Zur Person
Regisseur, Drehbuchautor und Schaspieler Kenneth Lonergan wurde 1962 in New York City geboren und startete seine Karriere im Filmbusiness im Jahre 1999 mit dem Drehbuch zu «Reine Nervensache». Er spielte kleinere Schauspielrollen in einigen seiner eigenen Filme und wurde für sein Skript zu Martin Scorseses «Gangs of New York» für den Oscar nominiert. Das Drama «Manchester by the Sea» ist Lonergangs dritte Regiearbeit nach «You Can Count on Me» (2000) und «Margaret» (2011).Nein, das denke ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass es riskant gewesen wäre, eine solche Geschichte auf den Schultern einer zu simpel gestrickten Figur aufzubauen. Es geht darum, dass man als Zuschauer Zeit mit einem Filmcharakter verbringen will und dass sie interessant genug ist – man also viel über sie zu erzählen hat. Da ist es eigentlich egal, ob man sie mag oder nicht. Gerade «Manchester by the Sea» bittet nicht darum, dass man Lee Chandler mag.
Und obwohl er zu Beginn zu Beginn im klassischen Sinne nicht sehr nett ist, was macht ihn innerlich zu so einem fast schon spektakulären Charakter?
Ich glaube, dass es etwas Mysteriöses hat, weil wir nicht von Anfang an wissen, was es mit ihm und seinem Schicksal auf sich hat. Sein Verhalten wirkt zunächst verrückt auf uns. Er ist nicht einfach nur verbittert, er ist nicht einfach nur gemein, er ist nicht einfach nur wütend, aber er zeigt Verhaltensweisen solcher Emotionen. Und er versucht, sie zu kontrollieren. Das macht Sinn in dem Zusammenhang, in dem uns der Charakter später noch präsentiert wird. Und auch, wenn man es auf den ersten Blick vielleicht nicht bemerkt, so ändert sich sein Charakter im Laufe des Films. Manchmal sind es nur Nuancen, an denen man das bemerkt. Ich denke nämlich, dass er bei all seiner Komplexität auch ein guter Mensch ist. Leider ist er jemand, der am liebsten überhaupt nicht mit Menschen interagieren will, und sehr in sich zurückgekehrt ist. Aber er will sich Mühe geben, als er zurück nach Hause kehrt um zu tun, worum er von seinem Bruder gebeten wurde. Auch, wenn das für ihn zu Beginn noch eine Tortur ist. Doch er gibt sich Mühe, sich um seinen Neffen zu kümmern, sich an all das zu halten, was ihm aufgetragen wurde und einfach ein „guter Mensch“ zu sein. Das macht ihn zu einer sehr ehrenwerten da selbstlosen Person, die sich sehr davon abkehrt, was ihr persönlich eigentlich gut tun würde. Das alles macht ihn zum einen sehr interessant oder eben spektakulär, es lädt den Zuschauer aber auch dazu ein, Sympathien für ihn aufzubauen.
Was war das Wichtigste am Skript, als Sie den Prozess der Figur beschrieben haben, den die Figur in «Manchester by the Sea» durchlaufen muss?
Ich bin nicht sicher. Ich glaube, es war besonders wichtig, die Entwicklungsschritte der Figur genau zu beleuchten und ihr auf ihrem Weg zu folgen, damit es für den Zuschauer nachvollziehbar bleibt. Die wichtigste Aufgabe an einem Skript ist es nämlich immer, die Personen darin echt erscheinen zu lassen und den Zuschauer glaubend zu machen, dass sie auch im echten Leben existieren könnten. Es ist sehr langweilig, ein Drehbuch zu schreiben, bei dem man sich sonstwas aus den Fingern saugt und noch viel langweiliger, sich so etwas ansehen zu müssen! (lacht)
Casey Affleck spielt Lee Chandler. Können Sie uns etwas über den Castingprozess erzählen? Ich habe gelesen, dass ursprünglich auch Matt Damon in den Film involviert und auch für die Hauptrolle im Gespräch war..?
Matt und John Krosinski erzählten mir damals von ihrer Idee zu dem Film, als sie noch nicht wirklich ausgereift war. Damals sollte Matt noch eine Rolle in dem Film spielen, das ist richtig. Er wollte auch Regie führen, bis er mich mit der Arbeit an «Manchester by the Sea» betraute. Doch dann änderten sich seine Terminpläne und er musste das Projekt verlassen. Also boten wir Casey die Rolle des Lee Chandler an.
Wie war es mit Casey Affleck zu arbeiten? Er ist der Darsteller des Films, er ist in nahezu jeder Szene zu sehen. Ich kann mir vorstellen, dass auch ein gehöriger Druck mitschwingt, da man ja weiß: Wenn er ausfällt oder aus einem anderen Grund das Projekt verlassen sollte, dann hat man gerade bei so einem Film ein ganz schönes Problem…
Ich glaube nicht, dass Casey dadurch Druck verspürt hat. Schauspieler setzen sich eher deshalb unter Druck, weil sie einen guten Job machen wollen. Jemanden wie ihn treibt das an und animiert ihn dazu, sein Bestes zu geben. Das ist bei mir auch so – ich versuche immer, meine Drehbücher so gut wie möglich zu schreiben. Und aus diesem Grund war es toll, mit ihm zu arbeiten. Er ist ein wundervoller Schauspieler und Mensch, wir sind über die Arbeit zu richtigen Freunden geworden. Wir kannten uns vorher schon, aber dieses Projekt hat uns noch mehr zusammengeschweißt.
Würden Sie sich als „netten Regisseur“ bezeichnen? Es gibt Filmemacher, die am Set immer wieder um Wiederholungen bitten und dafür bekannt sind, mit ihren Darstellern nicht zu herzlich umzugehen. Wie ist das bei Ihnen?
Ich bin sehr nett! (lacht) Und wenn eine Szene gut ist und ich damit zufrieden bin, dann ist es auch nicht notwendig, sie zu wiederholen, bloß, weil ich es als Regisseur anordnen könnte. Ich halte nicht viel davon, gemein zu sein, um Menschen so zu ihrer Bestleistung zu animieren. Ich halte eine solche Einstellung für ziemlich dumm. Ich kenne viele Regisseure, bei denen es andersherum läuft und ich will nicht sagen, dass meine Arbeit trotzdem besser ist als ihre. Es ist für mich aber eben einfach nicht notwendig, so zu arbeiten. Ich will doch auch nicht mit unfreundlichen Menschen drehen. Es gibt genug Schauspieler, die große Arschlöcher sind. Es gibt aber genauso viele, die es nicht sind. Also warum sollte ich mit den Arschlöchern zusammen arbeiten?
Und wenn beim Drehen jemand zu Ihnen kommt und sagt, er habe eine Idee, wie man eine Szene noch besser machen könnte, als Sie es sich vorgestellt haben?
Ich würde den Dialog nicht ändern wollen. Ich würde mir den Vorschlag anhören, aber bisher kam es tatsächlich noch nie vor, dass Jemand das wollte. Wenn es um die Art und Weise geht, wie er vorgetragen werden soll, dann bin ich da sehr offen für kleine Änderungen. Wenn ein Schauspieler glaubt, seine Figur besser zu kennen als ich und einen Grund hat, eine Änderung vorzuschlagen, kann da Gutes bei herauskommen.
Der Ort Manchester by the Sea nimmt einen sehr großen Stellenwert im Film ein. Wie wichtig ist der Ort selbst für die Geschichte und die Figur?
Manchester ist ein sehr kleiner Ort in Massachussets und er ist für den Film sehr wichtig. Es gibt eine Reihe von kleinen Orten in dieser Umgebung, die sich alle sehr ähnlich sind. Es ist winzig und hat nur eine sehr übersichtliche Anzahl von Einwohnern. Zunächst spielte Manchester nur eine untergeordnete Rolle, aber je intensiver wir an dem Skript arbeiteten und je detaillierter wir auch direkt in der Stadt über die Historie und die Menschen recherchierten, desto mehr glich sich der Charakter Lee Chandlers – vielleicht unterbewusst – mit der Stadt und ihren Eigenschaften an.
Sie waren da, um zu drehen…
Genau, wir haben den Film direkt vor Ort in Manchester gedreht. Es war eine sehr angenehme, inspirierende Arbeit.
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Großartige Performances und eine gemächliche, feingliedrige Erzählung: «Manchester by the Sea» ist ein Drama mit überraschender Humornote und Figuren, deren berührendes Schicksal lange nachhallt.
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Das Quotenmeter-Fazit zu «Manchester by the Sea»
Nein, ich versuche das zu trennen. Ich setze mich mit meiner Arbeit unabhängig davon auseinander, was andere über sie sagen. Wenn Außenstehende ihn mögen, macht mich das sehr glücklich. Und sollten Casey und Michelle für ihre Arbeit tatsächlich Awards gewinnen, dann bin ich der Erste, der ihnen gratuliert. Sollte vielleicht sogar ich gewinnen, bin ich selbstverständlich ebenfalls sehr dankbar und freue mich darüber. Aber ich habe auch so Gründe genug, um glücklich zu sein. (lacht)
Wie wichtig sind Filmpreise und Auszeichnungen für Sie als Regisseur?
Wissen Sie, solche Dinge sind immer toll, aber im Grunde sind sie einfach nur kleine Extras. Es fühlt sich gut an, man feiert sich und seine Arbeit und andere tun es ebenso. Das ist klasse! Es ist aber auch in gewisser Weise gefährlich, denn das schöne Gefühl eines Awardgewinns kann manche Leute dazu bringen, sich in seiner Arbeit nur noch darauf zu konzentrieren. So sollte es aber nicht sein. Man sollte tolle Dinge wie Preise akzeptieren, wenn man sie bekommt. Aber es sollte nie der Grund sein, ausschließlich dafür zu arbeiten.
Braucht die Filmbranche denn überhaupt Awards?
Nein, ich denke nicht. Aber sie sind nun mal ein Teil der Filmkultur und das ist auch völlig okay. Wenn es keine Preisverleihungen mehr gäbe, gebe es schließlich immer noch Filme. Ohne Filme wiederum gäbe es keine Preisverleihungen. Sie versprühen Glamour und man schaut sie sich vielleicht auch gern an, weil dieses Drama um fünf Nominierte und nur einen Preis ja auch eine gewisse Spannung besitzt. Aber wenn es nach mir ginge, dann bräuchte ich das alles nicht. Mir gefällt der Konkurrenzgedanke einfach nicht. Positiv an derartigen Events ist aber natürlich die damit einhergehende Werbung. Manch einer wird vielleicht nur auf einen Film aufmerksam, weil er gerade einen Preis gewonnen hat – auch wenn man sicher auch andere Gelegenheiten hätte, auf einen Film aufmerksam zu machen. Gleichzeitig denke ich mir auch: Wenn einer einen Preis gewinnt, soll man diesen Film dann mehr genießen, als die anderen? Dieser Gedanke ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, denn der Film, der gewinnt, ist ja nicht automatisch besser als die andere. Aber so funktioniert das Business nunmal.
Trotzdem wünsche ich Ihnen viel Glück dafür!
Vielen Dank! (lacht)
Sie sind nicht bloß Regisseur. Sie haben auch als Schauspieler gearbeitet, sind Drehbuchautor für diesen Film und haben schon Skripts für diverse andere Produktionen geschrieben. Sie kennen die Branche also von vielen Blickwinkeln aus. Können Sie in etwa sagen, welcher Bereich für Sie am interessantesten ist?
Ich glaube, dass mir tatsächlich das Regieführen am besten gefällt, da es die größte Vielfalt beinhaltet. Erst recht dann, wenn man nicht bloß Regie führt, sondern vorher auch das Drehbuch geschrieben hat. Am Set ist man immer derjenige, der als erstes kommt und als letztes geht. Man interagiert viel mit den Schauspielern, man ist in solche Dinge wie die Finanzierung involviert, man erlebt das Filmemachen in all seine Facetten. Ist man dagegen nur für einen Teil verantwortlich, dann ist die Sicht auf den Film automatisch ein wenig beschränkter. Ich bin für jeden einzelnen Part am Film verantwortlich, der zum Gelingen beitragen soll. Im Idealfall ist man auch noch als Produzent dabei.
Quotenmeter.de bedankt sich herzlich für dieses sehr angenehme Gespräch!
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
24.01.2017 12:46 Uhr 1
Bei der letzten Frage ist allerdings ein kleines Fehlerchen passiert, denn der Satz soll sicher "Sie sind nicht bloß Regisseur" heißen statt "Sie sind nicht bloß Schauspieler" ...