2017 - Ihre Wahl

Atmen, Leute! Atmen!

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Teile der Bevölkerung sind nach wie vor im Hyperventilier-Modus, hätten sich aber auf anhaltende Krisen eingestellt. Und die Politik? Die muss dringend wieder näher ran ans Volk. Das meint Kultur- und Politik-Moderator Jo Schück, der für ZDFneo bald in einem spannenden Experiment zu sehen ist.

Kurz gefragt Jo Schück

Wissen Sie schon, wen Sie im September wählen? „Nein. Durch die Sendung bin ich mit den Wahlprogrammen der Parteien zwar bestens vertraut. Das macht die Wahlentscheidung aber nicht einfacher. Ich bin klassischer Wechselwähler und mache mein Kreuz manchmal auch strategisch.“

Kam es für Sie jemals infrage, selbst politisch aktiv zu werden? „Nein.
Ich habe viel Jugendarbeit gemacht, war quasi gesellschaftlich aktiv.
Aber als ich mit 16 die ersten journalistischen Erfahrungen gesammelt habe, war schnell klar: objektiver Beobachter sein und gleichzeitig parteipolitisch aktiv…das geht nicht zusammen.“


Was würden Sie tun, wenn Sie einen Tag lang Kanzler wären? „Ein Tag ist wenig. Schwere Frage. Ich könnte jetzt sagen: „Freibier für alle!“ Aber da ich ja auch viel in Sachen Kultur unterwegs bin, sage ich: Verdoppelung des Kultur-Haushalts, und ein großer Schriftzug über dem Humboldt-Forum: „Der Streit ums Kreuz ist doof.“

Was sagen Sie Wählern, die lieber daheim bleiben wollen, weil ihre „eine Stimme eh nichts ausrichtet? „Bei solchen Aussagen verzweifle ich. Solchen Leuten sage ich erstens: Bei uns sind Wahlen die Chance, mitzuentscheiden. Das unterscheidet uns von Dikaturen. Die Chance muss man nutzen. Zweitens: Wer nicht wählen geht, dient radikalen Parteien. Und drittens macht eine solche Aussage auch mathematisch keinen Sinn. Denn Einzelstimmen addieren sich ja. Wenn keiner mehr wählen geht, können wir den Laden auch dicht machen.“
Wie weit sind unsere Politikerinnen, konkret die jeweils aus den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten, heute eigentlich von uns, also vom klassischen Volk, entfernt? Dieser durchaus interessanten Frage widmet sich ein neues ZDFneo-Experiment, das ab Donnerstag um 22.15 Uhr, also auf dem Jan-Böhmermann-Sendeplatz zu sehen sein wird. Der Name ist absichtlich gewählt. In «Volksvertreter» sollen drei kritische Bürger verschiedene Abgeordnete persönlich kennenlernen. Tagsüber liegt der Fokus auf dem persönlichen Kennenlernen, wie dem Einkaufen, im Barber Shop, im Plattenladen. Aber wie verändert das den politischen Diskurs, der beim Abendessen zum Hauptgang wird? Entwickelt sich "Beißhemmung", wenn der linksalternative Utopist vorher mit der CSU-Politikerin im Plattenladen stöbern war?

Abends wird gemeinsam gekocht. Nach dem intensiven Kennenlernen wird abgestimmt. Konnte der Politiker die drei Bürger von sich und seinen Positionen überzeugen? Werden Gräben überwunden oder sogar zugeschüttet - oder beharren Bürger und Politiker stur auf ihrer Einstellung? Dass die Frage nach der vorhandenen Nähe zwischen Politik und Bürgern notwendig ist, davon ist Jo Schück überzeugt. Der ZDF-Mann, den man unter anderem aus «aspekte» kennt, wird «Volksvertreter» moderieren. „Zumindest weite Teile der Bevölkerung nehmen Politiker heute nicht mehr als von ihnen entsandte Macht wahr“, meint Schück. Das gelte sicherlich nicht für alle, dennoch sei es die Aufgabe gerade des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Bürgern politisches Handeln zu erklären. „Es gibt einen starken Wunsch nach mehr Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung“, sagt der 36-Jährige.

Dabei glaubt Schück, dass das Gefühl des Sich-Nicht-Verstanden-Fühlens zwischen Volk und Politiker durchaus eine gegenseitige Sache sei. „Die Aufgabe der Politik ist, klar zu machen, was und wie entschieden wurde. Der Bürger aber hat auch eine eigene Verantwortung.“ Gerade die Arbeiten an der Sendung «Volksvertreter» hatten ihm, sagt Schück, Hoffnung gegeben, dass das politische Interesse in Deutschland wieder größer wird. „Entwicklungen, etwa um autokratische Staatschefs haben viele politisiert“, ist sich Schück sicher.

Dass Politiker generell als abgehoben und volksfern gelten, will er dabei nicht stehen lassen. Es gäbe eben solche und solche. Die, die sich selbstkritisch hinterfragen und dabei auf die Idee kommen, „dass die Kommunikationsstrategie der zurückliegenden Jahre nicht unbedingt immer die beste war“ und die, „die weitestgehend so weiter machen wollen wie bisher.“ «Volksvertreter» befasst sich nun mit einer jüngeren Generation von Politikern. Der Redaktion war schnell klar, keine Politiker anfragen zu wollen, die schon ein hohes Amt bekleiden. „Wir wollten nicht die selben Nasen, die wir alle schon kennen aus Talkshow A oder B. Wir haben Leute bei uns, die eine Dynamik nach oben verspüren.“ Konkret gemeint sind Paul Ziemiak (31), Vorsitzender der Jungen Union, Tim Renner (52), bis 2016 Berliner Kulturstaatssekretär und erst 2009 der SPD beigetreten, und < i>Sevim Dagdelen (41), die im Deutschen Bundestag als Beauftragte für Migration und Integration sowie als Sprecherin für Internationale Beziehungen der Bundestagsfraktion ihrer Partei „Die Linke“ fungiert.

Weitere Kandidaten: Für die CSU Ilke Launert (40), seit vier Jahren im Parteivorstand. Lencke Steiner (31), die als FDP-Direktkandidatin in Bremen antritt und dem TV-Publikum als Investorin in «Die Höhle der Löwen» bekannt ist .< i>Konstantin von Notz (46) gehört seit zwölf Jahren dem Parteivorstand der Grünen in Schleswig-Holstein an. Und auch Markus Frohnmaier (26) nimmt teil. Er gilt als Wortführer der AfD, sitzt im Landesvorstand der Partei in Baden-Württemberg und kandidiert zur Bundestagswahl 2017 für seine Partei. Der 26-Jährige ist Vorsitzender der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternative (JA). Provozieren, Handlungsspielräume erweitern, Normalisieren, das ist Frohnmaiers Masche – und die seiner JA. Den Streit, ob man die AfD an einer solchen Sendung beteiligen dürfe, müsse man nicht mehr führen, meint Moderator Schück.

„Das ist eine Partei, die im September mutmaßlich in den Bundestag kommt. Sie ist offiziell Teil unseres politischen Spektrums. Bei aller Kritik, die es um die Partei gibt, wäre Ausgrenzung der größte Fehler. Offen zu diskutieren, ist total wichtig. Und das haben wir in der AfD-Sendung auch gemacht. Dabei ist unsere Sendung immer ein Experiment und jede Diskussion war anderes. Aber: Man hatte immer einen Erkenntnisgewinn.“

Erkenntnisgewinne wünscht sich Schück übrigens manchmal auch, wenn er politische Debatten im Netz verfolgt. „Ich stelle immer wieder fest, dass viele Menschen, die dort schreiben, vergessen zu atmen. Ich möchte denen wirklich sagen: Atmet! Da werden teils so viele Säue durchs Dorf getrieben, das ist unglaublich.“ Leidenschaftliche Streitereien, sagt Schück, seien ja nichts Schlechtes. Aber bloße Empörung voller Leidenschaft führe eben zu nichts. Dabei meint Schück, dass die Bevölkerung sich inzwischen an eine Art „Krisenmodus“ gewöhnt habe. Die ganz große Aufregung um Flüchtlinge und Griechenland-Milliarden ist mittlerweile verflogen. Die konstruktive Debatte sei wichtiger denn je. Etwa in der neuen neo-Sendung, von der erst einmal sieben Folgen geplant sind. „Ich freue mich auch deshalb auf die Sendung, weil die teilnehmenden Politiker für die Zukunft unseres Parteiensystems stehen“. Und das geht schließlich jeden etwas an.

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