Die Strafe am Restpublikum
Es drängt sich fast schon auf, einen auf ganz fies zu machen und anzumerken: "Also, wenn die Verantwortlichen merken, dass so ein Sami Slimani zwar Werbung machen und von seinem langweiligen Tag schwadronieren, nicht aber mit der Stimme schauspielern kann – dann sollten wir froh sein, wenn er nur eine Winzrolle erhält!" Aber die Kürze allein nimmt solchen verzweifelten Besetzungsideen nicht den Schmerz, den sie verursachen. Wie im Fall von «The Boss Baby». Gegen die Leistung von Rizzo sowie Fischer ist wirklich nichts zu sagen – sie fallen in diesem astrein synchronisierten Film nicht weiter auf. Sally hingegen sticht unsäglich aus dem restlichen Klangbild des Films hervor: Unsaubere Aussprache, hölzerner Sprachrhythmus, keinerlei Gefühl.
Das soll kein Angriff auf sie sein. Schließlich fällt Synchronisation nicht in ihren normalen Aufgabenbereich. Als Food-Vloggerin mag sie Erfolg haben, das sei ihr gegönnt. Eine vielversprechende Synchronkarriere lässt sich ihr aber nicht attestieren – und ein guter Gag ist bei ihrer Besetzung auch nicht rausgekommen. Schließlich spricht sie im Film eine Stewardess. Ja. Eine Stewardess. Wieso besetzt man eine YouTube-Köchin als Stewardess? Wenn schon wer von YouTube her muss, wieso nimmt man für diese zweieinhalb Sätze nicht eine Reisebloggerin? Das hätte wenigstens auf der Metaebene Hand und Fuß. So aber muss sich das Normalpublikum in einem ansonsten vorbildlich, sauber synchronisiertem Film für einige Sekunden durch eine grausige Performance quälen. Weil irgendein nach Geld gierender Anzugträger dachte: "Wenn wir Sally besetzen, macht sie bei ihren Fans umsonst für uns Werbung. Juhu!"
War es das wirklich wert? Lohnt es sich, Filme, die im Idealfall noch Jahrzehnte überdauern und von immer neuen Generationen entdeckt werden, zu opfern, weil sich irgendein Marktanalyst den Gedanken in den Kopf setzte, dass drei Sekunden Bibi Heinicke und LeFloid zusätzliche Kinokarten verkaufen? Ganz davon zu schweigen, dass sich diese These überhaupt noch beweisen muss. Zugegeben: Eine definitive Antwort ist schwer zu finden. Für absolut wasserdichte Beweise bräuchten wir Zutritt zu einem Paralleluniversum, das mit dem unsrigen deckungsgleich ist – vom Umstand abgesehen, dass sich dort Synchronstudios erfolgreich gegen YouTuber wehren …
In Ermangelung dieser Option soll erstmal ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA herhalten. «Alles steht Kopf» etwa ist in beiden Ländern ein beachtlicher Hit – obwohl in den USA keine YouTuber oder sonstige Teenieidole ins Tonstudio geordert wurden. «The Boss Baby» ist in beiden Ländern, YouTube-Ministars hin oder her, ein Überraschungserfolg. Und «Ghost in the Shell» ist in Deutschland trotz LeFloid genauso gefloppt wie in Nordamerika - selbiges gilt für «Muppets Most Wanted», der mit sowie ohne Daniele Rizzo klar unter den Erwartungen lief. «Findet Dorie» derweil lief in den USA, so ganz ohne YouTuber, um ein Vielfaches besser als in Deutschland. «Die Schlümpfe» gleichen dies mit ihrem aktuellen Film aus. Fast könnte man meinen, dass Filme eher aufgrund völlig anderer Kriterien durchschlagen oder bruchlanden und YouTuber zumindest in diesem Sektor keinen nennenswerten Einfluss haben …
Und wie sollen dann die jungen Zielgruppen ins Kino gelockt werden?
Eine klare Frage für ein komplexes Problem, das an dieser Stelle so leicht nicht beantwortet werden kann. Um aber einen Anfang zu machen, kann es nicht schaden, aufzuhören, Filme für immer und ewig durch qualitativ fragwürdiges Synchrocasting zu massakrieren und im Zuge dessen die Fans der YouTube-Promis für dumm zu verkaufen. Das hilft nicht, schadet aber möglicherweise – wieso also diesen Unfug treiben?
Wenn schon die YouTube-Karte gespielt werden muss, hier etwas Feedback, liebe Verantwortlichen: Gebt den YouTubern nicht weiter diese seltsame Sonderbehandlung. Ladet LeFloid ins Synchronstudio für eine kleine Reportage ein, ohne ihm direkt eine Gastrolle zu schenken. Ich habe mit den Synchronstimmen aus «Roots» schließlich auch ohne Synchroncameo in der History-Serie einen Podcast aufgenommen! Fragt Sally, ob sie wegen «The Boss Baby» eine Themenwoche Baby-Food machen will, statt sie zur Vokalschauspielerei zu zwingen. Wenn ihr unbedingt eure Seele und die eures zu bewerbenden Films verkaufen müsst, lasst halt Sami Slimani eine «Cars 3»-Modekolletion entwerfen!
Vor allem aber: Erzieht "Generation YouTube" dazu, den Kinobesuch zu ehren, zu zelebrieren, zu lieben. Dann kommt sie auf langer Sicht sogar ins Lichtspielhaus, ohne dass Bibi es ihnen zwischen zwei Kosmetik-Schleichwerbeaktionen befohlen hat. Es gibt ja mit Gratis-Kinoabenden sogar ein reizvolles Modell, das manche Studios unterstützen! Nutzt solche Wege, statt zynisch die Fans von YouTubern an der Nase herumzuführen und alle anderen Kinovernarrten mit schwachen Sprecherleistungen abzustrafen!
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
16.05.2017 18:29 Uhr 1
Trotzdem, die "echte" Promisynchro wird ärgerlicher. Wer hätte gedacht, dass Boris Becker oder "Supa Richie" noch nicht das Ende waren. Was wird wohl nach den YouTubern kommen? Fußgänger, die vor dem Kino aufgelesen werden und interaktiv vor jeder Vorstellung mal eben ein, zwei Sätze sprechen dürfen? Nein, ich will der Branche jetzt keine Ideen geben, sorry...
16.05.2017 19:04 Uhr 2
Eine Mode-, Food-, Beauty-Vlog-Persönlichkeit hingegen muss ja fast schon ein Naturtalent sein, um da mitzuhalten. Das gilt natürlich auch für schauspielunerfahrene Promis der "alten" Medien (wie mit der Cassandra-Steen-Erwähnung erklärt werden sollte). Und genauso gibt es YouTuber, die Schauspielerfahrung haben (die Y-Titty-Jungs machen ja Comedy, und, huch, genau die sind in der jungen Flut an YouTuber-Synchrobesetzungen die Positivbeispiele).
Neu ist halt das Problem, dass nun nicht nur hin und wieder fachfremdes Personal wegen seiner Bekanntheit ins Studio geholt wird, sondern praktisch durchweg die Fans für dumm gehalten werden: "Hier, drei Sekunden von deinem Star! Geil, 'ne!" Derartige Minibesetzungen gab es vor dem YouTube-Boom nur selten ("Cars" lässt grüßen).
Mit dieser relativ neuen Methode verjagt man im Worst-Case-Scenario auf langer Sicht durch eine Vielzahl an "Vertrauensbrüchen" die Altersgruppe, die man anlocken wollte. Und das musste ich mal loswerden.
17.05.2017 06:58 Uhr 3
Zudem: Mich schreckt ein "Mit der Stimme von Gronkh" Werbespruch eher ab, den Film zu sehen. Auf mich hat ein "prominenter" Youtuber im Synchroncast eher einen negativen Effekt, denn ich weiß, dass sie keine ausgebildeten Schauspieler & Sprecher sind. Für mich steht "Youtube Stimme" eher für minderwertige Qualität. Und genau so geht es vielen anderen Kinofans (u.a. all meine Kinofreunde).