Die Kritiker

«Freistatt»

von

In der Erziehungsanstalt Freistatt herrschen Gewalt, Einschüchterung und sexueller Missbrauch. Das Erste zeigt den preisgekrönten Film am Mittwochabend.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Louis Hofmann als Wolfgang
Alexander Held als Hausvater Brockmann
Stephan Grossmann als Bruder Wilde
Max Riemelt als Bruder Krapp

Hinter der Kamera:
Produktion: Zum Goldenen Lamm, arte, Saarländischer Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Südwestdeutscher Rundfunk
Drehbuch: Nicole Armbruster und Marc Brummund
Regie: Marc Brummund
Kamera: Anne Nikitin
Produzenten: Rüdiger Heinze und Stefan Sporbert
Als sein nichtsnutziger, liebloser Stiefvater sich gegen seine fürsorgende, aber ihrem Gatten unterlege Mutter durchsetzt und den vierzehnjährigen Wolfgang im Sommer 1968 in die Erziehungsanstalt Freistatt abschiebt, ahnt der Junge noch nicht, was ihm blüht: Die dortige Atmosphäre ist die eines brutalen Arbeitslagers, straff geführt mit psychischem Druck und brutaler Gewalt.

Die bekommt er zunächst von seinen Mitinsassen zu spüren: Als einige großgewachsene Ältere einen Jüngeren tyrannisieren, schreitet Wolfgang ein und wird umgehend niedergeschlagen. Ähnliches erfährt er von den Erziehern, die man sich eher als KZ-Aufseher vorstellen muss, als er bei der Zwangsarbeit ein Minimum an tauglicher Kleidung fordert.

Dass er trotz all der Misshandlungen und Demütigungen standhaft bleibt, sich seines Freiheitssinns und seiner Hoffnung nicht berauben lässt, imponiert den anderen Jungen. Doch seine Versuche, die anderen von einer gemeinsamen Auflehnung gegen das schändliche, unterdrückende Erziehungsanstaltssystem zu überzeugen, schlagen immer wieder fehl und haben drastische Konsequenzen. Aus Freistatt kann niemand entfliehen: weder örtlich noch mental.

«Freistatt» ist ein brutaler Film, ein kompromissloser, ein schonungsloser. Er kennt kein Wegsehen. Alles Andere wäre dem Thema unwürdig. Und er nennt die Schuldigen beim Namen: Die masochistischen Heimleiter, die die unterschwelligen Motivationen für ihre Gewaltexzesse aus fehlgeleiteter Sexualität, einer altmodischen Großtuerei oder beruflicher und gesellschaftlicher Frustration ziehen, sind die Rädchen im Getriebe. Ein solches Unrecht wie in Freistatt kann nur geschehen, wenn vermeintlich Rechtschaffende tatenlos zusehen – oder es mit einer brutalen Nonchalance gar goutieren: in diesem Fall die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen, präzise: die in den 60er Jahren in der bundesdeutschen Einöde noch tief verwurzelte Kirche sowie ein kalter und brutaler Beamtenapparat, dessen pädagogische Leitideen von denen des Dritten Reiches nicht immer klar trennbar sind.

Ein solches Thema verdient keine Altweiberrührung: Die Gewalt ist die Gewalt, und als solche zeigen sie Regisseur und Autor Marc Brummund und seine Coautorin Nicole Armbruster in diesem preisgekrönten Film, deren hohe erzählerische Ambitionen ein erstklassiger Cast um Hauptdarsteller Louis Hofmann szenisch hervorragend darzustellen weiß, während man sich narrativ für den äußerst sinnigen Weg entschieden hat, die Hauptfigur nicht unnötig zu idealisieren, sondern sie als einen komplexen Charakter mit Fehlern und Makeln darzustellen.

«Freistatt» ist kein optimistischer Film, seine Atmosphäre ist fürchterlich bedrückend, aufwühlend, sein Inhalt und seine kompromisslose Inszenierung gehen an die Grenze des Zumutbaren. Richtig so: Ambitionierte Filme über Gewalt und Unrecht müssen das, um eine maximale Wirkung zu erreichen. Das ist hier mit erstaunlicher Treffsicherheit gelungen.

Das Erste zeigt «Freistatt» am Mittwoch, den 12. April um 20.15 Uhr.

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