360 Grad

Keine Guilty Pleasures

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«Germany's Next Topmodel», «Der Bachelor» oder die diese Woche gestartete «Bachelorette» werden oft als harmlose Guilty Pleasures abgetan. Unser Kolumnist widerspricht.

Ich bin wahrscheinlich etwas altmodisch. Denn ich gehe davon aus, dass erfolgreiche Produkte der Massenmedien auf gesellschaftlicher Ebene normativen Charakter haben, sprich: dass sie einerseits ein Spiegelbild der Gesellschaft in dem Sinne sind, dass sie zumindest das abbilden, was ihre Macher an sozialen Tendenzen wahrnehmen, und dass sie andererseits gelebte Rollenbilder und erst recht Klischees und Stereotypen in der Gesellschaft weiter verfestigen.

Könnten wir vor diesem Hintergrund also bitte endlich damit aufhören, den «Bachelor» und sein diese Woche gestartetes weibliches Pendant die «Bachelorette» sowie ProSiebens Mädchen-Casting «Germany’s Next Topmodel» als netten banalen Zeitvertreib abzutun? Man braucht es dabei nicht einmal bei der beliebten Argumentationslinie zu belassen, dass diese Formate jungen Frauen ein schlechtes Vorbild sind: nämlich mit ihrer Haltung, dass es ihr primäres Ziel im Leben zu sein hat, wahlweise von irgendwelchen geleckten Typen eine Rose überreicht zu bekommen, selbige zu verteilen, oder ihr Leben auf das infantile Mantra von Heidi Klum auszurichten.

Vielmehr transportieren diese Sendungen eben diese Ebene als gesamtgesellschaftliche Vision: Heidi Klum und ihre Jurykollegen schätzen junge Frauen als Mädchen gering und selektieren sie nach ihrer Attraktivität, wobei sie primär darauf achten, dass diese dem Geschmack einer möglichst breiten Masse entspricht. Es wäre dem Kapitalismus gegenüber ungerecht, ihm die Schuld daran zu geben. Der eklatanteste Widerspruch des Formats ist es immer gewesen, dass es oberflächlich Glamour ausstrahlt, während gleichsam das Flair eines Viehmarkts herrscht.

Das Interessante an diesen Sendungen ist gleichsam, dass sie in ihrer Zuschauerwirkung in beide Richtungen funktionieren: Zum einen etablieren sie die Topmodels oder eine Bachelorette als mehr oder weniger erstrebenswerte Rollen. Gleichzeitig aber bieten sie einem anderen Publikum die Möglichkeit zum intellektuellen Abwärtsvergleich, wenn das obere geistige Drittel sich daran ergötzen kann, dass es tatsächlich Leute gibt, deren Lebensinhalt aus nichts anderem zu bestehen scheint als durchgestylten Haarspitzen und haarsträubend kindischen Konflikten, zu denen sie sich von den Machern dieser Sendungen instrumentalisieren lassen. Das ist nicht schön, doch der kokettierend-ironisierende Duktus, in dem diese Sendungen erzählt werden, will ja genau darauf hinaus.

So modern, extravagant und aufwendig diese Formate auch produziert werden mögen: Sie wirken gleichsam wie das Relikt einer längst vergangenen Zeit, wie ein gruseliger Zombie aus den 50er Jahren, der gewisse gesellschaftliche Urtriebe weiterleben lässt und in einem antifeministischen Weltbild Unterwürfigkeit vor den Erwartungen der Masse predigt. Das passt nicht zur Definition eines „Guilty Pleasures“. Das ist eine Zumutung.

Kurz-URL: qmde.de/93831
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