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Seit kurzer Zeit ist allerdings ein Trend zu beobachten. Immer mehr stechen mir Kritikerkollegen ins Auge, die via Twitter oder Facebook ankündigen: „Schluss mit dem Gemecker! Ich werde dieses Jahr keine 'Worst of'-Liste veröffentlichen! Das Gezeter bringt doch nichts!“
Ehrwürdige Erkenntnis, dass ein Zuviel an Negativismus dem journalistischen Klima schadet? Einsicht, dass Kritiker sich nicht dauernd daran ergötzen sollten, alles doof zu finden? Oder einfach nur Schiss , nach einem absurden Jahr Teile der Leserschaft zu vergraulen? Angst, dass nach Monaten, in denen die ewige Reiberei zwischen schreibender Zunft und zahlendem Publikum lachhafte Ausmaße angenommen hat, eine kompakte Zusammenfassung der ärgerlichsten Produktionen das Pulverfass endgültig in die Luft jagt?
Ich muss mich einfach mal für Negativlisten stark machen. Natürlich nicht für die Art Meckerliste, in der handwerklich vollkommen annehmbare Filme, die einfach nur strunzlangweilig sind oder die ihrem riesigen PR-Hype nicht gerecht werden, als „der größte Kackhaufen in der Geschichte kackiger Kackhaufen“ bezeichnet werden. Insbesondere, wenn der nächste Film auf derselben Liste „ein Scheißfest der Kacklaune“ ist. Da darf sehr gerne Zweifel aufkommen, ob da nicht vielleicht jemand einfach nur sein Vulgärvokabular austesten möchte. Die «Angry Video Game Nerd»-Masche lässt sich halt nicht so mühelos kopieren (ganz davon zu schweigen, dass sie längst ausgelutscht ist).
Eine gut gemachte, nicht zwanghaft auf „Ich will jetzt anecken und mich über den ganzen Scheiß erheben!“ gebürstete Liste hingegen … Eine Negativliste, in der nicht ausschließlich unterdurchschnittliche Filme allein aufgrund ihres kommerziellen Erfolges vorkommen, „um denen da oben mal eins heimzuzahlen“ … Eine authentische, mit Passion, aber auch mit Verstand gemachte 'Worst of'-Liste … Ja, so eine bringt Glaubwürdigkeit in den Jahresrückblick-Hitlistenreigen. Sie rundet das Bild ab. Denn wir wissen die glänzenden Höhen toller Filme und die akustischen Wunder der besten Steeldrum-Dubstep-Crossover-Countrysongs nur so richtig zu würdigen, wenn wir uns vor Augen halten, wie schattig es mit unseren jeweiligen Steckenpferden werden kann.
Zumal nicht nur Lobgesang auf filmische Juwelen, sondern ebenso die Abrechnung mit den jeweils empfundenen Fehlschlägen den Diskurs vorantreiben kann. Es liegt nicht in der Natur der Textsorte 'Die schlechtesten …', dass sie ihrem gesamten Publikum harsch vor den Kopf stößt. Es ist die Umsetzung (und, ja, auch der Willen der Rezipienten, sich auf etwaige Gegenmeinungen einzulassen), die steuert, wie der Negativcountdown ankommt.
Es muss kein Zorn geweckt werden. Es kann auch ein „Wow, du findest den Film mies? Hätte ich nie gedacht, weil …“ wecken. Oder ein „Interessant, so habe ich es noch nie gesehen …“ Erst kürzlich hat ein Kollege im Zwiegespräch den von mir so hoch angesehenen «Ghostbusters» verrissen – in so nachvollziehbaren Worten, dass ich es bereichern fand. Und eben diese Austauschfunktion können auch interessant begründete Negativlisten erfüllen – den Kampf gegen Geschimpfe in allen Ehren. Aber das Kind gleich mit dem Bade auszuschütten, ist eindeutig der Flop 6 in der 'Worst of'-Liste der beschissensten Arschgeburten unter den Müllideen. Setzen, Sechs!
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
19.12.2016 10:11 Uhr 1
Natürlich sollte man Schlechtes nicht einfach totschweigen, aber was bringt es zu sagen: "Hier, der Film, der Kinoflop, den wir ohnehin schon alle vor Monaten gehasst haben, ist tatsächlich schlecht", anstatt den Lesern/Zuschauern gute Filme aufzuzeigen, die vielleicht völlig unter ihrem Radar flogen? Sorry, Negativität und ironische Snark-Kacke gibt es schon genug. Es ist nunmal viel einfacher, etwas nicht zu mögen. Aber was ist leidenschaftlicher, als sich für gute Filme einzusetzen?