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Kein Anschluss unter dieser Nummer

von   |  3 Kommentare

Jürgen Domian war der beste Beweis dafür, dass Talkfernsehen vom Zuhören lebt und nicht von der Lautstärke. Jetzt kappt er seine Leitung.

Programmhinweis

Der WDR widmet Domian in der Nacht von Freitag auf Samstag einen Themenabend. Um 23:30 Uhr läuft die Dokumentation «Domian - Interview mit dem Tod». Die letzte Ausgabe seiner Telefontalkshow folgt dann um 0:50 Uhr.
"Ich will die Sonne wieder sehen", sagt Jürgen Domian. Das Scheinwerferlicht strahlt auf sein Gesicht. Gelöst sieht er aus. Es ist jetzt raus. Sicher, das Hüsteln in der Domian-Community war groß, weil das Ende der Sendung zuerst in der Bild-Zeitung verkündet wurde. Aber als Jürgen Domian dann in der Nacht seinen Entschluss nochmal vor der Kamera verkündet, sind alle wieder versöhnt.

Überhaupt, seine Community. LKW-Fahrer, Nachtarbeiter und Schlaflose, natürlich. Aber auch all jene, die sonst kein Gehör in der Gesellschaft bekommen: Weggeschlossene Straftäter im Gefängnis, einsame Menschen mit schweren Erkrankungen. Und dann sind da noch die Fetischisten und die Abergläubigen. Domian erreichte mit seiner Sendung die Menschen, weil er ihnen eine Plattform gab: 10 Minuten meist nur, aber für viele Menschen die einzige Plattform, die sie hatten. Sie sahen in Domians Sendung Hoffnung, Hilfe zu finden oder Gleichgesinnte, einen Gesprächspartner, wenn es niemanden gab, der ihnen zuhörte, oder auch einfach nur: Eine Bühne für ihren Fetisch oder ihre Geschichte.

Sie hielten aus, dass «Domian» gerne auch mal zehn oder 15 Minuten später begann, weil der WDR wieder das Programm geändert hatte, aber pünktlich um zwei Uhr aufhören musste. Sie hielten aus, dass die Sendung in den sozialen Medien verspottet wurde und herhalten musste für x-fache Clips mit Fake-Anrufen. Und in den Medien stand dann der Mann mit der Rose im Penis, auf YouTube geistert der Mann mit dem Hackfleisch durch die Kanäle und in mancher Talkshow spielte selbst Domian mit den skurilen Anrufern.

Bühne für den Fetisch


Aber das ist Beiwerk einer Sendung, die all den Scripted Reality Formaten zeigt, was Authentizität bedeutet: Bei «Domian» erzählten echte Menschen davon, was es eigentlich bedeutet, einen Menschen zu pflegen. Wie ist es, wenn man bald in die Schweiz zum Sterben reist. Oder auch nur, von der Freundin betrogen zu werden. Und was wird jetzt mit dem Kind? Und Domian hörte zu, sagte manchmal seine Meinung, versuchte zu helfen mit seinem Publikum. Er war da, auch dann, wenn der Anrufer noch so abgründig war. Kritisch und doch menschlich. Im Hintergrund saß auch deswegen immer eine Psychologin, die die Anrufer nach der Sendung beraten hat und weitervermittelt an Stellen, die ihnen helfen konnten. Und nach der Sendung half sich die Redaktion selbst mit einer ausführlichen Nachbesprechung der Sendung.

Das ist das eine. Das Andere erzählt Domian immer wieder ganz beiläufig: Wie es eigentlich ist, jeden Abend von ein bis zwei Uhr nachts vor der Kamera zu stehen, kein Schichtbetrieb. Sozialleben findet dann nur noch eingeschränkt statt. Und jedem Menschen zuzuhören, eine Stunde lang, unvorbereitet und egal, über welches Thema. Und wie das ist, wenn man dann nachts alleine durch die einsame Stadt mit dem Fahrrad nach Hause fährt, noch ein wenig an seinen Buchprojekten schreibt und dann ins Bett geht, wenn andere sich in der morgendlichen Rush Hour durch die Stadt quälen.

Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Domian in seinen Büchern nur schwere Themen wie Religion und Tod verarbeitet. Aber auf leichte Art und Weise. Im Dokumentarfilm über Domian, "Interview mit dem Tod", gibt es eine Szene, in der Domian nach so einer Nacht nach Hause kommt. Sein Schlafzimmer ist leer und extra aufgeräumt, fast schon steril. Die Jalousie fährt runter. Die Nacht beginnt jetzt für ihn.

Sicher, es gab noch andere, die sich in seinem Genre versucht haben: Erika Berger ist berühmt geworden für ihre Erotikberatung im Privatfernsehen. Brigitte Lämmle lief acht Jahre im SWR durch ihr riesiges Studio und gestikulierte wild in die Kamera. Da saß Domian lieber mit zwei Scheinwerfern, einer Kamera und einem Glas Wasser im Studio. Kaum Gestik, keine Bewegung. Irgendwann kam dann eine zweite Kamera hinzu. Aber nur für ein paar kurze Einstellungen. Und er hielt sich 21 Jahre lang, eine Ewigkeit, erst recht im Fernsehen. Und eigentlich ist es ja auch eine schöne Geschichte, dass sämtliche Versuche, seine Sendung auszuweiten auf andere Formate, gescheitert sind. Am Ende war es die einfache Idee, sich an ein Telefon zu setzen und zuzuhören.

Und was kommt jetzt, wenn die Leitung tot ist? Domian geht erst einmal auf Talktournee in Nordrhein-Westfalen. Vielleicht schreibt er noch ein Buch. Vor allem aber wird er: Die Sonne wieder sehen.

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Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
Blue7
15.12.2016 17:58 Uhr 1
Finde es schade, dass man es bei den ÖR nicht geschafft hat einen Nachfolger zu finden, der Zeitgleich auf allen dritten Nachts zu sehen gewesen wäre.

Eine Ära geht wohl zu Ende
Adrianm
15.12.2016 22:43 Uhr 2
Bis dann, Jürgen.

Wir sehen uns eines Tages bei der Jugendarbeit in Lappland.
Kunstbanause
15.12.2016 22:45 Uhr 3
Ich hab das nie geschaut und habe das Gefühl, nichts verpasst zu haben.
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