Doch zunächst einmal zu dem Element, das noch Hoffnungen auf einen großen Knall zur Wiederkehr machte: Ein dreiminütiger Clip, der noch vor dem Intro läuft und sich eben jener großen Langeweile widmet, die im Zuge des Bundestags-Wahlkampfes durch das Land geistert. Als Sinnbild hierfür dienen natürlich die diversen bis hin zur Quasi-Liebkosung reichenden Äußerungen der beiden Kanzlerkandidaten, mit denen sie im «TV-Duell» einander ihre Wertschätzung artikulierten. Das gelangweilte Volk gähnt bei Sichtung dieser Bilder und beginnt, ziellos zu randalieren - einfach nur, um "überhaupt wieder irgendetwas zu fühlen". Vielleicht nicht die inhaltlich innovativste Form der satirischen Aufbereitung dieses provokativen Nicht-Geschehens vor über 16 Millionen Fernsehzuschauern, vielleicht auch schon eine Idee zu spät. Doch verbunden mit einer für ein wöchentliches Format auf einem Loser-Nischensender wie ZDFneo einmal mehr beeindruckenden Produktionsqualität sicher trotzdem ein sehr guter Einstieg, der Erwartungen weckt - bevor diese wieder sukzessive einschlummern sollen.
Denn quasi alles, was danach kommt, kann unter "solider «Neo Magazin Royale»-Durchschnitt" einkategorisiert werden: Der eine oder andere Gag zur Tagesaktualität im Stand-Up, wo natürlich auch die aktuellste Meldung zur AfD-Frontfrau Alice Weidel nicht fehlen darf. Ein kurzer Blick ins neueste Machwerk von Kay One und Pietro Lombardi, das Böhmermann treffend als "die kleine, nuttige Schwester von Despacito" bezeichnet, eine weitere Ausgabe der Rubrik "Alarmstufe Print", ein sensationell schlechter Gag von Martin Schulz, den dieser übrigens für ausreichend wertig befand, um ihn am Dienstag noch einmal im ZDF zur besten Sendezeit zu reproduzieren und sendungsintern zum Anlass genommen wird, "Chroma-Key-Christoph" als neuen Kollegen von "Photoshop-Philipp" zu installieren. Alles nicht wirklich der Rede wert.
Da muss schon Birgit Schrowanges medienwirksame Frisur-Enthüllung im Rahmen von «This Time Next Year» herhalten, um zumindest mit einer Studio-Aktion im Gedächtnis hängen zu bleiben. Sidekick Ralf Kabelka nämlich enthüllt nach etwa einer Viertelstunde, dass er seit Beginn der Sendung eine Perücke trägt, die er anschließend feierlich und mit der gewohnt überemotionalisierten RTL-Instant-Popmusik im Hintergrund vom Kopf reißt, während Böhmermann betont gerührt gen Kamera blickt. Ach jo, und dann kommen auch schon die Beatsteaks, plaudern ein wenig mit dem Moderator und performen anschließend gemeinsam mit Deichkind ihre neue Single "L auf der Stirn". Danach... läuft tatsächlich schon der Abspann, bevor der brüllende Dinosaurier auch die letzten Hoffnungen auf einen späten großen Knall begräbt.
Die Crux der hohen Erwartungen: Wie geht's weiter für Böhmermann?
Wer also auf eine unvergessliche Dreiviertelstunde Böhmermann-Action gehofft hat, muss von diesem relativ lauen Lüftchen enttäuscht sein. Vom Prolog einmal abgesehen hätte diese Episode nämlich auch ohne weiteres irgendwo in der Mitte der vergangenen Staffel laufen können, einzig das Publikum begrüßt seinen Star zu Beginn weitaus frenetischer als gewohnt - lässt anschließend aber ebenfalls spürbar nach. Eine ordentliche Folge abzuliefern, ist nun gewiss keine Schande. Dass überhaupt mehr erwartet wird, ist ja nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet, dass die kreativen Köpfe der bildundtonfabrik immer wieder zeigen, wie grandioses satirisches Fernsehen mit popkultureller Relevanz geht.
Und doch muss man sich allmählich die Frage stellen, wie es weiter geht mit dem «NMR». Über die 14 Folgen der jetzigen Herbststaffel hinaus besteht nämlich kein gültiger Vertrag, die von Böhmermann schon des Öfteren lautstark eingeforderten zusätzlichen Folgen pro Woche sind ebenso ausgeblieben wie eine auch nur in Ansätzen ernstzunehmende Ausstrahlung im Hauptprogramm. Stellt sich also die Frage: Soll er verlängern und den Status Quo in der Nische festigen oder will er mehr? Dass er zumindest an guten Tagen weiterhin in der Lage ist, fantastisches Fernsehen auf die Beine zu stellen, zeigte er ja zuletzt erst zum Staffelfinale mit einer tollen "Letzten Stunde vor den Ferien", auch das Impro-Experiment im Rahmen der letzten «Schulz & Böhmermann»-Ausgabe war fantastisches Fernsehen, doch beide Formate durchleben aktuell in der Breite nicht unbedingt ihre stärkste Phase.
Deshalb schon irgendeinen Abgesang andeuten oder Böhmermann eine latente Unzufriedenheit mit seiner Position im Zweiten andichten zu wollen, wäre wohl ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Die Frage nach dem weiteren Engagement des Satirikers jedoch wird in den kommenden Monaten vermehrt aufkommen und mit gut vier Jahren hat sich die Marke «Neo Magazin» längst etabliert - ein toller Begriff für die Merkels der Politik oder der Kai Pflaumes der Showbranche, aber auch für einen Jan Böhmermann? Man darf so seine Zweifel haben, zumal falls die Stagnation hinsichtlich Ausstrahlungsumfang und Sendeplätze weiter anhält. Andererseits: Um sich für mehr als das anzubieten, muss die inhaltliche Wucht seiner Angebote aber dann vielleicht auch größer ausfallen als an diesem Donnerstagabend, wo nun wahrlich nicht auf eine Alternativlosigkeit der Expansion hingearbeitet wurde.
Das «Neo Magazin Royale» ist von nun an immer donnerstags ab 20:15 Uhr mit einer neuen Folge online abrufbar, auf ZDFneo läuft es gegen 22:20 Uhr und im ZDF-Hauptprogramm freitagnachts immer dann, wenn möglichst viele Menschen schon schlafen.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
15.09.2017 11:48 Uhr 1
Gerad gestern ging mir durch den Kopf "Mensch, mittlerweile gibt es wieder Late-Night-Feeling im deutschen Fernsehen". Denn Harald Schmidt Folgen hatten meist auch nicht mehr zu bieten als redundante Gespräche über Peinlichkeiten von Promi X und Befindlichkeiten von Politiker Y und war trotzdem zu seinen Hochzeiten grandios.
Ob das jedem gefällt, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Ich fands recht schön.