Die Pioniere des Autos, unter ihnen Henry Ford, hassten das Pferd. Sie machten es als Transportmittel öffentlich lächerlich, überzogen es mit Spott und Häme, um die neue motorisierte Erfindung als das eindeutig überlegene Fortbewegungsmittel gesellschaftlich zu zementieren. Aus heutiger Sicht wirkt die Offensichtlichkeit in dieser Gegenüberstellung geradezu absurd banal – doch die breite Masse hatte Bedenken gegen das Auto, und nicht nur Kaiser Wilhelm hielt es für „eine vorübergehende Erscheinung“.
Wie damals Henry Ford und seine Mitstreiter über das Pferd sprachen, spricht heute die Führungsebene von Netflix über die gewachsenen Bewegtbildkonsumformen Kino und (lineares) Fernsehen. Die einzige nennenswerte Innovation, die Kinoketten in den letzten drei Jahrzehnten zustande gebracht haben, so Konzernchef Reed Hastings, bestehe darin, dass das Popcorn heute besser schmeckt. Neue Wege gehen nur die neuen Player im Markt, wird mit solchen Sätzen gerne impliziert. Allen voran natürlich: Netflix. Aus dem Kino und dem Fernsehen im Unterhaltungssegment will man das machen, was Henry Ford aus dem Pferd im Straßenverkehr gemacht hat: eine Randerscheinung.
Im Silicon Valley denkt man gerne groß, um nicht zu sagen: größenwahnsinnig. Das macht viele aus diesem Umfeld entstandene Unternehmen erfolgreich und – zumindest für amerikanische Konsumenten – sympathisch. Es fällt von den heutigen Marktzusammensetzungen ausgehend leicht, die großtuerischen Ambitionen eines Netflix als spinnerte Megalomanie abzutun. Pressemitteilungen von Netflix lesen sich, als schriebe die albanische Armee, sie würde morgen die Weltherrschaft an sich reißen, witzelte noch vor einigen Jahren der Chairman von Time Warner.
Doch wenn technische und wirtschaftliche Neuerungen ihre Überlegenheit gegenüber den gewachsenen Strukturen einmal bewiesen und eine kritische Masse erreicht haben, bringt die tiefe Verwurzelung der alten Hasen nach allgemeiner Erfahrung nicht mehr viel: Das Auto hat gewonnen. And it wasn’t even close.
Werden das Kino und das lineare Fernsehen, aufgeteilt nach Sendern, in zwei oder mehr Jahrzehnten archaische Formen des Medienkonsums sein? Schwer vorstellbar. Aber eben nicht auszuschließen. Wer hätte Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf einer vielberittenen New Yorker Straße schon gedacht, dass die Stadt in wenigen Jahrzehnten nahezu pferdefrei sein und der individuelle Personenverkehr mit dieser lächerlichen Gerätschaft namens Automobil organisiert wird? Henry Ford vielleicht.
Auf sein Unternehmen bezogen, hegt Reed Hastings heute möglicherweise ganz ähnliche Gedanken.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
24.03.2017 12:57 Uhr 1
Wenn die Chef's eines Streaminganbieters schon eigentlich fast selbsverliebt sagen, das es irgendwann kein Fernsehen und Kino mehr geben wird, dann ist das schon ganz schön heftig!
Vielleicht sollten Sie sich demnächst nennen: Netflix, der Gotfather der Streamingdienste..