Single-Camera vs. Multi-Camera
- Single: Eine Kamera kommt zum Einsatz, jede Szene und jeder Blickwinkel wird individuell gefilmt. Szenen werden mehrfach gedreht und zusammengeschnitten. Single-Camera-Comedys sind teuer, haben meist einen filmischen Look, sind flexibler im Setting und können Effekte einfacher einsetzen.
- Multi: Meist vor einem Studiopublikum auf mehreren feststehenden Sets gefilmt. Mehrere Kameras zeichnen die Szenen gleichzeitig auf, so entstehen weniger Unterbrechungen, es entsteht eine Art Theater-Performance. Multi-Camera-Sitcoms sind günstiger zu produzieren, können ein besonderes Tempo entfalten, sind aber unflexibler und traditioneller bezogen auf den komödiantischen Stil und die Settings.
Im vergangenen Jahr überraschte man mit dem Revival «Fuller House», einer traditionellen Multi-Camera-Sitcom vor Studiopublikum. Die Kritiken waren gut – und die Abrufzahlen angeblich überragend, wie unabhängige Marktforschungsinstitute in repräsentativen Umfragen herausgefunden haben wollen. Demnach gehörte «Fuller House» zu den meistgesehenen Serien 2016. Und auch die zweite Multi-Cam-Sitcom – «The Ranch» mit Ashton Kutcher – soll sehr erfolgreich beim Publikum angekommen sein. Für die Thesen der Marktforscher spricht, dass Netflix beide Serien sehr schnell verlängert hat. Von «Fuller House» startete sogar noch vor Weihnachten die zweite Staffel, nur rund neun Monate nach der Premiere – so schnell kam eine Netflix-Serie mit neuen Folgen noch nie auf den Bildschirm zurück. Die jetzt schon bestätigte dritte Season wird 18 Episoden enthalten, statt bisher je 13. «The Ranch» erhält für seine neue Staffel sogar 20 Episoden.
«One Day at a Time»: Klassiker im alten, neuen Gewand
Mit «One Day at a Time» lässt Netflix in diesem Januar nun die dritte traditionelle Multi-Cam-Sitcom aufs Publikum los. Die Serie basiert, ähnlich wie «Fuller House», auf einer klassischen Sitcom, diesmal aus den 70ern und 80ern. Der große Fernsehmacher Norman Lear («All in the Family», «Maude») kreierte das Format damals. Netflix adaptierte die Grundidee einer alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern, die zwischen Job und Familie allerlei Herausforderungen meistern muss. Ein wirklich klassischer Stoff – und als solcher will «One Day at a Time» auch in seiner Version 2017 verstanden werden, mit der Ausnahme, dass nun Lateinamerikaner die Hauptrollen spielen. Die ersten Szenen etablieren gleich alle wichtigen Eckpfeiler der Story: Die aus Kuba stammende Penelope, von einem Kriegsveteranen geschieden, muss ihre feministische Teenager-Tochter Elena und ihren Macho-Sohn Alex großzuziehen. Auch Penelopes Mutter Lydia wohnt in dem chaotischen Frauenhaushalt – und strapaziert mit ihren traditionellen Sichtweisen oft die Geduld ihrer Familie. Nebenan wohnt der nicht mehr ganz so junge, nicht mehr ganz so coole Hipster Schneider, der mit anpackt, wenn die Frauen Hilfe brauchen.
So plakativ und oberflächlich, wie sich diese Beschreibung liest, ist die Serie nicht ganz. Dennoch ist zunächst offensichtlich, dass typisch klischeehafte Rollen in «One Day at a Time» kreiert wurden, die Spannung und Gagpotenzial erzeugen: Feministin gegen Traditionelle, starke Frau gegen schwachen Mann, Teenager gegen Mutter, Mutter gegen Tochter etc. Dieses Rezept ist typisch für Multi-Cam-Sitcoms, und es funktioniert bei «One Day at a Time» vergleichsweise gut. Immerhin besitzen einige der Figuren auch darüber hinaus charakterliche Tiefe: Penelope fühlt sich vom Stress in Familie und Job überwältigt; sie denkt darüber nach, Antidepressiva zu nehmen. Solche stillen Momente gibt es in der Netflix-Serie, meist aber kommt sie laut und simpel daher. Die Gagdichte ist hoch, die Witze sind zumeist einfach gehalten. Meta-Ebene? Dramedy-Ansätze? Ironie? Nicht bei «One Day at a Time».
Diese konsequente Haltung mag man bedauern, wenn man über die manchmal fehlende Progressivität des Multi-Cam-Genres diskutiert. Viele Kritiker in den USA aber loben «One Day at a Time» gerade wegen seiner Traditionalität und Geradlinigkeit in puncto Humor. Diese Rezensionen lesen sich dennoch ein wenig scheinheilig, wenn man bedenkt, dass andere Sitcom-Starts in diesen Monaten gerade deswegen negativ beurteilt wurden: «Kevin Can Wait» zum Beispiel, die neue Serie von «King of Queens»-Star Kevin James. In jedem Fall aber macht «One Day at a Time» – von allen Vergleichen abgesehen – wenig neu, dafür vieles richtig. Die Figuren sind sympathisch, die Witze funktionieren, die kleinen Alltagsgeschichten sind nicht allzu abgedroschen, sondern finden immer einen kontemporären twist. Kurz: Freunde klassischer Multi-Cams dürften nicht enttäuscht werden.
Mit «One Day at a Time» positioniert sich Netflix auf dem Sitcom-Markt noch breiter. Es ist kein Zufall, dass die Serie mit hispanics unter anderem für hispanics als Zielgruppe gemacht ist; so manch spanischer Satz verirrt sich im Drehbuch. Dies ist konsequent, nachdem «Fuller House» wohl eher weiße weibliche Zuschauer und «The Ranch» weiße männliche Zuschauer ansprechen dürfte, zumindest auf ersten Blick. Netflix geht bei der Multi-Cam-Sitcom damit den Weg, den der US-Sender ABC im Bereich Single-Cam gegangen ist, beispielsweise mit seinen diverse comedys «black-ish» und «Fresh Off the Boat».
Cast & Crew «One Day at a Time»
- nach dem Original von White Blake und Allan Mannings
- Darsteller: Justina Machado, Rita Moreno, Stephen Tobolowsky, Todd Grinnell u.a.
- Drehbuch: Gloria Calderon Kellett, Mike Royce
- Ausf. Produzenten: Mike Royce, Gloria Calderon Kellett, Norman Lear u.a.
- Produktion: Act III Productions, Sony TV u.a. für Netflix
- Episoden: 13 in Staffel 1
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