Es scheint aber in der menschlichen Natur zu liegen, sich in eine Zeit zurück zu wünschen, in der alles einfacher war. Was wiederum wahrscheinlich nicht der Fall war, man wusste vielleicht einfach nur weniger von der Welt. Wer eine solche Zeit wieder zurück holen möchte, möchte vor allem ein fiktionales Zeitalter wieder aufleben lassen, in dem alles einer gemütlichen Struktur gehorchte. Aber gelegentlich kann es auch einfach ganz schön sein, wenn man sich an schöne Zeiten erinnert, ohne dass man sich der puren Selbsttäuschung hingibt. Denn die Gegenwart hat immer die Tendenz, ein bisschen erdrückender und deprimierender zu sein.
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Per Netflix-Stream in die Vergangenheit
Kaum ein anderer Streaming-Service ist besser dafür geeignet als Netflix. Dies soll nicht notwendigerweise plumpe Werbung für den erfolgreichen Medienkonzern sein, aber langsam finden sich hier immer mehr Serienlieblinge zusammen: von «Star Trek» über «Gilmore Girls» bis hin zu «Full House». Das bringt uns zur sogenannten Reunion- oder Revival-Show. Während Fans noch verzweifelt auf eine solche für die Comedy «Friends» warten - übrigens mittlerweile auch Teil der deutschen Netflix-Familie - hat es einen äußerst unwahrscheinlichen Kandidaten erwischt: «Full House» mit dem simplen, aber naheliegenden Titel «Fuller House».
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Piranhas stürzen sich auf die «Gilmore Girls»
Den «Gilmore Girls» widerfuhr ein ganz anderes Schicksal: Die Dramödie erfreute sich seit ihre Erstausstrahlung im Jahr 2000 immer größerer Beliebtheit und das schlagfertige Mutter-Tochter-Duo witzelte sich durch ein schnuckeliges Heile-Welt-Szenario. Das ist nicht unbedingt als Kritik gedacht, denn die Serie hatte dabei einen unwiderstehlichen Charme und wunderbare Figuren. Doch «Gilmore Girls» war immer eine Serie über Menschen mit einem gewissen privilegierten sozialen und ökonomischen Status. Kaum waren die neuen Episoden bei Netflix angekommen, sprossen schon die ersten Artikel aus dem Boden, die so wichtige Themen behandelten wie: Warum Rory Gilmore immer noch die Schlimmste ist. Warum der Journalismus in «Gilmore Girls» falsch repräsentiert wird. Es gab sogar einen Artikel darüber, wie sich Rory Gilmore ihre teuren Ausflüge nach England leisten kann, um dort unbezahlt für ein Buch zu recherchieren.
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Die Frage bleibt: Können solche Reunion-Shows tatsächlich noch funktionieren und überleben? Sind wir vielleicht aus unserer TV-Adoleszenz rausgewachsen mit unserer Schwarm-Intelligenz, die sich sofort und fast schon zynisch auf jedes noch so kleine Logikloch stürzt. «Akte X» hat das Ganze gerade noch so überstanden und eine Fortsetzung ist zumindest für den Moment nicht auszuschließen. «24» und «Prison Break» sollen noch folgen. Fest steht nur: Serien, die versuchen modern zu sein, aber dennoch nostalgisch in alten Zeiten zu schwelgen, nur um sich gerade damit wieder selbst ein Bein zu stellen, sind ein fast schon paradoxes, wenn auch interessantes Gebilde. Gerade in der heutigen hyperkommunikativen Zeit.
Aus Film mach Serie
Ein weiteres Phänomen am Nostalgie-Firmament, das sich gebildet hat, sind Filme, die für das Fernsehen adaptiert werden. Während Serien von geliebten Actionklassikern wie «Lethal Weapon» oder zumindest beliebten Actionklamotten wie «Rush Hour» fast unbemerkt in der Serienwelt dahin siechen, aber zumindest von der Internetkonversation verschont werden, ist aus der Serienadaption von «Westworld» noch einmal ein ganz eigenes Biest entwachsen. Zunächst einmal scheint es witzigerweise kugelsicher gegenüber jeglicher Art von Kritik zu sein: mal von der ein oder anderen Logikschwäche abgesehen, was die Funktionsweise des Parks angeht, kann so ziemlich jeder Kritikpunkt abgewehrt werden. Schwache, klischeehafte Figuren? Viele der Roboter sind so programmiert. Ebenso klischeehafte Storylines? Auch diese wurden so geschrieben, um auf einer Metaebene schwache und klischeehafte Storylines zu beschreiben.
Gleichzeitig ist die Serie über einen Westernpark, in dem empfindsame künstliche Intelligenzen immer und immer wieder missbraucht werden, perfekt für das heutige Internetzeitalter gestaltet. Die Adaption eines Science Fiction-Filmes von 1973 wurde zu einem Rätsel gemacht, das in noch drei andere Rätsel verpackt wurde, in dem darüber hinaus zwei Hütchen- und sechs Schachspiele stattfanden (ganz hyperbolisch beschrieben). Hier entwickelte die Internetschwarmintelligenz auf Reddit und in vielen anderen themenspezifischen Foren Theorien über verschiedene Zeitlinien, Plotpoints, über die Figuren selbst und wer oder was sie womöglich darstellen könnten und vieles mehr. «Westworld» ist bei weitem keine perfekte Serie, aber die perfekte Serie für das Internet-Zeitalter.
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Eine alte, neue Hoffnung
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Die Duffer Brothers, die Erfinder der Serie, haben damit eigentlich das ultimative Nostalgie- und Retro-Fernsehen erschaffen. Eines, das sich nicht qualvoll bemüht, einst heißgeliebte Serienzombies wieder auferstehen zu lassen, nur um diese am modernen Zeitalter scheitern zu lassen. So gesehen, kann nostalgisches Fernsehen durchaus noch eine Rolle spielen, wenn es sich vom Fanservice frei macht, etwas Neues in der Vergangenheit findet und frische 80er, 90er oder 00er Jahre- Luft durch den Elektrosmog im heutigen Wohnzimmer pustet.
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