Stab: «Diktator»
- Produktion: Bavaria Entertainment GmbH im Auftrag von ZDFneo
- Produzent: Oliver Fuchs
- Producer: Daniel Boltjes, Vanessa Schmit, Ina Eck
- Kamera: Frank Irlenborn, Bettina Clemens, Britta Close
- Schnitt: Talayot von Cube, Niclas Weber, Tilman Waegner
- Herstellungsleitung: Jonny Eilers
- Produktionsleitung: Evelin Körper
- Produktion ZDFneo: Katrin Lachmann
- Redaktion ZDF: Brigitte Duczek, Natalie Müller-Elmau
- Koordination ZDFneo: Sebastian Flohr
- Länge: 4 x 45 Minuten
Acht Kandidaten, vier junge Männer und vier junge Frauen, alle im Alter zwischen 19 und 31 werden hier auf relativ engem Raum zusammengesperrt und sind der Willkür eines unsichtbaren Diktators ausgeliefert. Dabei sollen verschiedene sozialpsychologische Fragen beantwortet werden: Wie kann dieser Diktator seinen Bürgern seinen Willen aufzwingen?
Wie wirkt sich die Strafe für einzelne Kandidaten und das Lob für andere auf die Gruppendynamik aus? Wieviel Druck und Willkür ist notwendig, damit ein Diktator seine Ziele durchsetzen kann? Dem Gewinner (!?) winkt ein Preisgeld von 5000 Euro und alle haben die Möglichkeit, jederzeit auszusteigen.
Die Kandidaten

Beobachtet werden diese acht jungen Menschen nicht nur vom Zuschauer, sondern auch von den beiden Experten und Sozialpsychologen Dr. Christine Flaßbeck und Dr. Jonas Rees, die jeden noch so banalen Handgriff in seine Einzelteile zerlegen, dreimal umdrehen und für den Zuschauer interpretieren.
TV-Experiment oder Reality-Soap?

Zu Beginn müssen die Kandidaten ihre Koffer vom möglichst ernst dreinschauenden Personal durchsuchen lassen und Uniformen anziehen. Dem Inszenierungsstil nach zu urteilen, handelt es sich bei diesen vermeintlichen Einschnitten in die persönliche Freiheit um das Ende der Welt. Wer aber schon einmal in ein Flugzeug eingestiegen, zu einer Pressevorführung ins Kino gegangen ist oder vielleicht eine Schule mit Uniformpflicht besucht hat, weiß, dass solche Maßnahmen auch gerne einmal in der freien demokratischen Gesellschaft vorkommen und sieht das nicht ganz so dramatisch. Darüber hinaus müssen die Kandidaten im späteren Verlauf auch Arbeiten vollführen: Die Männergruppe backt Kekse, die Frauengruppe bügelt Bettlaken. Die Kekse sollen einheitlich aussehen und die Bettlaken auf eine bestimmte Weise gefaltet sein. Das Schlimme an der ganzen Sache ist, dass die Arbeit monoton ist und der Raum beim Kekse backen heiß wird. Zuschauer, die in ihrem Leben nicht immer den aufregendsten Job der Welt hatten oder zwischendurch ein wenig Zeit im Dienstleistungsgewerbe verbracht haben, werden sich wohl irritiert am Kopf kratzen und sich zu Recht fragen, wo genau das Problem liegt. Aber vielleicht ist der Twist der gesamten Reihe, dass wir uns alle schon längst in einer Diktatur befinden.
Allerdings scheint es vielmehr darauf hinaus zu laufen, dass die Kandidaten einen Lebensstil kennen lernen, mit denen sich weniger privilegierte Menschen auch in einer demokratischen und/oder kapitalistischen Gesellschaft tagtäglich rumschlagen müssen. Schon nach einem Tag dieser Prozedur flüstert einer der Teilnehmer in die Kamera, dass man jetzt endlich zu schätzen weiß, was man einmal hatte. Letztendlich bleibt auch die Umgebung, die Gestaltung des Umfelds, die „Propaganda“, die auf diverse Poster geklatscht wurde, eine schlechte Kopie eines noch schlechteren, dystopischen Young-Adult-Romans. Nichts ist gut durchdacht, interessant oder gar nuanciert und auf offensichtliche Fragen werden noch offensichtlichere Antworten gegeben. Und wenn sich Kandidaten darüber beschweren, dass sie zwei Tage hintereinander das Gleiche essen müssen, schüttelt man eher den Kopf und fühlt sich wie ein alter Mann, der gegen die privilegierte Jugend wettert, die sich hier offensichtlich präsentiert.
Schmalspur-Diktatur ohne interessante Erkenntnisse
Hinzu kommt: In einer Diktatur wird den Bürgern wahrscheinlich in den seltensten Fällen immerzu gesagt, dass sie sich in einer Diktatur befinden, weil das die Menschen meistens von vornherein ziemlich misstrauisch machen würde. Diktatoren nennen sich auch selten selbst Diktatoren. Das perfide an Diktaturen ist schließlich, dass sie sich schleichend in einer Gesellschaft entwickeln, Rechte nach und nach beschnitten und Bürger sowie Gesellschaft mittels falscher Motive, Versprechen von Sicherheit und kämpferischer Parolen getäuscht werden, damit diese wiederum gegen ihre eigenen Interessen wählen. Hier wird der Frosch dagegen ins kochende Wasser geworfen und es ist kein Wunder, dass er sofort wieder heraus springen möchte. Gesellschaft, Gesetze, Freiheiten sind alles Dinge, die sich langsam um einen herum verändern, und nicht von heute auf morgen.
Noch etwas, was Bürger einer Diktatur nicht nach ein paar Tagen bekommen: Ein Preisgeld von 5000 Euro. Noch etwas, was Menschen in einer Diktatur nicht tun dürfen: Die Diktatur verlassen. So stellt sich weniger die Frage, wie sich Menschen innerhalb einer Diktatur verhalten, sondern wieviel Unsinn die Kandidaten bereit sind zu erdulden, damit sie an ein Preisgeld kommen. Schon allein das entlarvt das TV-Experiment als nicht vielmehr als eine komprimierte «Big Brother»-Staffel, nur mit mehr unfreiwilliger Komik und Akademikern, die jede noch so kleine Geste und jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Das sind weder revolutionäre menschliche Verhaltensweisen noch Gebaren, die man nur in einem diktatorischen Staat beobachten kann, auch wenn man das dem Zuschauer so verkaufen möchte. Tatsächlich sind bei solchen Fragestellungen und Gedankenexperimenten die Fiktion, Sachbücher oder Dokumentationen der vermeintlichen Realität in «Diktator» weit voraus. Interessierte Zuschauer wären daher besser beraten, George Orwells «1984», Aldous Huxleys «Schöne Neue Welt», Margaret Atwoods «Der Report der Magd» u.v.m. zu lesen oder eine entsprechende Dokumentation zu schauen. Dort lässt sich nämlich weitaus mehr über das Entstehen und die Funktionsweisen von Diktaturen lernen.
ZDFneo zeigt «Diktator» sonntags, den 23. und 30. April ab 21.45 Uhr jeweils in Doppelfolgen.
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