Die Kino-Kritiker

«Split»

von

«The Sixth Sense»-Regisseur M. Night Shyamalan meldet sich schon zwei Jahre nach seinem fulminanten Comeback «The Visit» erneut zurück und bleibt mit «Split» dem Horrorgenre treu.

Filmfacts: «Split»

  • Kinostart: 26. Januar 2017
  • Genre: Thriller/Mystery/Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 117 Min.
  • Kamera: Mike Gioulakis
  • Musik: West Dylan Thordson
  • Buch und Regie: M. Night Shyamalan
  • Darsteller: James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Haley Lu Richardson, Betty Buckley, Izzie Coffey, Jessica Sula, Robin Rieger
  • OT: Split (USA 2016)
Der nach wie vor streitbare Regisseur M. Night Shyamalan scheint seine qualitative Durststrecke überwunden zu haben. Nach den indiskutablen Rohrkrepierern «Die Legende von Aang» und «After Earth» meldete er sich vor zwei Jahren mit seinem von Horror-Meister Jason Blum produzierten Found-Footage-Grusler «The Visit» zurück und erntete damit schon weitaus weniger negatives Feedback, als noch mit den Filmen zuvor. Spätestens mit «Split» dürfte der «The Sixth Sense»- und «Signs»-Regisseur nun aber endgültig auch die letzten Skeptiker davon überzeugen, dass seine Rückkehr ins Business eine gute Entscheidung war. Sein Psychothriller (nie zuvor traf diese Genrebeschreibung besser zu als im Falle von «Split»!) über einen Mann, in dessen Gehirn 23 verschiedene Persönlichkeiten schlummern, wirkt auf den ersten Blick noch weitaus abgedrehter als ein Großteil seiner bisherigen Projekte, doch diesmal nimmt sich Shyamalan nur noch in gezielten Momenten die verspielte Freiheit seiner früheren Werke heraus. Mit «Split» präsentiert er seine mit Abstand makaberste, aber auch konsequenteste Regiearbeit und greift wie schon in «The Visit» mehr als einmal auch auf eine gehörige Prise Humor zurück. Eine grenzwertige Entscheidung, denn eigentlich ist das ganze Szenario knallernst. Doch spätestens wenn Shyamalans Film im letzten Drittel endgültig die Hosen herunterlässt, offenbart sich, mit welch diebischer Freude der Regisseur hier wieder einmal unterschiedlichste Genreeinflüsse zu einem großen Ganzen vereint.

Ein Mensch, 23 Persönlichkeiten


Das Leben von drei Mädchen wird zum grauenvollen Alptraum, als sie von einem unheimlichen Mann brutal gekidnappt und verschleppt werden. Der Entführer (James McAvoy) entpuppt sich als gefährlicher Psychotiker mit multipler Persönlichkeitsstörung. 23 verschiedene Wesen lauern im Innern des Wahnsinnigen, bestimmen wechselweise sein Verhalten und sorgen mit Psychoterror für blankes Entsetzen unter den geschockten Teenagern. Während die hilflosen Mädchen verzweifelt nach einer Möglichkeit zur Flucht aus ihrem düsteren Verlies suchen, ringt der schaurige Besessene mit seinen inneren Dämonen – bis eine Grauen erregende Inkarnation des Bösen vollständig Besitz von ihm ergreift, die sich „die Bestie“ nennt…

Man ist von M. Night Shyamalan ja schon einiges an Plottwist-Entscheidungen gewöhnt. Doch obwohl ausgerechnet die Prämisse dazu einladen würde, auch in «Split» wieder diverse erzählerische Haken zu schlagen, bleibt der Psychothriller für Shymalans Verhältnisse lange Zeit über erstaunlich geradlinig. Wenn immer wieder davon die Rede ist, dass in wenigen Tagen etwas freigesetzt wird, das James McAvoys Figur(en) konsequent immer nur als Bestie bezeichnet/bezeichnen, dann hängt dieser Vorausblick auf eventuell bevorstehende Ereignisse hauptsächlich wie ein Damoklesschwert über der ohnehin bedrohlichen Szenerie – darum, ob überhaupt je aufgelöst wird, was es mit diesem Monstrum auf sich hat, geht es zunächst gar nicht. M. Night Shyamalan etabliert so ein Grundszenario von unberechenbaren Ausmaßen. Mit seinen 23 verschiedenen Persönlichkeiten, von denen im Laufe des Films allerdings nur acht tatsächlich ihren Auftritt haben, ist das High-Concept creepy genug, um für allgemeines Unbehagen zu sagen.

Dagegen rückt vieles in den Hintergrund; so etwa der angerissene Background des von «The Witch»-Star Anya Taylor-Joy gespielten Entführungsopfers Casey. Widmet das Skript ihr immerhin einige aussagekräftige Flashbacks, sind ihre beiden Mitgefangenen Claire (Haley Lu Richardson) und Marcia (Jessica Sula) schon schlechter dran – abgesehen davon, dass es den beiden knapp gekleideten Mädels in den Händen ihres Kidnappers ganz schön mulmig ist, erfährt man nichts über die beiden. Muss man allerdings auch nicht.

Schnell kristallisiert sich aus «Split» das Duell zwischen Casey und ihrem Entführer heraus. Anya Taylor-Joy versieht ihre zierliche Figur mit jeder Menge Mut und Gerissenheit, sodass die Auseinandersetzungen zwischen ihr und den unterschiedlichen Persönlichkeiten McAvoys kontinuierlich an Reiz gewinnen. James McAvoy («X-Men: Apocalypse») spielt sich in einer waschechten Tour de Force die Seele aus dem Leib und eckt damit durchaus an. Den geistig gerade einmal neun Jahre alten Hedwig legt der gebürtige Schotte derart spleenig an, dass man sich mitunter dabei ertappt, die ganze Szenerie als Humbug abzutun und McAvoy des Overactings zu bezichtigen. Dann lässt Shyamalan die Atmosphäre aber wieder so schlagartig in die allgegenwärtige Bedrohung kippen, dass man Casey sofort wieder aus der Nähe ihres Peinigers wünscht. Neben dem achtjährigen Hedwig nimmt McAvoys Figur unter anderem die Gestalt einer älteren, den Mädchen eher wohl gesonnenen Dame (Patricia), des extrovertierten Hipster-Künstlers Dennis sowie des zurückhaltenden Kevin an. Sie alle lernen Casey auf ihre Weise kennen. Hat die junge Frau den Einen bereits kennengelernt, muss sie sich dem Anderen wenig später erneut vorstellen.

Zwischen Unsinn und Faszination


Kurzkritik: Eine in sich gespaltene «Split»-Gegenmeinung

M. Night Shyamalan eröffnet seinen Thriller mit der kühl-distanzierten Stimmung seiner Frühwerke «The Sixth Sense», «Signs» und insbesondere «Unbreakable». Der entrückte, aus sicherer Entfernung den Irrsinn McAvoys und die langsam schaltende, zielsichere Reaktion Taylor-Joys beobachtende erste Akt ist ein starker Einstieg, der durch einen wackligen zweiten Akt geschwächt wird. Im Finale versucht Shyamalan, größer, schneller, dynamischer zu inszenieren, ist aber in der Umsetzung so bemüht und gehemmt, dass die immer manischere Handlung lächerlich wird. Und dann kommt eine geniale Schlusspointe, die den nach dem gelungenen Start so tief gefallenen Film auf dem Höhepunkt beendet.


Ist «Split» nun also gut? Darauf gibt es mehr Antworten, als McAvoys Rolle Persönlichkeiten hat. Und sie alle sind gleichermaßen wahr wie forciert zusammengeschustert.
Kurzkritik von Sidney Schering
Dieses Spiel mit Wissen und Halbwissen, gezielter Irreführung und der Andeutung, McAvoys einzelne Persönlichkeiten sogar gegeneinander aufzubringen, bildet den Hauptbestandteil von «Split», der – so kündigt es bereits das Blumhouse-Logo im Vorspann an – alles andere ist, als ein klassischer Horrorfilm. Shyamalan arbeitet konsequent ohne Jumpscares, setzt ausschließlich auf schleichenden Suspense und findet seine Bedrohung in der menschlichen Psyche. Entsprechend zurückhaltend fällt sein Film auf technischer Ebene aus. Abgesehen von einem einprägsamen Vorspann bleibt «Split» visuell und optisch äußerst unauffällig und kann selbst mit den sehr wenigen CGI-Effekten keine Zusatzpunkte machen.

Tatsächlich bleibt auch diese allenfalls solide Aufmachung nebensächlich. Trägt dieser eventuell von einigen vermisste Schnickschnack doch sonst eher dazu bei, vom wichtigsten Faktor abzulenken: der Story. Mit seiner absolut irren Idee streift M. Night Shyamalan immer wieder gezielt das Genre des Fantasyfilms (etwa wenn die das Geschehen wie wir aus der Ferne beobachtende Psychoanalytikerin Dr. Karen Fletcher Theorien äußert, in denen davon berichtet wird, dass sich der Wechsel der Persönlichkeit auch auf die Beschaffenheit des Körpers an sich auswirkt), nur um wenig später nachgewiesene medizinische Fakten einzustreuen. «Split» ist ein Wechselspiel zwischen hanebüchenem Unsinn und der Faszination unerforschter medizinischer Territorien; mehr als einmal lässt Shyamalan in «Split» durchblicken, dass der Reiz vor allem daraus entsteht, dass man nicht weiß, ob so etwas tatsächlich möglich wäre. Die Auflösung, die der Regisseur gen Ende auf die Leinwand bringt, mag für einige Diskussionen sorgen, offenbart seinen Film mit der buchstäblich aller letzten Szene aber auch als absolutes Herzensprojekt, das uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück lässt: Auf der einen Seite hätte es der Unberechenbarkeit von «Split» gut getan, sich einer klassischen Auflösung zu verweigern und dem Zuschauer die Deutung des symbolisch stark aufgeladenen Films zu überlassen. Auf der anderen Seite sorgt ausgerechnet die Schlusspointe dafür, dass man den Film direkt nach dem Abspann von vorn ansehen kann – allerdings aus einem ganz anderen Blickwinkel.

Fazit


Auch wenn sich M. Night Shyamalan mit der ein wenig zu eindeutigen Auflösung selbst den Wind aus den Segeln nimmt, ist sein ebenso überraschender wie kurzweiliger Psychothriller «Split» ein über weite Strecken hochspannendes, gewitztes Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers, das mit einem spektakulär guten James McAvoy und einer nicht weniger ausdrucksstarken Anya Taylor-Joy zwei brillante Kino-Duellanten gefunden hat.

«Split» ist ab dem 26. Januar bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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