360 Grad

Das postfaktische Lombardi-Interview

von

Pietro Lombardi und Jan Böhmermann sind noch nie im selben Raum gesehen worden. Eine Satire.

Pietro Lombardi und Jan Böhmermann sind noch nie im selben Raum gesehen worden. Das hat Gründe. Denn wie unser Kolumnist erfahren hat, ist Lombardi eine seit Jahren gehegte Kunstfigur Böhmermanns. In unserem postfaktischen Interview enthüllt Deutschlands prominentester Satiriker seinen Coup.

Chapeau, Frau Engels! Glückwunsch, Herr Böhmermann! Sie haben die Medienmechanismen des Landes wieder vorgeführt und seziert wie in einem Proseminar.
Jan Böhmermann: Das war dieses Mal auch ein hartes Stück Arbeit. Erdogan zu provozieren, bis er im Westen untragbar wird, war dagegen eine Leichtigkeit. An diesem Pietro Lombardi haben die Redaktion und ich lange gesessen. Aber den bedeutendsten Teil der Arbeit hat ja RTL II für uns erledigt… (lacht)

Die natürlich von nichts wussten.
Jan Böhmermann: Und dabei hatte ich mich immer für zu dumm für RTL gehalten. Spätestens nach unserer «Schwiegertochter-gesucht»-Story dachte ich: Jetzt fliegen wir auf. Aber passiert ist nichts. Die haben mich nonchalant weiter den Pietro Lombardi spielen lassen.
Sarah Engels: Am Schluss hast du dir nicht einmal mehr Mühe gegeben.
Jan Böhmermann: Unsere Autoren ja noch weniger. Diese ganze zusammengestotterte Geschichte, die wir uns da ausgedacht haben, über unsere Trennungsgründe und dieses ganze Zeug. Meine Kunstfigur konnte das ja nicht einmal verständlich formulieren.

Wie sehr hat Sie die jahrelange Arbeit an diesem Projekt geschlaucht?
Jan Böhmermann: Leicht war’s nicht.
Sarah Engels: Es gab schon sehr schwierige Phasen. Natürlich hat mich die Produktion sehr in meinem Leben eingeschränkt. Ich habe nachts oft heimlich Nietzsche gelesen, damit RTL II nichts merkt.

Als promovierte Altphilologin haben Sie ja auch ganz andere Interessen als Ihre Figur.
Sarah Engels: Natürlich. Aber mich hat Jans Vision damals sofort überzeugt, als er mir vor ein paar Jahren dieses Langzeitprojekt vorgestellt hat, und ich wollte unbedingt mitmachen.
Jan Böhmermann: Dabei hatten wir uns zu diesem Zeitpunkt ja erst ein paar Eckdaten ausgedacht. Wir würden unter falschem Namen bei «DSDS» mitmachen und dann aufdecken, was RTL mit uns so für Geschichten erzählt.
Sarah Engels: Wenn ich damals gewusst hätte, dass die Auflösung fünf Jahre auf sich warten ließe, hätte ich vielleicht nicht mitgemacht. (lacht)
Jan Böhmermann: Aber RTL und seine Partnersender haben sich da völlig in uns verrannt. Die kamen mit immer mehr abgefahrenen Geschichten und Formatideen an, eine inhaltsleerer und abstruser als die andere. Da konnten wir nicht mehr abbrechen.

Und es waren ja bei weitem nicht nur RTL und RTL II, die an den Lombardi-Geschichten eine wahre Freude hatten. Bei einigen Portalen haben Sie sogar auf der Höhe der Berichterstattung zur amerikanischen Präsidentschaftswahl Trumps Sieg vom Topthemenplatz geschubst.
Jan Böhmermann: Ja, das sind diese Momente, in denen man nachdenklich wird. Wo es aufhört, witzig zu sein.
Sarah Engels: Und gleichzeitig die, die für unser Projekt am ergiebigsten und wichtigsten war. Vong Relevanz her. Oh, Entschuldigung, ich rutsche wieder in diesen fürchterlichen Duktus.
Jan Böhmermann: Das passiert mir auch immer noch. Weil da mein Ruf kaputt geht, net deina, habe ich erst gestern wieder in den Telefonhörer gebrüllt, als ich mit Erdogans Anwälten telefoniert habe.
Sarah Engels: Aber Sie haben recht: Eine Lappalie unseres Privatlebens hat die vielleicht wichtigsten Breaking News des Jahres unterbrochen. Das ist schon eine Leistung gewesen.
Jan Böhmermann: Manchmal habe ich gedacht, gleich muss sich die Kanzlerin äußern.

Haben Sie sich manchmal benutzt gefühlt von RTL II?
Jan Böhmermann: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wir haben ja sie benutzt. Und sicher auch vorgeführt, muss man sagen. Ich habe nur Angst, dass sie dasselbe nicht nur mit uns ausgefuchsten Medienprofis machen, sondern auch mit Leuten, die in jungen Jahren in dieses Geschäft geschliddert sind, Verträge unterschrieben haben, die sie gar nicht richtig lesen konnten, geschweige denn verstehen, und sich dann ewig mit deren Peinlichkeiten dumm und dämlich verdienen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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