Die Kino-Kritiker

«Free Fire»

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Ein Actionfilm, in dem mehr gelitten und gewimmert wird als geschossen: Der 70er-Jahre-Schießfilm «Free Fire» ist eine trockenhumorige Genredekonstruktion mit markanten Figuren.

Filmfacts «Free Fire»

  • Regie: Ben Wheatley
  • Produktion: Andy Starke
  • Drehbuch: Amy Jump, Ben Wheatley
  • Darsteller: Brie Larson, Sharlto Copley, Armie Hammer, Cillian Murphy, Jack Reynor, Babou Ceesay, Enzo Cilenti, Sam Riley, Michael Smiley, Noah Taylor
  • Musik: Ben Salisbury, Geoff Barrow
  • Kamera: Laurie Rose
  • Schnitt: Amy Jump, Ben Wheatley
  • Laufzeit: 90 Minuten
  • FSK: ab 16 Jahren
Er mausert sich klammheimlich zu einem Regisseur, dessen Name als Qualitätslabel geachtet wird: Der britische Film- und Fernsehregisseur Ben Wheatley. Einen großen Kassenschlager hat Wheatley noch nicht in seiner Vita stehen, mit der geachteten Horrorfilm-Gewaltstudie «Killer List», der pechschwarzen Komödie «Sightseers» und der retro-futuristischen Gesellschaftskritik «High-Rise» hat er sich jedoch bei Kritikern und Cineasten einen stattlichen Ruf erarbeitet. Wheatleys Arbeiten eint, dass ihnen allen eine große Liebe zu den Wurzeln ihrer jeweiligen filmischen Gattung anzumerken ist, der eigenwillige Regisseur sie aber gleichwohl mit Risikofreude stark abwandelt.

Genau diese Methodik war Wheatley, der auch zwei «Doctor Who»-Folgen inszenierte, wohl noch nie dermaßen intensiv anzumerken, wie in «Free Fire»: Der in den späten Siebzigern angesiedelte Actionfilm ist zu gleichen Teilen eine Verneigung vor dem Actionkrimi jener Zeit und eine humorvolle Dekonstruktion der cineastischen Sparte "Schießfilm". Denn Wheatley und seine Gattin/Ko-Autorin Amy Jump nehmen eine simple, abgedroschene Actionfilm-Grundidee und erschaffen daraus eine 90-minütige Auseinandersetzung zwischen bewaffneten, genervten Menschen. Und dies mit folgendem Clou: Wheatley und Jump lassen Actionfilmlogik bei Seite, und verfolgen ganz pointiert realistische Bedingungen für einen mittels Waffengewalt gelösten Konflikt.

Die Genese dieses 10-Millionen-Dollar-Projeks ereignete sich, nachdem Wheatley im Netz einige Protokolle über Schusswechsel gelesen hatte. „Aus den Transkripten und ballistischen Berichten erfährt man, dass Menschen keineswegs sofort sterben, wenn sie angeschossen werden. Entscheidend ist, ob lebenswichtige Organe getroffen werden oder nicht. Außerdem stellt man fest, dass die meisten Leute nicht besonders gut mit Waffen umgehen können“, so Wheatley. „Ich wollte etwas sehr Realistisches erschaffen, natürlich in den Grenzen des Unterhaltungskinos.“

Und so entstand mit «Free Fire» ein nahezu in Echtzeit erzählter Film, dessen Stoff üblicherweise vielleicht eine zehn bis fünfzehn Minuten lange Sequenz in einem klassischen Actionstreifen einnehmen würde. Aber hier werden Menschen nicht einmal kurz angeschossen und sind somit aus dem Weg geräumt. Stattdessen liegen in «Free Fire» nach wenigen Schüssen alle handelnden Figuren verschreckt, blutend und/oder schmerzverzerrt auf dem staubigen Boden einer leerstehenden Fabrik und robben wütend, fluchend, nach Vergeltung sehnend und Allianzen wechselnd von A nach B.

Im ersten Drittel ist das Geschehen trotz der illustren Riege an Figuren noch leicht zäh: Wheatley und seine Kamerafrau Laurie Rose («A Field in England») versäumen es, zu Beginn des von ihnen geschilderten, außer Kontrolle geratenden Waffenschmuggeldeals ausreichend Übersicht über den Handlungsort zu kreieren. Ein paar zusätzliche Totalaufnahmen und Halbtotale hätten bereits gereicht, um die Fabrikhalle, in der sich alles abspielt, in ihrer Gänze begreiflich zu machen, so dass anschließend die Geografie des Schauplatzes dem Publikum klar ist. Wenn aber Brie Larsons kühne Justine, Sharlto Copleys exzentrischer Vernon, Armie Hammers eleganter und stoischer Vernon, der streitsuchende Stevo (Sam Riley) und Co. angeschossen am Boden liegen oder sich vor den anderen verschanzen, ist es wegen Wheatleys Regieführung zunächst schwierig, hundertprozentig mitzufiebern: Die improvisierten Pläne der Figuren sind teils undurchsichtig, da sich stellenweise die Frage aufdrängt, wo sie überhaupt sind und wen sie von dort aus treffen könnten.

Mit fortschreitender Laufzeit nimmt dessen ungeachtet die Vertrautheit mit der Fabrikhalle zu, so dass das Strategieschmieden der Figuren sehr wohl eine spannende Dynamik entwickelt: Kaum lässt sich abwägen, ob sich jemand völlig überschätzt oder doch eine solide Chance hat, mit seinem Plan vorwärts zu kommen, lässt sich auch mitfiebern. Jedenfalls immer dann, wenn das Gezeigte nicht eher dazu einlädt, in schadenfroher Erwartung zu schmunzeln. Graduell lässt Wheatley diesen gewitzten Realismus in absurdes, trotzdem physikalisch plausibles Chaos übergehen, womit der Regisseur vermeidet, dass sich Monotonie breit macht.

Überhaupt hat es Wheatley, zumindest, nachdem erstmal ein paar Schüsse gefallen sind, raus, aus dem praktisch auf einem einzigen Witz basierenden Grundkonzept einen Film zu schöpfen, der 90 Minuten lang abwechslungsreich bleibt: Die Dialoge der aus verschiedenen Winkeln der Welt stammenden Figuren triefen vor Zeit- und Lokalkolorit, der staubtrockene Verbalschlagabtausch zwischen den Figuren ist kultverdächtig und der gewollt unspektakuläre Umgang mit Feuerwaffen springt herrlich von blutigem Slapstick zu Gangstermovie-Dekonstruktion zu "Kammerspiel-Streitgespräch, bei dem die Widersacher ihre Argumente gelegentlich mit Schüssen untermauern". Dank der stylischen Aufmachung der Figuren und der stimmigen Musikuntermalung nimmt «Free Fire» somit eine spaßige Form an – etwas kompakter könnte dieser ungewöhnliche Actionfilm durchaus sein, trotzdem ist dieser humorvoll realistische Schießfilm für jeden experimentierfreudigen Genrefan eine dringende Kinoempfehlung.

«Free Fire» ist ab dem 6. April 2017 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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