Sie lesen es dieser Tage überall: 2016 war für progressive Geister ein fürchterliches Jahr. Boris Johnson, Donald Trump, Marine Le Pen und Frauke Petry – das sind in unserer postmodernen Zeit die vier Reiter der Apokalypse. Rückbesinnung auf die Nation – „Was bleibt denn noch?“, fragt schon Jakob Augstein – denn „A Citizen of the World is a Citizen of Nowhere“. Internationale Kooperation, auch wo’s wehtut, chinesische Briten, die das Minimum an Höflichkeit erwarten, nicht Chinks genannt zu werden, Homosexuelle, die mehr wollen, als geduldet zu werden, und Frauen, die ihre persönliche Erfüllung nicht in der Lebensrealität der Ära Adenauer sehen: Sie alle haben zwölf harte Monate hinter sich. Weißen Männern, die mit ihnen solidarisch sind, geht es ähnlich.
Angelica Jade Bastién vom englischen „Guardian“ hat immerhin einen positiven Trend ausmachen können: In ihrem Essay führt sie zahlreiche Beispiele für (vornehmlich angelsächsische) Stoffe auf, die weibliche Sexualität endlich nicht mehr durch die oft schwülstige heteronormative Brille männlicher Autoren, Regisseure, Showrunner und Rezipienten zeigen, sondern aus einer authentisch (!) weiblichen Perspektive erzählen. Dass diese Beobachtung mit einer Zunahme an mit Frauen besetzten Schlüsselpositionen hinter der Kamera korreliert, dürfte kein Zufall sein.
Die Frau nicht mehr als Sexobjekt, deren einzige dramaturgische Aufgabe darin besteht, ein paar Folgen lang von der männlichen Hauptfigur zum Beischlaf überredet zu werden. Vulgarität, die – den Riot Grrrls der 90er sei Dank – nicht mehr als tumber Widerspruch zur vermeintlich weiblichen Zartheit herhalten muss. Und, ein besonders beeindruckendes Beispiel, wie im französischen Film «Elle», brillant besetzt mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle, eine Vergewaltigung nicht mehr den primären Zweck erfüllen muss, eine männliche Figur zur Rache zu motivieren, oder den völligen psychischen Verfall der Opferfigur einzuleiten.
Einzig: Bastiéns Liste ist gespickt mit angelsächsischen Produktionen, unterfüttert mit der einen oder anderen französischen oder koreanischen. Ein deutscher Film – von einer Serie einmal ganz zu schweigen – findet sich an der Speerspitze einnehmend, realitätsgetreu und authentisch erzählter weiblicher Sexualität nicht.
Das 2017 zu verändern, wäre einer der besten Vorsätze, den deutsche Produzenten und Sender machen könnten.
Allen Lesern frohe Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr. 360 Grad wird am Freitag, den 6. Januar 2017 fortgesetzt.
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23.12.2016 20:54 Uhr 1