dieser Küstenregion vorgeschwärmt hat, reisen sie in die von Musik durchzogene Pop-up-Version Bahias, wo sie mit einer singenden und tanzenden Gebäckverkäuferin anbändeln.

Wieder auf Normalgröße gezaubert, öffnen José und Donald das dritte und letzte Geschenkpaket: Ein prall gefülltes Paket aus Mexiko, in dem sich unter anderem ihr gemeinsamer Kumpan Panchito befindet, ein aufgedrehter, heißblütiger, Pistolen schwingender Gockel aus dem südlichen Nachbarsland der USA. Die drei munteren Gesellen feiern ein beschwingtes Fest, bestehend aus temperamentvollen Rhythmen, einem via fliegendem Teppich absolvierten Mexiko-Trip und verwegenen Flirts mit Strandschönheiten. Letztlich verfällt Donald der bildhübschen, menschgewordenen Stimme der Nacht über Mexiko – und taucht somit in eine surreale Welt der Emotionen, Farben und Formen ab …



Kurz und knapp – Warum «Drei Caballeros» nicht länger sein darf


In «Drei Caballeros» gibt es eine kurze Szene, die aufgrund ihres präzisen Timings um ein Vielfaches lustiger ist, als sie angesichts ihres schlichten Gags sein dürfte: Ein Erzähler erläutert hoch erfreut, dass die kleine, flinke Vogelart Pico Curvo bekannt dafür ist, ein chaotisch aussehendes, wüstes Nest zu bauen – das in Wahrheit aber sehr genau konstruiert ist. Währenddessen wirft ein knuffig gezeichneter Vogel eilig kleine Stöcke auf einen Haufen – und ein letzter Zweig bringt das „Nest“ zum Einsturz.

Eben diese Szene steht symbolisch dafür, weshalb «Drei Caballeros» mit etwas mehr als 70 Minuten Laufzeit perfekt ist: Die Walt-Disney-Trickstudios haben mit diesem Ausnahmefilm etwas ausgefallenes erschaffen, das konfus wirkt, aber so, wie es ist, grandios funktioniert. Dieses Konstrukt würde drohen, einzubrechen, gäbe es an irgendeiner der zahlreichen Zutaten des Trickfilmjuwels ein Zuviel.


Die 6 glorreichen Aspekte von «Drei Caballeros»


Wenngleich «Drei Caballeros» innerhalb des Disney-Filmkanons wahrlich nicht zur obersten Liga der bekanntesten oder einflussreichsten Produktionen zählt, so reiht er sich in die erste Klasse der filmhistorisch faszinierendsten Disney-Projekte. Denn «Drei Caballeros» ist überdeutlich ein Produkt seiner Zeit: Der Zweite Weltkrieg legte den schon in den frühen Jahren des Studios so wichtigen Auslandsmarkt lahm, auch der einheimische Markt war schwer angeschlagen. Notgedrungen willigte Walt Disney ein, für das US-Militär und die US-Regierung Auftragsarbeiten anzunehmen. Zudem rief die Regierung das 'Good Neighbor Program' ins Leben, das zum Ziel hatte, durch popkulturelle Diplomatie das Wohlwollen zwischen den USA und Lateinamerika zu stärken und somit den drohenden Einfluss des Naziregimes auf Lateinamerika zu unterbinden.

Walt Disney beteiligte sich an dem Programm und bereiste in einer 18 Personen starken, eigensinnigen Gruppe Südamerika – unter anderem beschloss „El Grupo“, die offiziellen Botschaften ebenso links liegen zu lassen, wie die von den „Good Neighbor Program“-Vertretern empfohlenen Orte und Veranstaltungen. Während dieses Trips sammelten die Disney-Künstler Inspirationen für Filme, die sich nicht nur vor der lateinamerikanischen Kultur verneigen, sondern auch das dortige Lebensgefühl wiedergeben. Nach dem semidokumentarischen Mischfilm «Saludos Amigos» sollte «Drei Caballeros» letzteres Ziel vollauf treffen: Trotz (oder gerade wegen) knapper Geldressourcen (zwischenzeitlich musste die Produktion gestoppt werden, weil kein Farbfilm zur Verfügung stand), verschmolzen disneytypische Cartoons über südamerikanische Vögel und Legenden, Recherchematerial über Land und Leute sowie folkloristische Musik und losgelöste Einfälle zu einem unvergleichlichen, sich in einen surrealen Wahn steigernden Erlebnis.

Das Rückgrat des rund 70-minütigen, mit Realfilmsequenzen bereicherten Zeichentrickexperiments ist dabei die schmissige Musik: Portugiesische Arien, wilde Sambarhythmen und fidele Klänge, die Lokalkolorit mit zugänglichem Disney-Flair vermengen. Diese packende musikalische Reise wird durch eine ebenso erstaunliche Farbexplosion begleitet: «Drei Caballeros» positioniert sich erhobenen Hauptes als Experimentalfilm innerhalb des Disney-Trickfilmkanons, mit wahrlich losgelöster, dynamischer Figurenanimation vor teils minimalistischen Hintergründen. Der klassische, rundliche Disney-Kurzfilm-Look macht im Laufe dieses Trips Platz für impressionistische Landschaftszeichnungen, expressionistisches Chaos mit Donald und seinen Freunden, surreale Späße im kantig-reduzierten Pop-up-Buch-Design, modernistische Pastellmalereien und völlig durchgeknallte Sequenzen in bester „Rosa Elefanten“-Tradition.

Diese Ansammlung von Stilen geschieht aber nicht völlig wahllos. Obschon «Drei Caballeros» auf jegliche Erzählkonventionen und dramaturgischen Regeln pfeift, verfolgt diese plotlose Zeichentrickparty einen konsequenten Aufbau: Was als lose zusammengehaltene Kurzfilmsammlung beginnt, nimmt durch zunehmend schrägere Witze (etwa über einen sonnenvernarrten Pinguin und einen fliegenden Esel) an Fahrt auf, ehe Donalds und Josés Bahia-Reise als erster psychedelischer Höhepunkt dient. Dann lässt diese Disney-Produktion kurz locker, um dann noch stärker anzuziehen und als Fest des Frohgemuts zügig in Richtung seines trippigen Finales zu tänzeln – derweil zeigt sich Donald Duck humoristisch vielseitiger denn je, erlebt Cartoonslapstick, punktet mit Situationskomik und ebenso trockenen wie süffisanten Gags. Und so wickelt er einen um seine weiß gefiederten Finger – ehe man es sich versieht, ist man fernab jeglichen filmischen Alltags und «Drei Caballeros» entfaltet seinen Spitzenstimmung erzeugenden Rauscheffekt. Denn diese ansteckend gut aufgelegte Geburtstagsparty ist ein Disney-Film, wie es keinen zweiten gibt. Man muss «Drei Caballeros» offenen Herzens und Geistes erlebt haben, um zu begreifen, was er leistet.

«Drei Caballeros» ist auf DVD erhältlich.

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