Zur Medienpsychologie
Die Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der sich in der Forschung mit der Beschreibung, Erklärung und Prognose des Erlebens und Verhaltens, das mit Medien verknüpft ist, beschäftigt. Kern der Medienpsychologie als psychologische Teildisziplin, ist die Untersuchung des Handelns, des Denkens und des Fühlens im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien.Wikipedia
Die achte Staffel der Musik-Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» diente dem späteren Pärchen und Ehepaar als Sprungbrett für ihre musikalische und mediale Karriere. Pietro Lombardi, der seinen Lebensunterhalt nach dem Verlassen der Hauptschule ohne Abschluss mit einem Minijob auf 400 Euro-Basis verdiente und die aus Köln-Hürth stammende Sarah Engels, gelangten durch den Einsatz ihrer stimmlichen Talente nicht nur auf Platz eins und zwei der Talentsuche und damit zu lukrativen Plattenverträgen, sondern durch ihre Begegnung im Rahmen der TV-Show auch zu privatem Glück. Das ist die eine Seite der für viele glänzend schimmernden Medaille «DSDS», die ihrem Gewinner Erfolg und Ruhm verspricht.
«DSDS» – Affektfernsehen par excellence
Für die Gesangstalente und jene, die sich für eines halten, ist die Teilnahme am Fernsehformat jedoch auch mit Kosten verbunden, die sich materiell nicht beziffern lassen und daher von vielen Kandidaten umso bereitwilliger in Kauf genommen werden. Dabei soll der Umstand außer Acht gelassen werden, dass die Castings, die zu großen Teilen dazu genutzt werden, untalentierte und abgedrehte Persönlichkeiten der Lächerlichkeit preiszugeben, immer mehr Raum im Format einnehmen. Nein, ein Grund für die eskalative Natur des in der Öffentlichkeit ausgetragenen Privatlebens seitens des Ehepaars Lombardi, ist viel mehr die Zugehörigkeit von «Deutschland sucht den Superstar» zum Genre des „Affektfernsehens“.
Den Begriff Affektfernsehen prägten im Jahre 1997 die Medienpsychologen Gary Bente und Bettina Fromm. Die Bezeichnung bezieht sich auf solche Fernsehangebote, die sich in ihrem Programm auf Einzelschicksale und die emotionalen Befindlichkeiten der Protagonisten beziehen, wobei häufig die Grenze zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit überschritten wird. Bente und Fromm, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf die damals im Fernsehen sehr präsenten und populären Mittagstalks im Privatfernsehen konzentrierten, formulierten vier zentrale Merkmale von Affektfernsehen: Personalisierung, Authentizität, Intimisierung und Emotionalisierung. Weiter erheben Formate des Affektfernsehens den Anspruch, Realität abzubilden, wobei vorwiegend nichtprominenten Menschen Raum gegeben wird, ihre eigene Person oder ihr persönliches Schicksal im authentischen Bericht oder in direkter Selbstdarstellung vor dem Publikum darzulegen.
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Fest steht, und diese Vorgehensweise hat sich trotz zahlreicher Jurywechsel und Modifikationen am Sendekonzept hinsichtlich der Castings oder der Live-Shows nicht geändert, dass das RTL-Casting sehr früh darauf bedacht ist, ein sehr persönliches Bild der potenziellen Musikstars zu vermitteln, was meist in den Recalls erstmals intensiver betrieben wird. In arbeitsrechtliche Erklärungsnöte brachte ein Bericht des „Stern“ 2010 die für «DSDS» verantwortliche Produktionsfirma Grundy Light Entertainment, heute UFA Show&Factual GmbH. Der Beitrag deckte auf, dass allen 120 Kandidaten, die die erste Runde von «Deutschland sucht den Superstar» überstanden, auf 17 Seiten über 130 teilweise sehr intime Fragen vorgelegt wurden, die diese zu beantworten hatten. Darunter: „Warst du in den letzten fünf Jahren wegen einer schweren körperlichen oder psychischen Krankheit in Behandlung? Falls ja, bitte detaillierte Angaben.“, „Hast du schon einmal Nacktfotos machen lassen? Wer hat die Abzüge/Negative? Gibt es ungewöhnliche Videoaufnahmen von dir?“ „Gefällt dir dein Körper? Bitte detaillierte Begründung.“, „Wie lange hat deine letzte Beziehung gedauert, und warum ist sie gescheitert?“
- © RTL / Stefan Gregorowius
Die Jury der neuen Staffel: V.l.: H.P. Baxxter, Shirin David, Michelle und Dieter Bohlen.
Simone Lenzen, die damalige Pressesprecherin von Grundy Light Entertainment, erklärte daraufhin in einem Statement: „Das Konzept «DSDS» ist u.a. deshalb so erfolgreich, weil die Zuschauer und Fans in der Sendung nicht nur die oder den Musiker oder Sänger kennen lernen - sondern in so genannten Einspielern auch den Menschen dahinter. Mit seinen Hobbies, Familie, Freunden und auch Problemen, die zum Alltag dazu gehören. Deshalb interviewen wir die Kandidatin sehr ausführlich zu all diesen Themen.[…]“ Aus musikökonomischer Sicht macht die Vorgehensweise Sinn, schließlich lernen die Zuschauer und späteren potenziellen Käufer oder Konzertgänger die Kandidaten früh kennen, es entsteht im besten Fall eine Bindung zwischen Konsument und Künstler, die später zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit führt.
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Die Schlüsselrolle unserer Emotionen
Doch was verspricht sich UFA Show&Factual von der emotionalisierenden Wirkung von «DSDS»? Gleich mehrere psychologische Theorien geben Hinweise auf die Vorteile des Affektfernsehens gegenüber Formaten mit weniger emotionsinduzierenden Reizen. Als zentrale Bestandteile unserer mentalen Architektur kann sich der Mensch schon rein evolutionsbedingt etwaigen Hinweisreizen aus seiner Umgebung nicht entziehen, da er gelernt hat, diese durch entsprechende Stimuli zu aktivieren und damit auch kognitive und physiologische Prozesse in Gang zu setzen, um möglichst schnell darauf zu reagieren. Nach dem „Sense of Reality“-Konzept von Ortony und Kollegen aus dem Jahr 1988 hängt die Intensität einer Emotion unter anderem davon ab, wie sehr die Person die emotionsinduzierenden Reize und Situationen als real erlebt, weshalb eine höher empfundene Authentizität der Inhalte auch emotionalisierender wirkt.
Die Telepräsenz-Forschung argumentiert weiter, je intensiver die Eindrücke des Mediums sind, umso weniger kognitive Kapazitäten entfällt auf die Verarbeitung nicht-medialer Wahrnehmungen. Der Zuschauer wird nach dadurch regelrecht in das Gesehene hineingezogen. Diesen „Involvement“-Effekt belegten seither zahlreiche emotionspsychologische Untersuchungen, vorwiegend mit Filmen. Betrachtet man den Umstand, dass «DSDS» vor allem bei jugendlichen Zuschauern auf eine hohe Resonanz stößt, denen häufig noch die Fähigkeit zur Reflektion des Gesehenen abgeht, könnte die Wirkung und damit die Bindung des Gesehenen zum Zuschauer noch intensiver sein. In der bereits angesprochenen Arbeit von Bente und Fromm befassen sich die Autoren auch selbst im Rahmen einer Studie mit den Mediennutzungsmotiven des Affektfernsehens. Interessanterweise ergab die Befragung einer repräsentativen Stichprobe aus der Gesamtbevölkerung, dass vor allem Zuschauer, die sehr viel Wert auf Sicherheit, Moral und Anstand legen, Affekt-TV-Sendungen bevorzugen.
Die Autoren interpretieren das Ergebnis so, dass diese Formate auch eine soziale Funktion erfüllen. Jedes Thema darin kann am nächsten Tag zum Gesprächsthema werden. Solche Zuschauer, die in ihrem eigenen Leben in einem eher moralischen Umfeld verkehren, ermöglicht eine Sendung wie «DSDS» somit die Diskussion über im Affektfernsehen dargestellte Tabuthemen, über die Gespräche ohne Medienreiz gar nicht erst zustande gekommen wären, obwohl unbewusst ein Bedürfnis für deren Behandlung besteht. Zwar sind diese Erklärungsansätze keine Fakten, dass die gelernte Vorgehensweise von «DSDS» allerdings die gewünschten Effekte mit sich bringt, zeigte die mittlerweile lange Tradition des Affektfernsehens in aller Welt jedoch deutlich.
Pietro und Sarah Lombardi wurden nicht nur durch ihr Gesangstalent, sondern auch maßgeblich durch das Offenlegen ihres Privatlebens und die öffentlich gelebte Liebe zueinander zu TV-Stars. Durch ihre Zeit bei «DSDS» lernten die beiden Sänger, welche Vorteile diese Aufgabe der Privatsphäre mit sich bringen kann. Folgerichtig begleiteten seitdem offenherzige Beiträge in den sozialen Medien oder verschiedene Doku-Soaps bei RTL II ihr Leben, während die Musikkarriere weitestgehend brachliegt. Dass diese Entscheidung umso schmerzhaftere Folgen haben kann, wenn das private Glück in die Brüche geht, erfahren Pietro und Sarah dieser Tage.
So hat auch ein vom Grimme-Institut veröffentlichtes Statement zur RTL-Show noch heute Gültigkeit. Darin würdigte das Institut Stefan Raabs «SSDSGPS» als Gegenentwurf zu Sendungen wie «DSDS» - „gelackten Megaveranstaltungen, wo mit bigottem Ernst suggeriert wird, echte Superstars zu kreieren, tatsächlich aber synthetische Sangesmarionetten installiert werden, zum schnellstmöglichen kommerziellen Gebrauch, mit Nachhaltigkeitsfaktor Null – es sei denn, sie existieren in einer Witzfigurenfunktion für die Klatschpresse weiter.“
Es gibt 9 Kommentare zum Artikel
05.01.2017 00:26 Uhr 1
05.01.2017 11:17 Uhr 2
Dabei habe ich per se gar nix gegen Casting-Formate, aber wie Blindpliot schon schrieb: bei DSDS ging es nie um Musik und wirklich singen konnten die Sieger anderer Formate schon immer deutlich besser als die von Herrn Bohlen ausgesuchten Leute.
05.01.2017 12:07 Uhr 3
Und, DSDS und Supertalent wird solange kräftig gemolken, bis es wirklich nicht mehr geht und, das kann sich dann noch eine JAHRE :!:
Und, da RTL bekanntlich null Filme zeigen muss an diesen Samstagen, bleibt das Filmarchiv wunderschön gefüllt bis oben hin....
05.01.2017 14:21 Uhr 4
05.01.2017 15:11 Uhr 5
Und trotzdem wird man ständig mit diesem Kram konfrontiert, sei es wenn man die Zeitung aufschlägt, die Internetseite seines Emailproviders aufruft oder sich einfach nur über TV-News und Quoten informieren möchte.
05.01.2017 22:08 Uhr 6
Aber seit Jahren ist doch da die Luft raus für Leute, die das eben nicht zum ersten Mal sehen, oder?
Warum kommt einfach nichts mehr neues nach?
19.01.2017 12:50 Uhr 7
Ich sehe es tatsächlich seit zig Jahren mal wieder richtig....da mir auch kurioserweise diese youtuberin als Jururin sehr gefällt und HP ist garnicht übel.
19.01.2017 12:56 Uhr 8
19.01.2017 13:18 Uhr 9