Cast & Crew
Vor der Kamera:Felicitas Woll als Charlotte
Martin Gruber als Marcus
Aleen Kötter als Lara
Niklas Nißl als Basti
Jasmina Al Zihairi als Amal
Hinter der Kamera:
Drehbuch: Anne-Marie Keßel
Regie: Jan Martin Scharf
Kamera: Markus Eckert
Diese Mobbing-Attacken trieben das Mädchen im Alter von 15 Jahren in den Selbstmord. In Zeiten überbordender Internetkriminalität und gelebter Anonymität ein absolut heißes Eisen, das gerne angefasst werden darf, jedoch eben auch einer sensiblen Umsetzung bedarf.
What you see is what you get
Die Geschichte von Schülerin Lara beginnt dann jedoch wie in einem schlechten Film: Auf einer Internet-Seite tauchen Nacktfotos der 16-jährigen auf. Die Kommentare sind wenig freundlich und der Gang in die Schule wird zum Spießrutenlauf. Jeder kennt die Bilder, jeder spricht darüber und anstatt Mitgefühl zu entwickeln, wird Lara als Täterin gebranntmarkt. Zu allem Überfluss medet sich auch noch ein Erpresser, der Geld für das Löschen der Bilder verlangt. Laras Eltern zahlen - doch damit hat das Grauen noch lange kein Ende...
Ja, diese kurze Inhaltsangabe klingt - wie auch der dramatisierte Titel des Film - bereits im Ansatz reißerisch. Und auch das Drehbuch nimmt den Ball nur zu gerne auf und liefert über die gesamte Spielzeit viele plakative und klischeebeladene Sequenzen, die sich aber auch immer wieder mit emotional berührenden Schilderungen von verstörten und in einer Ausnahmesituation verirrten Seelen abwechseln. Hier hält das Drehbuch lange zumindest ein Gleichgewicht und verhindert den inhaltlichen Absturz.
Unschön an der ganzen Sache ist aber der eine oder andere Subtext, den der Film zwar nie konkret aufwirft, aber durch verschiedene Drehbuchentscheidungen unterschwellig befeuert. So werden die Behörden durchweg als wenig hilfreich dargestellt, was die Geschädigten dazu zwingt, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Schildern möchte man hier vermutlich die Ohnmacht der Opfer, die - und in der Realität ist dieser Fall natürlich nicht unwahrscheinlich - mit ihrem Anliegen und dem Wunsch nach schneller Hilfe an der komplexen Bürokratiemaschinerie verzweifeln. Dass es am Ende aber eher wie ein Aufruf zur Selbstjustiz klingt, nimmt das Drehbuch nur zu gerne in Kauf und steuert nicht ausreichend gegen.
Schauspielerisch kann man dem Gezeigten hingegen kaum etwas vorwerfen. Felicitas Woll überzeugt als fiebrig-hektische Mutter, die sich schützend zwischen den Mob und ihr Kind stellt und keinen Stein unumgedreht lässt, Aleen Kötter brilliert gar als gepeinigte Lara. Der Rest des Cast bewegt sich im zufriedenstellenden Bereich ohne Aussetzer. Die Regie von Jan Martin Scharf und die Kamera von Markus Eckert sind lobenswert unaufdringlich und agieren zum Nutzen des Stoffes - im Guten wie im Schlechten.
Somit scheitert «Nackt. Das Netz vergisst nie.» gar nicht am wohlmeinenden und höchst aktuellen Ansatz oder der technischen Umsetzung, sondern schlicht am in letzter Konsequenz nicht gelungenen Spagat zwischen leiser Aufklärung und lauter Meutenbefriedigung. Der reißerischer Titel war in der Summe dann eben leider doch ein Vorwegweiser auf das finale Produkt.
Lassen wir deswegen zum Schluss noch einmal den Pressetext zu Wort kommen: "Sämtliche "Racheporno"-Bilder im Film sind eine Mischung aus Körperdouble und digitaler Nachbearbeitung. Sie zeigen keine echten Menschen." Nun könnte man sagen: Gut so! Doch in Wahrheit möchte man den Produzenten zurufen: Niemand hätte die Bilder im Film gebraucht. Weder das Zeigen noch das Anschauen solcher Darstellungen ist nötig, um das Ausmaß der emotionalen Katastrophe für einen Menschen wie Lara in einer solchen Situation zu erfassen. Hier hätte man produktionsseits ein klares Signal setzen und auf billige Effekthascherei und die obige Erklärung verzichten können. Dem stand jedoch wie so oft der Hang zum Trash im Weg.
Fazit
«Nackt. Das Netz vergisst nie.» möchte den Kuchen essen und dennoch behalten. Man möchte Aufrütteln, aber auch satte Quote generieren. Man möchte Sensibilisieren, vergisst aber die eigene Sensibilität. Man möchte einem brisanten Thema Raum geben, verlässt sich aber nicht auf die damit verbundenen starken Gefühle sondern setzt auf Reizüberflutung. Was bleibt, ist somit ein gut gemeinter, gut gespielter Mix, der in Sachen Subtilität aber noch eine Menge Feinschliff hätte vertragen können.
Sat.1 zeigt «Nackt. Das Netz vergibt nie.» am Dienstag, dem 4. April 2017 um 20.15 Uhr.
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