Der piratige Hutmacher oder der glücklose Jack?
Filmfacts «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache»
- Regie: Joachim Rønning, Espen Sandberg
- Produktion: Jerry Bruckheimer
- Drehbuch: Jeff Nathanson
- Story: Jeff Nathanson, Terry Rossio
- Basierend auf: Walt Disneys «Pirates of the Caribbean» und Figuren von Ted Elliott, Terry Rossio, Stuart Beattie, Jay Wolpert
- Darsteller: Johnny Depp, Javier Bardem, Brenton Thwaites, Kaya Scodelario, Kevin McNally, Geoffrey Rush, Golshifteh Farahani, Stephen Graham
- Musik: Geoff Zanelli
- Kamera: Paul Cameron
- Schnitt: Roger Barton, Leigh Folsom Boyd
- Laufzeit: 129 Minuten
- FSK: ab 12 Jahren
Wie sonderbar passend. Denn auch Jack ist nicht mehr der Alte. Er hat sich dermaßen verändert, dass sich zunächst Sorgen aufdrängen, Drehbuchautor Jeff Nathanson («Catch Me If You Can»-Schreiber und Novize in Sachen «Pirates of the Caribbean») wüsste womöglich nicht, wie diese Figur geschrieben werden muss. Oder ist es etwa so, dass Depp tatsächlich verlernt hat, was diese Rolle so einzigartig machte?
Diese Befürchtungen werden jedoch zerschlagen, sobald sich abzeichnet, dass es sich hierbei um eine unerwartete Parallele zwischen Fiktion und Realität handelt: Denn genauso, wie Johnny Depp mit diesem Film beweisen muss, was noch in ihm steckt, so muss ein vollkommen glückloser, träge gewordener Jack beweisen, dass er weiterhin das Zeug dazu hat, der legendäre Käpt'n Jack Sparrow zu sein. Der fünfte Teil der Filmreihe führt nämlich so etwas wie eine «Pirates of the Caribbean»-Tradition fort: Die Erkenntnis, dass sich die Dinge für unsere Helden seit dem vorhergegangenen Film nicht so rosig entwickelt haben, wie das Ende des vorhergegangenen Films glauben ließ.
Dieses Mal stellt sich halt heraus, dass Sparrows zum Schluss des vierten Films geäußerter Lebensoptimismus wohl ungerechtfertigt war: Jahre später finden wir ihn verwirrter denn je, schlaff, entnervt und unmotiviert wieder. Der sein Umfeld verwundernde Käpt'n Jack Sparrow ist nun nur noch ein Schatten seiner selbst – ein derart mickriger Schatten der früheren Piratenikone, dass sogar sein getreuer erster Maat Joshamee Gibbs (seebärig wie immer: Kevin McNally) den Glauben an ihn aufgibt.
Nathanson bringt somit etwas Abwechslung in die Filmreihe: Jacks Handlungsfaden (er wird vom Geisterkapitän Salazar verfolgt, der mit ihm eine Rechnung zu begleichen hat) mag in Grundzügen sehr an «Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik 2» erinnern. Doch da befand sich der unberechenbare Seeräuber all seiner Panik zum Trotz nahezu auf der Höhe seiner Kompetenz und manipulierte sein Umfeld meisterlich, hoffend, so dem glitschigen Davy Jones zu entkommen. Jack Sparrow nun zu sehen, wie er sich behäbig und planlos aus seinem Schlamassel zieht, ändert die Erzähldynamik. Und damit, dass sich der vermeintlich so unveränderliche Pirat wieder zu seinem früheren Ich hocharbeiten muss, verleiht Jeff Nathanson diesem Plot auch eine gewisse Fallhöhe.
Allerdings werden die Sequenzen über den glücklosen Jack etwas in Mitleidenschaft gezogen. Im Großteil der Szenen findet Depp eine überzeugende Stimme sowie einen stimmigen Gestus für diese versackte Version eines Jack Sparrow, der sich fast schon aufgegeben hat. Manche Passagen wirken jedoch leicht daneben, ähneln eher einer ungeübten Sparrow-Imitation, die da durch die sehr aufwändige Kulisse eines britisch kolonisierten Karibikdorfs stakst. Im englischsprachigen Original rutscht der Oscar-Nominierte in wenigen Szenen sogar in einen Sprachduktus ab, der an den Verrückten Hutmacher aus Disneys «Alice im Wunderland»-Realfilmen erinnert – keine wünschenswerte Assoziation.
- © Disney Enterprises, Inc.
Henry Turner (Brenton Thwaites, links) mit Captain Jack Sparrow (Johnny Depp)
Neue Wasserratten an Bord
Die Hutmacher-Ausrutscher werden aber nicht nur dadurch aufgewogen, dass Depp in späteren Passagen konstanter spielt und reizvoll, für Fans sogar auf mitreißende Art, Sparrows schleichende Wandlung aufzeigt. Die Regisseure Joachim Rønning & Espen Sandberg («Kon-Tiki») haben mit Brenton Thwaites und Kaya Scodelario zwei tolle Neuzugänge gefunden, die sie zusammen mit Jack Sparrow auf Reise schicken. «The Signal»-Hauptdarsteller Thwaites trägt überraschend effektiv den Hauptplot auf seinen Schultern: Er spielt Henry Turner, den Sohn des früheren Waffenschmieds Will Turner (Orlando Bloom), der diverse Abenteuer mit Jack Sparrow erlebte und seit vielen Jahren ein Dasein als Kapitän des Geisterschiffes Flying Dutchman fristet. Henry hat sich schon in jungen Jahren geschworen, seinen Vater von dem Fluch zu befreien, der ihn an diese Aufgabe bindet, und kennt dank seiner Nachforschungen die Geschichte der Piraterie sowie jeglichen nautischen Mythos in- und auswendig.
Nachdem er dem nach Rache dürstenden Geisterkapitän Salazar (Javier Bardem) begegnet ist und unehrenhaft aus der Marine entlassen wurde, sucht Henry nach Jack Sparrow, von dem er sich erhofft, dass er sich ihm behilflich erweist. Thwaites füllt Blooms Fußstapfen sehr gut aus: Trainiert, aber schlaksig. Rechtschaffen, aber mit treudoofem Welpenblick, statt strenger Mimik. Henry ist ganz wie sein alter Herr, nur dass er sich von Sparrow weniger herumkommandieren lässt als Will noch im Original-«Fluch der Karibik», und dass Thwaites in Sachen Action weniger gefordert wird. Dafür bringt er die Vater-Sohn-Komponente rührend rüber.
«Maze Runner»-Nebendarstellerin Kaya Scodelario wiederum setzt nach Keira Knightley und Penélope Cruz die Reihe an starken Frauenrollen auf ganz individuelle Weise fort. Ihre Figur der Carina Smyth ist die bislang witzigste Frauenfigur der «Pirates of the Caribbean»-Reihe und entgegnet sogar den brenzligsten Situationen mit großem Stolz – Scodelarios Attitüde und grandioses komödiantisches Timing lassen dabei mit dieser Figur über ihre galgenhumorigen Alleinunterhalterinnenqualitäten lachen, statt etwa über ihre (vermeintliche) Arroganz.
Als altruistische Astronomin, die sich in die Idee verbeißt, den kryptischen Hinweisen im Tagebuch ihres Vaters zu folgen, ist Carina Smyth eine fähige, aber auch zu ihrem eigenen Nachteil arg starrköpfige Figur, die diesem Abenteuer fleißig ihren Stempel aufdrückt – mehr als der im deutschen Untertitel genannte Salazar. Javier Bardem verleiht dem übernatürlichen Fiesling zwar seine markante Mischung aus eindringlicher, strenger Aura und pechschwarzer Vergnüglichkeit, allerdings bekommt der Oscar-Gewinner vom Skript weniger einprägsame Szenen spendiert als sie im ersten Teil noch dem verfluchten Barbossa oder in Teil zwei und drei dem teuflischen Davy Jones vergönnt waren.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel