Die Geschichte eines noch immer sträflich vernachlässigten Formats begann Anfang 2012, als das NDR Fernsehen der von Kritikern bereits vorab hochgelobten Serie wenig Vertrauen entgegenbrachte. Vorerst nur zwei der vier produzierten Folgen strahlte der NDR damals vom «Tatortreiniger» aus, da der Mittwochabend damals von Wiederholungen des «Großstadtreviers» belegt war. Obendrein kommunizierte das NDR Fernsehen die Ausstrahlung seiner neuen Serienperle mangelhaft, was sich darin äußerte, dass «Der Tatorteiniger» in Programmzeitschriften mitunter als Krimiserie oder gar als Dokusoap ausgewiesen wurde oder dass der NDR selbst die Hauptfigur als Heiko Schott und nicht als Heiko Schotte ankündigte. Die eigentliche Erstausstrahlung der ersten Staffel erfolgte dabei schon um Weihnachten 2011, wobei der NDR dem Format zur Weltpremiere nur Sendeplätze zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr zugestand.
Entgegen der schlechten Startvoraussetzungen machte sich «Der Tatortreiniger» schnell einen Namen unter Serienfans und ergatterte kurz darauf seinen ersten Grimme-Preis, sodass Das Erste noch im Frühjahr 2012 beschloss, das Format erstmals im Hauptprogramm zeigen zu wollen – allerdings vorerst nur in einer Episode. „Ich nenn das Angsthasenfußball und finde es etwas haltungslos“, polterte Hauptdarsteller Bjarne Mädel kurz darauf. Heute zählt «Der Tatortreiniger» sechs Ausflüge ins Erste, die alle quotentechnisch nicht überzeugten, dafür bescherte die von Arne Feldhusen («Stromberg») inszenierte Sendung dem NDR in der Zwischenzeit Quotenrekorde. Trotzdem wirkt es noch immer, als habe «Der Tatortreiniger» als qualitativ unumstrittene deutsche Ausnahmeserie nicht die Stellung inne, die er verdient hätte.
Ab Mittwoch, dem 14. Dezember 2016, strahlt der NDR die mittlerweile sechste Staffel des Formats aus. Quotenmeter.de nutzt die Gelegenheit, um die drei hoch großartige Episoden des noch immer unfreiwilligen Geheimtipps zu beleuchten und die liebenswerten Eigenarten des Formats herauszuarbeiten.
Staffel 1 – Episode 1: „Ganz normale Jobs“
Um der Faszination «Tatortreiniger» näherzukommen, führt kein Weg an der Pilotfolge vorbei, die bereits eindrucksvoll den Ton für die kommenden Staffeln setzte. Erstmals erleben wir den bauernschlauen Heiko „Schotty“ Schotte bei seiner Arbeit - eine Art ‚kleiner Mann‘, der, mit Thermoskanne und Salamibrot bewaffnet, einfach nur den für viele Menschen abstoßenden Job hinter sich bringen will, welcher ihn an den Tatorten jeweils erwartet. „Meine Arbeit fängt da an, wo andere sich übergeben.“ Dass dieser Satz einstudiert und Zeugnis von Schottys professionellem Selbstverständnis ist, zeigt sich auch in den kommenden Folgen, besonders deutlich aber in Folge eins der NDR-Serie, in der Schotty sich prahlerisch mit den Fernsehhelden aus «CSI» vergleicht und dabei selbstbewusst das fachmännisch klingelnde Kürzel SpuBe („Spurenbeseitigung“) bemüht, die er in Personalunion darstelle. Bloß nicht zu verwechseln mit einem Putzmann!
Vor allem, wenn der häufig schnoddrige Norddeutsche Gesellschaft beim Putzen bekommt, wechselt die Gleichgültigkeit, die er nach Jahren Berufserfahrung ob der blutigen Natur seiner Arbeit an den Tag legt, in aufrichtige Neugier angesichts der auftretenden Charaktere, die meist weiter nicht von Schottys sehr begrenzter und kleinbürgerlicher Lebenswelt entfernt sein könnten, aber mit seinem auf Lebenserfahrung und Halbwissen beruhenden Weltbildern kollidieren. So fällt die innere Balance des «Tatortreinigers», den Bjarne Mädel als kernigen und einfach gestrickten Schnauzbartträger anlegt, welcher sich im Angesicht fremder Menschen gerne abgeklärt bis seelenruhig gibt, innerhalb der Folgen meist relativ schnell in sich zusammen.
In Folge eins angesichts der von Katharina Marie Schubert gespielten Prostituierten Maja. Einer höchst unsichere Persönlichkeit, die eigentlich dem mittlerweile Toten einen Besuch abstatten wollte. So kommt es zur Interaktion zwischen zwei Personen, deren Beruf wohl der Großteil der Bevölkerung abschätzig bis naserümpfend zur Kenntnis nehmen würde, die aber beide ein hochseriöses Verständnis ihrer Profession haben. Schnell zeigt sich: Schotty ist in all seiner Normalität des alleinstehenden, hart arbeitenden Mannes im Kern auch ziemlich eitel und unsicher. Episode eins fungiert als Blaupause für die stets kammerspielartigen Aufeinandertreffen mit Dialogen zum Ohrenschlackern, in denen Schotty als „Mann des Volkes“ stellvertretend für den Durchschnittszuschauer in bislang fremde Lebenswelten eintaucht. Diese Gespräche angesichts der aufgrund des Todesfalls bewusstgewordenen Vergänglichkeit kommen häufig einem intimen und philosophischen Seelen-Striptease gleich.
Auf eine Meta-Ebene köstlichen medialen Selbstbezugs wird Episode eins schließlich geführt, als man nicht nur zu Beginn den Handy-Klingelton Schottys als Intro-Melodie des ARD-«Tatorts» identifiziert, sondern obendrein Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner in ihren «Polizeiruf»-Rollen die Szenerie betreten und Insider-Witze zum Besten geben.
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