Zur Medienpsychologie
Die Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der sich in der Forschung mit der Beschreibung, Erklärung und Prognose des Erlebens und Verhaltens, das mit Medien verknüpft ist, beschäftigt. Kern der Medienpsychologie als psychologische Teildisziplin, ist die Untersuchung des Handelns, des Denkens und des Fühlens im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien.Wikipedia
Doch mit Krankheiten und Toden kennt sich das Medical Drama aus. Nicht nur aufgrund der Profession ihrer Protagonisten, sondern auch wegen der scheinbar ungemein niedrigen Sicherheit am Arbeitsplatz, die zu zahlreichen Serientoden der dargestellten Ärzte führen. Nicht umsonst zählten nur noch vier der 16 Darsteller in der vergangenen Staffel zwölf zum Original-Cast aus der ersten Staffel im Frühjahr 2005. Gepaart mit turbulenten Romanzen und viel Herzschmerz führen diese Komponenten zum obligatorischen Tränenverdrücken beim Schauen der Serie. Dass sich darin einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren der Serie findet, erklären populäre Theorien der Medienpsychologie, denen wir uns widmen, um die ungebrochene Beliebtheit von «Grey’s Anatomy» greifbar zu machen.
Tod und Herzschmerz auf Rezept
Auch Serienschöpferin Shonda Rhimes hat sich etwas bei der Konzeption ihrer Serie gedacht: Die ABC-Allzweckwaffe fand einst großen Gefallen an Chirurgie-Dokus am Discovery Channel, wie sie einmal gegenüber Oprah Winfrey verriet. Nicht aber aufgrund der medizinischen Eingriffe, sondern weil darin Doktoren ganz beiläufig während ihrer Operationen offen über ihr Privatleben plauderten. Als ABC auf Rhimes zukam und sich von ihr ein Medical Drama der etwas anderen Art wünschte, entschied sich Rhimes, nicht mit dem Trend des in den USA durchaus beliebten Genres zu gehen: Statt sehr komplexe, aber realistische Fälle wie in «Emergency Room», sollten die Ärzte und ihr Privatleben im Fokus stehen und Zeit erhalten, sich zu entfalten und eine Bindung zum Zuschauer entstehen zu lassen.
Mit vielen facettenreichen weiblichen Charakteren und vorrangig für eine weibliche Zielgruppe konzipiert, durfte außerdem eins nicht fehlen: Reichlich Romantik. Daher liegt man nicht ganz falsch, wenn man «Grey’s Anatomy» als Hochglanz-Soap im Mediziner-Umfeld beschreibt. Schließlich sterben auch in Seifenopern Charaktere überproportional häufig den Serientod – dieser Umgang der Arztserie mit seinen Charakteren entwickelte sich im Laufe der Zeit fast schon zum Markenzeichen von «Grey’s Anatomy». Ja, in diesem Medical Drama wird das Wort Drama zweifelsohne großgeschrieben und dies ist auch beabsichtigt. Die Romanzen und Tode lösen beim Publikum nämlich Gefühle aus, die rein intuitiv dem Sehvergnügen zwar erst einmal abträglich wirken, aber tatsächlich einen großen Anteil am Erfolg häufig sehr trauriger Filme und Serien wie «Grey’s Anatomy» haben sollen.
Das Sad film-Paradoxon, oder: Ein schönes Gefühl, traurig zu sein
Zum Nachschlagen:
- Sad film-Paradoxon: "Exploring the paradox of the enjoyment of sad films" (1993) von Mary Beth Oliver. Erschienen in: Human Communication Research 19(3), S. 315-342
- Attitude Interpretation-Ansatz: "The appeal of tragedy: An attitude interpretation" (1993) von Judson Mills. Erschienen in: Basic and Applied Social Psychology 14(3), S. 255-271
- Terror-Management-Theorie: "The appeal of tragedy: A terror management perspective" (1999) von Goldenberg & Kollegen. Erschienen in: Media Psychology 1, S. 313-329
Doch auch todtraurige Medieninhalte erfüllen nach Ansicht einiger Forscher eine Funktion - auch solche Inhalte, und das ist das entscheidende Merkmal eines „Sad film“, die über kein Happy End verfügen. Mit der Rezeption derartiger Filme oder Serien gehe eine Katharsis einher, „eine wohltuende, homöopathische Reinigung“ von negativen emotionalen Befindlichkeiten, wie es etwa Michael Kunczik beschrieb. Würden diese negativen Emotionen nicht ausgelebt, führte dies zur einer Verschlechterung der Gesundheit. Die Attraktivität resultiert also nach Vertretern dieser Theorie aus dem „reinigenden“ Potenzial negativer Emotionen.
Mary Beth Oliver, die das Sad film-Paradoxon begründete, greift auf eine weitere Erklärung zurück, um die Attraktivität von Taschentuch-Serien wie «Grey’s Anatomy» zu erklären. Für sie geben Meta-Emotionen den Ausschlag, die Gefühle in zwei Ebenen des emotionalen Erlebens unterteilen: Zum einen in direkte Emotionen als Reaktion auf situationsspezifische, emotionale Reize, wie beispielsweise traurige Szenen in «Grey’s Anatomy». Zum anderen in das „Meta-Erleben“, eine unbewusste oder bewusste Bewertung oder Interpretation des gerade erlebten direkten Gefühls. Beide Ebenen sind voneinander unabhängig, deshalb, so die Theorie, können auf der direkten Ebene wahrgenommene (negative) Gefühle von Trauer auf der Meta-Ebene als angenehm erlebt werden – entsprechend dem Gedankengang: „Es ist ein schönes Gefühl, traurig zu sein.“
Mensch, bin ich empathisch! Und sterblich…
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Kulturanthropologen um Goldenberg setzten das Sad film-Paradoxon 1999 in einen weiteren Kontext, als sie die „Terror-Management-Theorie“ formulierten. Die Sichtung trauriger Serien und Filme diene demnach als Strategie zur Vermeidung einer direkten Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit. Serien wie «Grey’s Anatomy», in der sich die Protagonisten häufig mit Toden im direkten Umfeld konfrontiert sehen, erlauben es nach der Theorie, sich stellvertretend und aus sicherer Distanz mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen.
Während Studien zur kathartischen Funktion trauriger Inhalte und der Terror-Management-Theorie bislang keine überzeugenden Befunde hervorbrachten, bestätigten mehrere Studien die Annahme, dass traurige Filme häufiger genutzt oder bevorzugt werden, wenn die dabei erlebten Emotionen wie Trauer oder Mitleid als angenehm empfunden oder positiv beurteilt werden. Die Theorie der Meta-Emotionen wurde also bestätigt, zudem maß Mills einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Einstellung zum Mitgefühl mit Leidenden und der positiven Beurteilung tragischer Filme.
Tatsächlich entstehen bei der Sichtung von Produktionen wie «Grey’s Anatomy» also auch befriedigende Gefühle, die wohl mit der Empathiefähigkeit der Zuschauer zusammenhängen – und wohl auch mit dem Geschlecht. Eine Studie von Oliver aus dem Jahre 2000 zeigte, dass Frauen mehr positive Meta-Emotionen als Männer empfinden und daher traurige Filme insgesamt ansprechender finden. Wenn Männer «Grey’s Anatomy» als Frauenserie bezeichnen, darf der weibliche Teil der Bevölkerung also durchaus stolz sein und auf seine emotional ausgeprägtere Entwicklung verweisen.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
26.04.2017 14:53 Uhr 1
Ich kann beispielsweise mit Chicago Med garnix anfangen....liegt vielleicht auch daran, das ich mich nochmals an völlig neue Figuren gewöhnen müßte, woraus ich keinen Bock habe.