Das Konzept der von den ITV Studios Germany produzierten und ursprünglich aus Großbritannien stammenden Sendung geistert bereits seit einigen Monaten durch die Branche, weil es die Dokusoap um eine reizvolle Spielart bereichert: Menschen werden ein Jahr lang bei der Erfüllung ihres Lebenstraums begleitet, wobei die Show schon am Startpunkt dieses Projekts startet, wo sie ihr Vorhaben erläutern und konkret definieren. Anschließend gehen sie durch die "This Time"-Tür, bevor sie wenige Sekunden später durch die direkt nebenan stehende "Next Year"-Türe zurück ins Studio kommen, sofern sie ihr Vorhaben realisieren konnten. Auf einige Schritte ihres beschwerlichen Wegs wird anschließend in einem Einspieler zurückgeblickt.
Verwirrung um die zwei Türen
Was den Machern und dem Sender wohl nicht ganz klar gewesen ist: das Konzept bietet für einige Zuschauer offensichtlich gehörigen Erklärungsbedarf. Während der Ausstrahlung fragten etwa bei Twitter diverse Nutzer nach, wie sie das Gesehene verstehen können und wie es konkret umgesetzt wurde. Und in der Tat hätte man das Vorgehen auch sendungsintern etwas transparenter darlegen können, denn mit den Produktionsabläufen nicht ganz so vertraute Zuschauer dürften wohl wirklich fragend gen Mattscheibe geblickt haben, als dieselben Menschen im selben Studio unter teilweise denselben Studio-Zuschauern und dem gleich angezogenen Jan Hahn plötzlich ganz anders aussahen, obwohl sie doch nur durch eine Türe gegangen sind.
Die Erklärung ist an sich banal: Schon 2016 trafen sich Hahn und die Kandidaten im selben Studio und leiteten das Projekt ein, Hahns Gang zur anderen Tür ist für den Showeffekt inszeniert - und alles, was ab der Moderation vor dem Öffnen der "Next Year" stattfindet, wurde erst vor wenigen Wochen in Köln aufgezeichnet. Ob man dieses Vorgehen mitsamt partieller Publikumsverwirrung nun als genialen Schachzug bejubeln oder problematisieren möchte, ist sicherlich Auslegungssache. So einen kleinen «Mini Playback Show»-Moment hat dieses Vorgehen der ohnehin bei Fernsehmessen frenetisch umjubelte Format aber zumindest bei einem Teil der Zuschauerschaft hervorgerufen. Und das ist in jedem Fall... besonders.
Schrowange-PR mit Botschaft und viele tolle Leistungen
Besonders ist in jedem Fall auch die Geschichte, die man sich zugunsten des großen PR-Getöses bis ganz zum Ende der Folge aufgehoben hat: Birgit Schrowange verspricht, endlich ihre grauen Haare offen zu präsentieren und auch ihre eigene Show «Extra» mit ganz authentischer Haarpracht zu moderieren. Hinter dem offensichtlichen Kalkül zugunsten großer Medien-Schlagzeilen und des Audience Flows steckt aber auch eine Botschaft, der man nur allzu gerne applaudieren mag: Frauen, schämt euch nicht davor, auch im Alter natürlich zu bleiben. Eine Message, die irgendwie jeder erst einmal gut findet, für die es bei Vielen aber auch wichtiger Vorbilder bedarf, um ihr ernsthaft nachgehen zu können. Dass Schrowange als eine solche Vorreiterin vorangeht, mag man als einigermaßen empathischer Mensch, der um die Schwierigkeiten weiß, die viele Frauen im höheren Alter mit der selbstbewussten Zurschaustellung ihres Körpers schlichtweg haben, kaum kritisieren.
Schade ist nur, dass im Schatten dieser PR-Aktion die vielen weiteren Geschichten der ersten Folge fast ein wenig untergehen - die einer Frau etwa, die binnen eines Jahres lernen möchte, mit einer Prothese zu laufen und ihrem Rollstuhl zu entfliehen. Die des Schülers, der wegen seines Stotterns in der Schule von vielen Lehrern schlechter zensiert wird und endlich stotterfrei zu sprechen lernen möchte. Oder die von Mutter und Sohn, die mindestens 80 Kilo abnehmen möchten, um endlich wieder vernünftig laufen zu können. Das alles sind schöne, kleine Geschichten, die eine hohe Identifikation zwischen Zuschauer und Protagonisten hervorrufen könnten. Doch irgendwo hapert es bei der Vermittlung dessen.
Dramaturgische Problemzonen, ambivalentes Gesamtbild
Auf den ersten Blick verwundert das, immerhin überspannt RTL den Bogen zwar nicht allzu arg, setzt aber an einigen Stellen doch sehr bewusst auf Gefühlsduselei und ein Best-Of der schwülstigen Ballade der jüngeren internationalen Popgeschichte in den Einspielfilmchen. Das Publikum klatscht frenetisch, blickt gerührt in die Kamera und erhebt sich bisweilen gar zu "spontanen" Standing Ovations. Zugleich vermittelt das eher kühle Studio und die weitgehend steife und auf Standardfragen sowie zwar verbalisierte, aber ihm eben nicht in seiner Gestik und Mimik anzumerkenden Moderationsweise von Jan Hahn ein seltsames Empfinden der Distanziertheit, die während des Schauens eigentlich immer nur dann weicht, wenn sich das Gesehene komplett auf die Kandidaten richtet. Wohl auch, weil es hier (zum Glück) ungefilterte Eindrücke, Äußerungen und Reaktionen zu sehen gibt und kein teildressiertes Publikum oder einen Moderator, der nur das Minimum an Empathie zu liefern vermag, um nicht als völlige Fehlbesetzung bezeichnet werden zu müssen. Wer die Neuauflage des «Glücksrads» schon einmal gesehen hat, wird sagen: Immerhin, eine Steigerung - aber eben auf sehr niedrigem Niveau.
Und so hakt es eben letztlich doch noch an zu vielen Stellschrauben, als dass «This Time Next Year» der Superhit zuzutrauen wäre, zu dem das spannende Konzept zumindest Potenzial geboten hätte. Einige Interessenten dürften schon mit der Idee gefremdelt haben, da sie nicht gut genug erklärt wird. Einigen dürfte die audiovisuelle Inszenierung auf den Wecker gegangen sein, da sie mitunter doch simpelstem Dokusoap-Handwerk nach Emotion hascht. Und zugleich fehlt das letzte Bisschen emotionale Wucht, um für einen Heulanfall nach dem nächsten zu sorgen. Dank schöner Geschichten, einer cleveren Schrowange-PR-Aktion und einer alles in allem doch seriösen und angenehmen Aufmachung wäre es ITV aber zu gönnen, hiermit nicht so arg auf die Nase zu fliegen, wie es zuletzt das von RedSeven verantwortete, inhaltlich aber eben auch reichlich misslungene «100-Tage-Experiment» getan hat.
RTL zeigt drei weitere Folgen von «This Time Next Year» an den kommenden drei Montagabenden jeweils um 21:15 Uhr.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel