Hingeschaut

«Tutti Frutti»: Die Skandalnudel erschlafft

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Einst ein kultiges Guilty Pleasure, kam die äußerst kostengünstige Neuauflage bei RTL Nitro eher etwas verbraucht und angestaubt daher. Über eine Neuauflage, derer es nun wahrlich nicht bedurft hätte.

Infos zu «Tutti Frutti»

  • stammt aus Italien und gilt als erste erotische TV-Show im deutschen Fernsehen
  • lief in drei Staffeln zwischen 1990 und 1993 auf RTL plus
  • die Sendung wurde damals stets in Italien (Mailand) produziert
  • das leicht bekleidete Cin-Cin-Ballett war vertraglich fest an die Sendung gebunden
Erinnert man sich an die frühen 90er-Jahre zurück, fällt einem politisch auch nur ansatzweise interessierten Menschen wohl zuerst die Wiedervereinigung sowie der Niedergang der Sowjetunion ein. Dem Fernsehnerd wiederum dürfte dann auch schon relativ bald «Tutti Frutti» in den Sinn kommen, das gewissermaßen Pionierarbeit leistete und die Erotik auf eine skurrile und bis heute noch nicht abschließend dechiffrierte Art und Weise mit einer klassischen Spielshow verknüpfte - wodurch sie salonfähig und auf Deutschlands größtem Privatsender vor einem Millionenpublikum ausgestrahlt werden konnte. Nun mag man den reichlich sexistischen Ansatz des treffenderweise von Hugo Egon Balder präsentierten Formats anprangern, die allgegenwärtige Albernheit, die schrille, quietschbunte Aufmachung oder die niederen Gelüste, auf die man schon damals ganz offensichtlich abzielte. Doch der Kultfaktor und das innovative Element dieser Marke ist bis heute weitgehend unumstritten.

Im Gegenzug kann man sich nun einmal die Frage stellen, womit eigentlich das Jahr 2016 in Erinnerung bleiben wird. In Sachen Politik und Weltgeschehen dürften hier Terror, Tod, Krieg, Hass, Rechtspopulismus und gesamtgesellschaftliche Spaltungstendenzen weit oben auf der Hitliste rangieren - doch was wird beim Fernsehnerd haften bleiben? Nun, in erster Linie vielleicht eine in dieser Intensität noch nie da gewesene Fortsetzungs- und Comeback-Welle im Film, in der Serie und immer stärker auch in puncto Shows. Und mit «Tutti Frutti» lässt sich damit sogar der Kreis schließen, denn am vorletzten Abend des Kalenderjahres beglückte RTL Nitro sein Publikum mit der Neuauflage der erotischen Gameshow. Balder hat man dafür zwar nicht mehr begeistern können, doch mit Jörg Draeger immerhin einen ähnlich großen Namen des Genres - was allerdings auch schon so mit das Spannendste war, was sich über das neueste Revival einer 90er-Erfolgssendung sagen lässt, schließlich hat diese mittlerweile sichtlich Staub angesetzt.

Doch fangen wir in guter alter pädagogischer Tradition vielleicht erstmal mit den positiven Aspekten dessen an, was uns die strandgutmedia GmbH hier angeboten hat: Der ökonomische Umgang mit spärlich zur Verfügung stehenden materiellen und monetären Ressourcen sowie die gute Einschätzungsgabe der Verantwortlichen dafür, was das umzusetzende Konzept für Möglichkeiten bietet wären da zu nennen. Oder, um es etwas direkter auszudrücken: Es gelingt den Machern ganz gut, ihren Mangel an Ressourcen so zu verschleiern, dass er wie gewollt erscheint. Und im Wissen um die nicht einmal mehr ansatzweise abendfüllende Show-Idee lässt man das eigentliche Spiel oft und gerne ein wenig in den Hintergrund rücken und versucht sich stattdessen daran, mit zahlreichen Einspielern und kleinen Talks mit "alten Bekannten" aus dem «Tutti Frutti»-Universum das Retro-Feeling der alten Fans zu wecken bzw. potenziellen neuen Anhängern zu zeigen, warum man diesen Irrsinn vor der Kamera denn eigentlich freiwillig gucken könnte - also, so als Kind der 70er zum Beispiel. Womit die Kernqualität des Aufgusses auch schon benannt wäre: Erinnerungen wecken an damals.

Was dagegen fernab der Clips und der charmanten Laberecke mit Jörg Draeger so abgeht, muss man nun wahrlich nicht gesehen habe. Sein durchaus telegener, allerdings auch reichlich aufdringlich um permanenten Redeanteil bemühter Co-Moderator Alexander Wipprecht spielt mit zwei Kandidaten alte Spiele der Shows nach, die nun wahrlich nicht der Rede wert sind, aber zu den berühmt-berüchtigten Länderpunkten führen, welche dann wiederum in den nochmals berüchtigteren Strip-Einlagen irgendwelcher junger Damen gipfeln. Dazu dürfen - oder müssen - auch die Kandidaten selbst hin und wieder strippen, wodurch es kurzzeitig sogar mal dazu kommt, dass neben den zahlreichen Frauen auch zumindest ein Herr wenigstens ein wenig blank zieht. Achja, das "Cin-Cin-Playboy-Ballett" hat sich ebenfalls ins Jahr 2016 gerettet, steht zumeist Spalier im Hintergrund und darf in besonderen Momenten auch mal die Früchtchen auf den Brüstchen zeigen. Hihi.

Nein, schocken wird das wohl niemanden mehr, der die Vielfalt des Internets über Google, Spiegel Online und natürlich Quotenmeter.de hinaus einmal erkundet und dabei vielleicht auch schon einmal die eher versteckteren Schmuddelecken entdeckt hat. Damit geht der Show an sich aber viel von dem progressiven Touch verloren, der sie einst einmal popkulturell relevant gemacht hat. Die Spiele besaßen ohnehin nie eine größere Relevanz als die Erotik mit irgendetwas zu verknüpfen, das den Aufschrei des Publikums und der Medienwächter zumindest etwas abdämpft - doch wenn dann dem Uli und die Ulrike noch nicht einmal mehr beim Anblick diverser Nackedeis die Chipstüte aus den Händen fällt, weil man Selbiges auch an diversen anderen Ecken und Enden der Medienwelt zu Gesicht bekommt, hat dieses Format ein Problem.

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War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
16,6%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
29,7%
Habe es (noch) nicht gesehen.
35,2%


Letztendlich sollte die Neuauflage von «Tutti Frutti» also wohl besser eine einmalige Angelegenheit bleiben, die ihren Charme vorwiegend daraus schöpft, dass Draeger mit ein paar anderen alten Haudegen über damals redet, man mal wieder ein paar Bilder aus den 90ern zu sehen bekommt und auch die einstige Co-Moderatorin Monique Sluyter zumindest ein paar Sätze ins Mikro hauchen darf. Als Appetizer für eine neue Ära taugt diese ansonsten eher zäh und peinlich daherkommende Sparversion der Show dagegen kaum und vergegenwärtigt viel mehr, dass früher vielleicht doch nicht alles gut war, was ein Millionenpublikum vor die Fernsehgeräte lockte. Was man den Machern des italienischen Originals aber dann schon lassen muss: Die "Cin Cin"-Titelmelodie ist ein verdammt hartnäckiger Ohrwurm!

Weitere Ausstrahlungen der Show sind bisher nicht bekannt. Nitro kombinierte die Neuauflage allerdings mit Wiederholungen alter Classic-Ausgaben aus den 90ern, die zuvor lange nicht mehr in voller Länge im deutschen Fernsehen zu sehen waren.

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