Die Kino-Kritiker

«Emoji – Der Film»: Genau das Elend, das alle seit der Ankündigung erwarten

von

Die Antithese zu «The LEGO Movie»: Mit «Emoji – Der Film» kommt eine Animationskomödie heraus, die eine rein kommerziell klingende Idee nimmt und sie mit keinerlei kreativem Leben ausfüllt.

Filmfacts «Emoji – Der Film»

  • Regie: Tony Leondis
  • Produktion: Michelle Raimo Kouyate
  • Drehbuch: Tony Leondis, Eric Siegel, Mike White
  • Musik: Patrick Doyle
  • Schnitt: William J. Caparella
  • Laufzeit: 86 Minuten
  • FSK: ohne Altersbeschränkung
Das größte Glück, das «Emoji – Der Film» hat, ist die Tatsache, dass der popkulturelle Diskurs in den 2010er-Jahren von Superlativen geprägt ist. Viele scheinen sich der digitalen Kommunikation auf bedenkliche Art und Weise anzupassen und nur noch binär zu denken: Alles ist entweder mega-awesome oder der reinste Scheiß. Wenn also nach Christopher Nolans «Dunkirk», den nicht wenige Ecken des Webdiskurses aktuell als den geilsten Film seit Menschengedenken abfeiern, und Universals Franchise-Starter «Die Mumie», dem nicht wenige Schreiberlinge und Video-Reviewer das Filmsein aberkennen, der «Emoji»-Streifen erscheint, so ist der Sony-Animationsfilm nur der nächste Film in einer endlosen Reihe, zu dem bloß extreme Meinungen geduldet werden. Das ist das Problem, wenn Hyperbeln als Stilmitteln überreizt werden: In der sprachlichen Werkzeugkiste bleiben keine schwereren Geschütze übrig, die sich in Fällen wie dieser geist- und gefühlslosen Produktion nutzen lassen.

Nein, entgegen aller digitalen Schadenfreude, die «Emoji – Der Film» jüngst abbekommt, ist er nicht der schlechteste, inkompetenteste und dreisteste Film aller Zeiten. Aber wenn ein einzelner Film aus dem Jahr 2017 einen gewaltigen Schlag vor den Bug verdient hat, dann dieser. Nur fällt das Stimmungsunwetter, mit dem es Tony Leondis' Regiearbeit zu tun bekommt, in der Wetterchronik der Filmdiskussion angesichts des Übermaßes an Shitstürmen nicht weiter auf – die ganzen hochgekochten (und teilweise unverdienten) Tiefschläge gegen «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe», «Baywatch», «The Bye Bye Man» und «Monster Trucks» lassen «Emoji – Der Film» so dastehen, als sei er einfach nur der neue "Hassfilm des Moments".

Dabei ist «Emoji – Der Film» auf eine ganz besondere Weise schlecht. Er ist so absonderlich missraten, dass in der deutschen Synchronfassung selbst der wie eh und je extrem engagiert vor sich hin ulkende Christoph Maria Herbst (als High-Five-Emoji) das Gesamtniveau nicht heben kann. Und dabei hat Herbst bereits den aus einer ähnlich eiskalt kalkulierten Geschäftsidee entstandenen «Angry Birds»-Film gerettet. «Emoji – Der Film» ist so lieblos und flach, dass er im Alleingang den Gutwillen zerstört, den sich abseitige Filmkonzepte durch «The LEGO Movie» erarbeitet haben. Und er ist trotz eines Chartstürmer-Sampler-Soundtracks und vielen bunten Farben so uninteressant, dass die Kinder, die zur Kölner Pressevorführung eingeladen wurden und so die Kernzielgruppe repräsentiert haben, passiv in ihren Sesseln verkümmerten. Zumindest, bis die Protagonisten des Films eine YouTube-App öffneten, und sich ein Katzenvideo anschauten – da hallte ein erfreutes: "Oh! YouTube!" durch den Saal …

Der Film nimmt sich nicht raus, zu sagen, man sollte darüber nachdenken, wie man heutzutage kommuniziert. Es geht einfach um eine Figur, die viele verschiedene Persönlichkeiten hat und mit dieser Besonderheit aneckt.
Tim Oliver Schultz zu «Emoji - Der Film»
Entgegen aller Fehltritte ist der visuell seiner aus anderen großen Studios entstammenden Computeranimationskonkurrenz um zehn Jahre hinterherrennende «Emoji»-Film nicht etwa ein cineastischer Verkehrsunfall, der so spektakulär ist, dass man ihn sehen muss, um zu glauben, dass es ihn gibt. Er ist nicht so planlos, dass er dazu einlädt, ihn aus morbider Neugier abzuchecken. Wenn «The Room» einer Massenkarambolage bei einem Formel-eins-Rennen gleicht, dann ist «Emoji – Der Film» das Feststellen, dass in 13 Sekunden das Benzin komplett alle ist – und das während einer Autobahnfahrt unter klarem Nachthimmel auf einer wenig befahrenen Strecke. Das ist lästig, unangenehm und läuft auf unnötig verprasstes Geld hinaus, reicht aber nie im Leben für eine spannende "Ich habe sowas überstanden!"-Anekdote.

Dass das alles nicht sein müsste, zeigen «Alles steht Kopf», «The LEGO Movie» und «Ralph reicht's», drei wesentlich stärkere Animationsfilme, bei denen sich die Drehbuchautoren Eric Siegel, Tony Leondis und Mike White großzügig bedienen, ohne je auch nur einen Hauch der Gewitztheit, erzählerischen Passion und emotionalen Tiefe der Vorlagen in ihren Flickenteppich rüber zu retten. Das Autoren-Trio entführt sein Publikum nicht in die geheime Welt des Verstands eines jungen Mädchens oder innerhalb der Schaltkreise eines Arcade-Videospielautomaten, sondern in das Innenleben eines Smartphones.

Innerhalb einer Messaging-App befindet sich die verborgene Stadt Textopolis, in der sämtliche Emojis leben und durchweg das verkörpern, was sie ausdrücken sollen: Das Teufelchen-Emoji ist dauernd gemein, das Flamenco-Tänzerin-Emoji tanzt den lieben, langen Tag Flamenco und das Grinse-Emoji grinst stets. Gene (bemüht: Tim Oliver Schulz) wiederum ist ein "Meh"-Emoji und wartet auf seinen ersten Einsatz im "Würfel" – also in der Emoji-Vorauswahl des Smartphone-Besitzers Alex. Da Gene aber im Gegensatz zu seinen Eltern nicht die schiere Gleichgültigkeit in Person ist, sondern mehrere Emotionen an den Tag legen kann, ist man in Textopolis nervös, ihn einzusetzen.

Diese üble Vorausahnung stellt sich als korrekt heraus: Kaum befindet sich Gene im Würfel, sucht ihn Alex heraus. Gene verhaut seinen Einsatz, zeigt ein reines Gefühlschaos und versaut somit Alex' Nachricht an seinen heimlichen Schwarm. Nun wollen die Oberältesten unter den Emojis Gene löschen, woraufhin er sich mit dem unbeliebten High-FIve-Emoji auf die Flucht in andere Apps begibt. Das reinste Chaos bricht aus – und so kommt es, dass Alex einen Handy-Lösch-Termin bucht. Es drängt sich die Frage auf: Kann Gene sein Leben und das aller anderen Emojis retten?

Heute wacht man auf, der erste Griff geht ans Handy und von Null auf Hundert ist man online. Und das Letzte, was man am Tag macht, ist das Handy ausschalten. Das ist eine ganz schwierige Verschiebung von Aufmerksamkeit und Online-sein. Und dass man an der Bushaltestelle, an der Bahn oder im Flugzeug die ganze Zeit dabei ist, zu checken, was die Anderen tun und ist dabei so wenig bei sich. Für mich widerspricht sich das aber trotzdem nicht mit einem Film über Emojis. Das ist ganz einfach ein lustiges Kommunikationsmittel, mit dem man in Nachrichten viel aussagen kann.
Tim Oliver Schultz zu «Emoji - Der Film»
Wenn Gene und sein sich Hi-5 schreibender Weggefährte ein Hacker-Emoji namens Jailbreak (klingt sträflich desinteressiert: Joyce Ilg) ausfindig machen, bei dem es sich um ein weibliches Emoji voller Geheimnisse handelt, verstärkt sich noch der «The LEGO Movie»-Beigeschmack dieses Plots, den die Autoren allerdings gedankenlos hinklatschen. Anders als etwa in «Ralph reicht's» sind Figurenmotivation und Welt des Films mit Logiklöchern übersät, wodurch sich die dramatische Glaubwürdigkeit des Geschehens gen Null senkt – in einem Film, der abseits seiner gimmickhaften Grundidee sehr wohl längere Szenen aufwendet, in denen man sich um die Filmwelt und ihre Bewohner sorgen soll, ist dies fast schon ein Genickbruch. So verzettelt sich «Emoji – Der Film» ungeheuerlich in seiner undurchdachten Darstellung von Emoji-Freizeit und -Arbeitsleben. Und während Spam-Mails und Messanger-Dienst-Emojis eigene Lebewesen sind, sind Spotify-Songdateien digitale Flüsse und Facebook-Smileys leblose Sticker. Und obwohl der Film klar macht, dass Nachrichten einen User benötigen, der sie verfasst, werden Internettrolls als eigenständige, im Smartphone lebende Wesen gezeichnet.

Mögen manche solcher Beobachtungen nur Haarspalterei sein, so ist die gähnende Eindimensionalität der handelnden Figuren (auch des angeblich vor Gefühlen überquellenden Gene) unentschuldbar. Wenn sich etwa Papa und Mama Meh-Emoji minutenlang im monotonen Tonfall zanken und drohen, ihre Ehe aufzulösen, ist dies ungefähr so berührend und spannend wie das Bestaunen eines stockenden Ladebalkens – da kann Komponist Patrick Doyle noch so sehr im Hintergrund klimpern und der Schauplatz der Szene (ein für die Verhältnisse dieses Films detailreich gerendertes Paris) bemüht romantische Assoziationen wecken. Selbst Winnie Puuhs dauerdeprimierter Freund I-Ah hat deutlich mehr Persönlichkeit als die Emojis in diesem Film – aber wen wundert es? Er ist halt auch nicht das Produkt eines kalkulierten Studio-Schachzuges, das auf einer hippen Welle mitschwimmen will …

Ich glaube, wir sind ständig auf der Suche danach, zu wissen, wer wir sind und wie wir sind. Aber ich hoffe, niemals anzukommen und sagen zu können: Okay, ich glaube, jetzt habe ich’s verstanden. Jetzt weiß ich, wer ich bin. Das ist ein Paradoxon, das wir suchen, aber nie finden. Und so ist es halt auch mit Gene.
Tim Oliver Schultz zu «Emoji - Der Film»
Den Todesstoß bekommt «Emoji – Der Film» letztlich durch seinen Humor versetzt – wären gute Gags doch der Aspekt, der einen in seinen ruhigeren Momenten hohlen Familienanimationsfilm zumindest als hinnehmbare Kinder-Beschäftigungstherapie positionieren könnte. Aber «Emoji – Der Film» ist von (manchen, still-putzigen Hintergrundgags abgesehen) in Sachen Komik nichts weiteres als eine Parade an einfallslosen, über-offensichtlichen Wortwitzen, wie sie selbst Grundschüler kesser schreiben könnten. Nur eine winzige Handvoll der Gags ist um die Ecke gedacht – krepiert dann aber fast durchweg am zähen komödiantischen Timing. Nach der Pointe lässt Regisseur Leondis das Geschehen mehrmals verharren, als wäre «Emoji – Der Film» eine Sitcom, die live vor einem tosenden Publikum vorgeführt wird, so dass die Darsteller nach jedem Witz erstmal auf Ruhe im Saal warten müssen, bevor sie die Handlung weitertragen können.

Dies, eine Vielzahl an tolldreist durchgeführter Produktwerbung und Gag-Wiederholungen sowie Tanzsequenzen dehnen dieses maximal für eine Laufzeit von 70 Minuten geeignete Skript auf fast 90 Minuten – und jeder Augenblick des Leerlaufs erstickt die Chance im Keim, «Emoji – Der Film» wenigstens der Generation "5-Sekunden-Aufmerksamkeitsspanne" schmackhaft zu machen.

Fazit: 📵❗

«Emoji – Der Film» ist ab dem 3. August 2017 in vielen deutschen Kinos zu sehen – in 2D und 3D.

Kurz-URL: qmde.de/94821
Finde ich...
super
schade
86 %
14 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelDas Erste: Mockumentary «Meine Heile Welt» kehrt mit neuen Folgen zurücknächster ArtikelMontag in den USA: NBC und ABC weiterhin gleichauf in der Zielgruppe
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel
Weitere Neuigkeiten

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung