Filmfacts: «Axolotl Overkill»
- Kinostart: 29. Juni 2017
- Genre: Drama/Komödie
- FSK: 12
- Laufzeit: 93 Min.
- Kamera: Manuel Dacosse
- Buch und Regie: Helene Hegemann
- Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Arly Jover, Laura Tonke, Mavie Hörbiger, Julius Feldmeier
- OT: Axolotl Overkill (DE 2017)
Aber vermutlich läuft das einfach so, in der Berliner Kultur- und Literaturszene. Und so wird aus «Axolotl Roadkill» nun ganz selbstverständlich «Axolotl Overkill»; über den Skandal regt sich Niemand mehr auf. Gleichzeitig unterstreicht der Film damit auch direkt auf einer Metaebene das vorherrschende Gefühl, das sich in «Axolotl Overkill» einen Weg von der Leinwand Richtung Publikum bahnt: Hier macht jeder was er will und wann immer man denkt, abgefuckter geht es nicht, zieht die hier als Regisseurin und Drehbuchschreiberin auftretende Helene Hegemann das nächste Ass mit Fuck-You-All-Attitüde aus dem Ärmel. Irgendwie ganz schön ätzend.
Eine Rebellin ohne Rebellion
Mifti (Jasna Fritzi Bauer) ist 16, sieht aus wie 12, verhält sich wie Mitte 30 und lebt seit dem Tod ihrer Mutter mit ihren Halbgeschwistern in einer Berliner WG. Ihr Vater hält Terrorismus für einen zeitgemäßen Karrierezweig und interessiert sich eher für Kunst als für Menschen; zur Schule gehen macht in diesem Setting weniger Sinn als sein Leben zwischen Partys, Drogen, Affären und Küchentischpolemiken zu verbringen. Sie ist wild, traurig, vernünftig und verliebt. Die Erwachsenen, auf die sie trifft, sind dagegen nur eines: verzweifelt. Entweder, weil bald die Welt untergeht, oder weil sie nicht wissen, was sie anziehen sollen. Also muss Mifti selbst erwachsen werden, auf die eine oder andere Weise.
Wir haben es ja verstanden: Berlin ist geil und die, die in Berlin wohnen, sind einfach viel krasser drauf, als überall anders auf der Welt. Wer in den vergangenen Monaten auch nur irgendeinen bemüht hipsteresken Film mit Berlin-Bezug gesehen hat, den wird Vieles in «Axolotl Overkill» kaum noch schocken. Ja, die Hauptfigur ist 16, ja, sie treibt sich ganz selbstverständlich in zwielichtigen Nachtclubs rum, nimmt noch selbstverständlicher Drogen, konsumiert Alkohol, zieht schon mal eine Vergewaltigung in Betracht, um ihr Leben spannender zu machen und wenn all die Klischees abgefrühstückt sind, läuft auch schon mal ohne jeden Zusammenhang ein Pinguin durch die leer stehende Wohnung. Als der Berlinhype 2010 (und damit zu dem Zeitpunkt, als «Axolotl Roadkill» in der Erstauflage erschien) noch in den Kinderschuhen steckte, mögen die angeblich autobiographisch geprägten Ereignisse von Helene Hegemann alias Mifti noch schockierend gewesen sein. Doch in Zeiten, in denen das Berliner Berghain zur reinen Touristenhochburg verkommen ist, geht einem der bemühte Skandal nur noch auf den Geist. Denn nicht nur die Erlebnisse der Sechzehnjährigen erscheinen ohne einen roten Faden oder dramaturgische Entwicklung schlicht und ergreifend beliebig. Es mangelt «Axolotl Overkill» auch an interessanten Figuren. Denn die von Mifti zelebrierte Null-Bock-Haltung hat nichts Rebellisches. Diese Mifti ist einfach nur anstrengend, laut und besitzt keinerlei interessante Facette, mit der man sich länger als fünf Minuten beschäftigen möchte. Charakterentwicklung: Fehlanzeige!
Nun möchte man davon ausgehen, dass es in «Axolotl Overkill» ja genau darum geht – schließlich ist der titelgebende Axolotl ein Schwanzlurch, der das Stadium der Metamorphose nie erreicht und somit sein ganzes Leben Kind bleibt. Subtil geht zwar anders (nicht einmal dem Zuschauer ist das Entdecken der Bedeutung des Filmtitels selbst überlassen – stattdessen wird er einem von Gaststar Oliver Polak haarklein erklärt), aber hinter der Attitüde der Hauptfigur steckt durchaus System. Diese Mifti, die den besagten Lurch im Buch permanent in der Gegend rumträgt, im Film hingegen nur in zwei kurzen Szenen auf ihn trifft, will partout nicht erwachsen werden. Dahinter steckt hier allerdings kein romantischer Peter-Pan-Wunschtraum, sondern der Autorin zufolge der Gedanke an das Auflösen einer Grenze zwischen zwei Generationen, zwischen Alt und Jung, Arm und Reich, männlich und weiblich. «Axolotl Overkill» passt so gesehen also doch (noch) in die heutige Zeit, doch es ist eben einfach überhaupt nichts Besonderes mehr, mit dem Vorschlaghammer eine „Wir sind alle gleich!“-Moralpredigt auf den Zuschauer loszulassen.
Zwar kommen nach wie vor viele kulturelle Werke mit einer solch einfachen, zeitlosen Botschaft daher, doch mit einer Figur, die sich rigoros und ohne Plan B gegen die gesellschaftlichen Standards wehrt, ist es einfach nicht getan. Mifti mag sich selbst für eine Rebellin halten, ist aber keine. Denn Jasna Fritzi Bauers Figur wüsste überhaupt nicht, zu welchem Zweck sie ihre Rebellion überhaupt antreibt – und damit wäre sie aufgeschmissen, sollte sie tatsächlich Erfolg haben.
So guckt sich «Axolotl Overkill» wie eine willkürliche Aneinanderreihung von Einzelszenen, mit deren Hilfe die Protagonistin nichts anderes tut, als ihren Status als unausstehliches Hipster-Girlie zu unterstreichen. Der Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer («Sommerfest») gelingt dieser Tour-de-Force-Ritt dann auch ganz famos; die ohnehin starke Schauspielerin darf in der Rolle der Mifti so richtig die Sau raus lassen. Und gerade weil die Aktrice ihr Talent schon in so vielen anderen, unterschiedlichen Rollen unter Beweis gestellt hat, ist es umso tragischer, dass für emotionale Zwischentöne in «Axolotl Overkill» kein Platz ist. Mifti bahnt sich wie ein Dampfhammer ihren Weg durch Berlin. Abstecher in eine offenbar durchaus vorhandene Gefühlswelt, die vor allem immer dann zum Vorschein kommt, wenn Mifti mit ihrer großen Liebe Alice (Arly Jover) interagiert, bleiben so vage, dass sie kaum dazu beitragen können, das Profil der Hauptfigur zu schärfen. Von den schablonenhaft skizzierten Nebenfiguren ganz zu schweigen. Da hilft es auch nicht, dass sich die Verantwortlichen hinter der Kamera sichtbar Mühe geben, ihrem Projekt einen über alle Maßen modernen Anstrich zu geben. Abgesehen von einigen inszenatorischen Kabinettstückchen wie etwa einer Sequenz, in welcher sich Mifti vorstellt, alle um sie herum wären tot, wird in «Axolotl Overkill» das Standardrepertoire des angesagten deutschen Kunstfilms aufgefahren. Schnelle Schnitte, dröhnende Beats, Wackelkamera und nackte Haut – was mal mutig war, ist jetzt einfach nur noch öde. Da fühlt man sich ja fast wie Mifti.
Fazit
«Axolotl Overkill» zeigt auf, wie schnell ein positiver Trend in Redundanz abdriften kann. Die um Provokation bemühte Tragikomödie ist so sehr auf Hipness kalkuliert, dass sie dabei vergisst, sich um die wirklich wichtigen Dinge zu scheren. Am Ende geht einem der Streifzug einer Möchtegern-Rebellin durch das ach so coole Berlin einfach nur noch auf den Geist.
«Axolotl Overkill» ist ab dem 29. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel