Entgegen dem, was die Trailer und TV-Spots behaupten, handelt «Passengers» nicht davon, dass ein Mann und eine Frau 90 Jahre vor Ankunft an ihrem Ziel auf einem Raumschiff aufwachen, während der Rest der Passagiere noch seinen das Altern ausbremsenden Schlaf hält. Stattdessen dreht sich der Beginn des Films um einen einzelnen Mann, dem diese Misere widerfährt. Chris Pratt spielt dies mit Galgenhumor, der in „Das Beste aus der Sache machen“-Spritzigkeit übergeht und dann Schritt für Schritt zu wahnhafter Einsamkeit wird.
Als nach etwa einem Jahr dieses Wrack von einem Mann kurz davor steht, Selbstmord zu begehen, spielt er mit dem Gedanken, einen weiteren Passagier aufzuwecken – und ihm somit die vermeintlich sichere Zukunft auf einem noch 89 Reisejahre entfernten Planeten zu nehmen. Er hadert mit sich, was Pratt mit verletzten Hundeaugen und verlorenem Gesichtsausdruck darbietet, gibt letztlich aber nach, und reißt eine Journalistin aus ihrem künstlichen Schlummer – ohne ihr davon zu erzählen.
Dass sich daraufhin zwischen den beiden Figuren eine neckische Dynamik entwickelt, ist vertretbar. Lawrence und Pratt holen mit ihrem komödiantischen Timing und dem im Mittelteil süffisant-zynisch-doppelbödigen Humor viel aus dieser Prämisse heraus. Und dass sich nach dieser in gewisser Weise einem Mord (auf Zeit) gleichkommenden Tat «Passengers» nicht auf Anhieb zum Psychothriller wandelt, kann wohlwollend als strukturelle Überraschung gesehen werden. Ähnlich eines Slasherfilms, der vor dem brutalen Finale durch Humor seine Figuren menschlicher macht.
Dennoch muss diese den Film überschattende Tat auf langer Sicht Konsequenzen nach sich ziehen – und in der Skizzierung dieser wird «Passengers» endgültig vom glattgebügelten, aber kurzweiligen Blockbuster mit potentieller Sci-Fi-Psychokammerspiel-Prämisse zum Problemwerk. Nach allerlei süßlich-verspielten Liebesalbereien kommt das dunkle Geheimnis ans Licht. Von einer kurzen Montage abgesehen, in der Lawrence mit voller Inbrunst die Gefühle darbietet, die ihre Figur erfüllen, von Horror und Wut hin zu Abscheu, macht Tyldum ein RomCom-Missverständnis aus der Sache. Unsere füreinander bestimmten Helden liegen sich in den Haaren, aber eine freundliche Bildsprache, quirlige Hintergrundmusik und gewitzte Dialoge sowie gemeinsam überwundene Actionsequenzen führen sie nach dem Zoff schrittweise wieder zusammen!
In den letzten Filmminuten entwirft Tyldum mehrere Szenarien, in denen das Karma wieder ausgeglichen werden könnte. Aber die zwar leicht erklärte, dennoch gravierende und grauenvolle Verzweiflungstat bleibt ungesühnt. Viel schlimmer: Sie wird als die einzig richtige Entscheidung geschildert, eine mit fruchtbaren, aus inniger Liebe entsprungenen Nachwirkungen.
- © Sony Pictures
Es ist völlig akzeptabel, wenn Blockbuster-Figuren moralisch fragwürdig handeln und Plots ethische Fragen aufwerfen. Etwa: „Wie würdest du handeln, wenn du dein Leben retten und verbessern könntest, indem du die Pläne einer anderen Person zerstörst?“ Es müssen auch nicht einmal sämtliche unentschuldbaren Entscheidungen bestraft werden – Krimis, in denen der Mörder entkommt und Horrorfilme, in denen das Böse nur gehemmt, nicht aber bezwingt wird, sind nicht grundlos beliebt.
«Passengers» gehört aber nicht zu diesen fies-grimmen Geschichten. Sondern ist die fröhlich dahingesäuselte, ohne jeglichen Funken der Subversion versehene Geschichte eines Mannes, der zum Selbstschutz und zur Bespaßung das Leben einer Frau zum Entgleisen bringt. Sie verlieben sich. Sie kommt hinter den Ursprung dieser Romanze, woraufhin die Frau nach kurzem Wutanfall erkennt, dass er den richtigen Riecher hatte und sich ihm willig hingibt. Munter-romantische Streicherklänge, Happy End für alle! Das wird Teilen des Publikums zurecht den Magen verdrehen – und andere naiv-ahnungslos ein Weltverständnis in den Kopf setzen, das es zu bekämpfen, statt zu bestätigen gilt.
«Passengers» ist ab dem 5. Januar 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen. In 2D und kaum ausgenutztem 3D.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
06.01.2017 11:16 Uhr 1