Serienperle im Kabeluntergrund
Im April 2013 startete die Serie über Daniel Holden, der nach 19 Jahren in der Todeszelle durch eine neue DNA-Analyse wieder freikommt, beim US-amerikanischen Sundance Channel. Letzterer Sender ist wohl nur den wenigsten Deutschen und auch bei Weitem nicht allen US-Amerikanern ein Begriff. Nach Messungen im Juli 2015 wird der Kabelsender in Besitz von AMC von 60,67 Millionen Haushalten und damit von etwa der Hälfte aller US-Haushalte mit Kabel-Abo empfangen. Erst 2012 begann der 1996 gegründete Kanal, sich auch an Eigenproduktionen zu versuchen, darunter die Miniserie «Top of the Lake», die dem Sundance Channel erstmals auch über die Landesgrenzen hinweg eine gesteigerte Aufmerksamkeit einbrachte. Zuletzt fiel der Name des Senders in Deutschland des Öfteren in Zusammenhang mit der in den USA sehr gut besprochenen RTL-Produktion «Deutschland 83», die dort ihre Weltpremiere feierte. Auch das deutsche Format brachte dem Kanal jedoch nicht den Durchbruch, noch immer locken die meisten Sundance-Serien pro Folge deutlich weniger als 400.000 Zuschauer an.
«Rectify» war dabei keine Ausnahme. Die Drama-Serie durfte sich zwar schon zum Start über positive Rezensionen freuen, trotzdem stellte das von Ray McKinnon erdachte Format bei dem breiten Markt an Qualitätsserien in den USA schlicht nicht die Sensation dar, die es zum Hit hätte werden lassen können. Immerhin fand «Rectify» Abnehmer im Ausland. In Deutschland zeigten Sky und arte das Format, allerdings mit wenig Zuschauerzuspruch. Auch beim Sundance Channel selbst bewegte sich «Rectify» quotentechnisch eher im Mittelfeld: Durchschnittlich 156.000 Zuschauer in Staffel zwei, immerhin mittlere 162.000 im Rahmen der dritten Runde. Keine Zahlen, die einen langfristigen Fortbestand der Serie rechtfertigen würden, gleichwohl die Qualität Beobachter durchgängig überzeugte und sogar stets zu hohen Rängen in den Jahresbestenlisten führte. So gab SundanceTV recht schnell nach Start der vierten Season Ende Oktober 2016 bekannt, dass «Rectify» nach der neuen Staffel enden würde.
Allerdings kam diese Nachricht zu einer Zeit, in der alle namhaften US-Kritiker in der vierten Staffel von «Rectify» den ganz großen Wurf im Serienbereich sahen: Der Metascore, ein Mittelwert, aller Kritikerwertungen bekannter US-Seiten, belief sich auf sagenhafte 99 von 100 Punkten. Damit stellte die acht Episoden umfassende Staffel mit Abstand das am besten bewertete Format 2016 dar. Die „New York Times“ bezeichnete «Rectify» dabei als Ausnahmeproduktion im bereits häufig beackerten Themenfeld um das Leben nach einem Gefängnisaufenthalt für ehemalige Häftlinge, deren Familie und eine gesamte Gemeinde, während „TV Guide“ in der vierten Staffel eines der ehrlichsten, feinsinnigsten und reinsten Charakterdramen überhaupt sah. Nicht wenigen Serienfans werden die überschwänglichen Kritiken verborgen geblieben sein. Generierte «Rectify» zum Finale hin also endlich die Aufmerksamkeit, die der Serie zustand?
Die beste Serie mit den schlechtesten Zahlen
Blickte man auf die Zahlen des Staffelstarts am 26. Oktober 2016, musste man zunächst zu dem Schluss kommen, dass die offenkundig herausragende Qualität der neuen Season noch nicht zum Fernsehpublikum durchgedrungen war. Mit 179.000 Zuschauern am Mittwochabend schnitt die erste Folge der neuen Staffel zwar über dem Schnitt der Vorstaffel ab, 0,06 Prozent bei den 18- bis 49-Jährigen reichten jedoch nicht einmal für einen Platz unter den 150 beliebtesten Kabelsendungen des Tages, die von FX‘ «American Horror Story» oder Live-Basketball angeführt wurden. Mit der zweiten Episode wurden die überschwänglichen Reviews zur neuen Staffel schließlich noch drastischer konterkariert: 102.000 Zuschauer ab zwei Jahren bedeuteten den niedrigsten Wert, der überhaupt für das Sundance-Format gemessen wurde.
Am 9. November gelangte die von «Breaking Bad»-Produzent Mark Johnson mitverantwortete Serie zu 126.000 Zuschauern, sieben Tage später zu 116.000 Zuschauern, die wohl jede Hoffnung auf eine deutliche Steigerung der Serie erübrigten. Zwar wurde «Rectifys» vierte Staffel zu dieser Zeit auch im Internet intensiver besprochen, wohl zu wenige Serienfans hatten das Format jedoch zuvor verfolgt, weshalb ein Einstieg zur vierten Staffel wohl für die meisten Interessenten nicht mehr in Frage kam. Verbesserungen auf niedrigem Niveau folgten in den kommenden zwei Wochen: Erst 154.000 Personen am 23. November, dann 172.000 am 30. November 2016. Im Rahmen der letzten beiden Folgen, die die Geschichte um Daniel Holdens Rückkehr ins Familienleben abschlossen, beliefen sich die Zuschauerzahlen nur noch auf 112.000 und 105.000 Interessenten.
«Rectify» steht damit stellvertretend für die paradoxen Gesetzmäßigkeiten der Fernsehlandschaft. Auch hierzulande kommen einige Formate trotz positiven Kritikerurteilen oft nicht an, zu nennen sei an dieser Stelle passenderweise «Deutschland 83», das zwar international die Herzen einiger weniger verzauberte, im Herkunftsland aber quotentechnisch enttäuschte. Die vierte Staffel des Sundance-Dramas «Rectify» treibt dies jedoch auf die Spitze: Das qualitativ gesehen mutmaßlich beste Format dieses Jahres rangierte mit durchschnittlich 133.000 Zuschauern unter den unbeliebtesten Programmen im Kabelfernsehen. In Zeiten von Streaming muss das letzte Wort hierbei jedoch noch nicht gesprochen sein. Vielleicht sind viele Serienfans gerade schon im Begriff, die Staffeln von «Rectify» nachzuholen, um der Produktion posthum zum verdienten Erfolg zu verhelfen. Bis dahin bleibt «Rectify» der Status, über den so viele sehenswerte Serien der vergangenen Jahre nicht hinwegkamen: Der des Geheimtipps.
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28.12.2016 13:44 Uhr 1