Filmfacts «Amelie rennt»
- Regie: Tobias Wiemann
- Drehbuch: Natja Brunckhorst
- Darsteller: Mia Kasalo, Samuel Girardi, Susanne Bormann, Denis Moschitto, Jasmin Tabatabai, Jerry Hoffmann
- Produktion: Philipp Budweg, Thomas Blieninger, Martin Rattini
- Kamera: Martin Schlecht
- Schnitt: Andreas Radtke
- Musik: Tobias Kuhn, Markus Perner
- Laufzeit: 97 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Die Handlung wird in Gang gesetzt, als die 13-jährige Amelie (Mia Kasalo) mit ihren Freundinnen rumblödelt, als sie gerade ganz ohne elterliche Aufsicht sind. Dabei entfachen sie aus Versehen einen Brand. Als der Qualm in Amelies Lunge gelangt, erleidet die Asthmakranke einen schweren Anfall. Nach einem längeren Klinikaufenthalt ihrer Tochter, beschließen die in Trennung lebenden, sich trotzdem gut verstehenden Eltern Amelies (Susanne Bormann und Denis Moschitto), sie in eine Südtiroler Spezialklinik zu schicken. Dort hat die energiereiche Kratzbürste Amelie allerdings Probleme, sich einzuleben. Ihre Zimmernachbarin ist eine Klette, die Leiterin (Jasmin Tabatabai) viel zu streng, und der einzige nette Betreuer (Jerry Hoffmann) kommt nicht vollauf ehrlich rüber.
Aus dieser Ausgangslage hätten unzählige Andere eine Abwandlung der üblichen Sommercamp- und Internatsgeschichten gemacht. Amelie lernt in der Spezialklinik, wie man sich neue Freunde macht, sieht ein, dass sie ihre Atemübungen machen muss, und vielleicht bekommt die gestrenge Leiterin einen Denkzettel verpasst. Solch eine Geschichte könnte Brunckhorst, Böhrnsen und Wiemann allerdings nicht weniger reizen. Sie lassen ihre Protagonistin ausbüxen und den Bauerssohn Bart (Samuel Girardi) kennenlernen. Der erzählt seiner vorlauten und gewitzten neuen Bekannten, dass auf einem der Südtiroler Gipfel bald eine lokale Tradition abgehalten wird, bei der man über ein Feuer springt und sich etwas wünschen kann. Aller Vernunft zum Trotz will die Asthmakranke die lange Wanderung auf sich nehmen, um ihre Krankheit hinfort zu wünschen – und widerwillig schließt sich Bart ihr an. Irgendwer muss auf die irre Berlinerin ja aufpassen …
Asthmakranke Teenagerin haut aus Klinik ab, wandert mit Bauerssohn Berg hoch. Kann passieren, muss es aber nicht. Brunckhorst und Böhrnsen wandern in ihrem feinfühligen Skript genau dieses Drahtseil entlang – und lassen das absolut mühelos aussehen. Die Kabbeleien zwischen Bart und Amelie wirken echt – weder wird verstaubte Jugendsprache als modern verkauft, noch verrennen sich die Autorinnen in ein erzwungenes Dauerfeuerwerk an frischen Teenie-Vokabeln, was «Amelie rennt» schon in wenigen Monaten altbacken dastehen ließe. Und noch wichtiger: Die Dynamik zwischen den unverhofften Wanderfreunden sitzt einfach.
Amelie und Bart nehmen dieses Abenteuer auf sich, weil sie ungeheuerlich starrsinnig ist, aber tief in ihrem Inneren weiß, dass sie für diese waghalsige Unternehmung einen Begleiter braucht. Und Bart ist ein selbsterklärter "Herdenmanager", der leicht von seinem Alltag gelangweilt ist, einen dezenten Helferkomplex hat und von Amelies Zielstrebigkeit durchaus faszinierend ist. Diese Kombination schweißt das Duo zusammen – aus einer Zweckgemeinschaft wird fließend, in glaubwürdigen Schritten, eine Bekanntschaft und letztlich sogar Freundschaft. Und wie es bei Teenagern halt ist, blicken sie sich gelegentlich mit fragenden Augen an, ob sie vielleicht mehr wollen oder einfach nur die Freude über ihre Sympathie füreinander mit Romantik verwechseln.
Kasalo brilliert in dieser vielschichtigen Rolle einer vollauf sympathischen, dennoch zu ihrem eigenen Unwohl bissigen Teenagerin, die aus dem Geschimpfe nicht heraus kommt, aber selber weiß, dass das nicht gut ankommt. Ihr Wandervorhaben ist zu gleichen Teilen Trotz gegenüber den strengen Erwachsenen, der Versuch einer unkonventionellen Asthmatherapie und Abenteuersehnsucht. Kasalo bringt dies mit Mimik und Gestik rüber und erspart dem Film somit zähe, gestelzte Expositionsmonologe. Konsequenterweise ist dieses etwas andere Roadmovie tonal abwechslungsreich, reihen sich doch sanfthumorige Eskapaden mit Ferien-Abenteuerstimmung und stillen Szenen ab, in der sich die Titelheldin sowie ihre Eltern in kritischer Selbstbetrachtung üben.
Von «Großstadtklein»-Regisseur Tobias Wiemann mit unaufdringlicher Hand inszeniert und einer winzigkleinen Prise Skurrilität gewürzt, entfaltet «Amelie rennt» eine immense Sogkraft, so dass dieser reife, nachdenkliche, dennoch optimistische Familienfilm von Anfang bis Ende unterhält. Hinzu kommen Martin Schlechts beeindruckende Landschaftspanoramen und der nahtlose, diesen reichhaltigen Film in weniger als 100 Minuten verpackende Schnitt von Andreas Radtke. «Amelie rennt» wird es leider trotzdem schwer haben, ein großes Publikum zu erreichen, fehlen dem Film doch die offensichtlichen, knalligen Marketing-Köder, mit denen Familienproduktionen zumeist locken.
Aber es kann ja nicht schaden, mal seine Kinder, Enkel, Neffen, Nichten, jüngeren Geschwister etc. ins Kino zu zerren, statt sich wie sonst von ihnen ins Kino zerren zu lassen. Und auch ohne Kinderbegleitung weiß diese wunderbar erzählte Geschichte zu bezaubern. Also: Wanderschuhe angezogen und ins Lichtspielhaus gestiefelt!
«Amelie rennt» ist ab sofort in ausgewählten Kinos zu sehen.
Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
21.09.2017 09:34 Uhr 1
Eigentlich hieß der ursprünglich "Alpenbrennen", was ja nicht schlecht ist.
Ich halte das für eine ganz üble Nummer von Versuch, von bekannteren Filmen einen Imagetransfer zu vollziehen, also legales Parasitentum.
Jeder kennt Lola rennt...
Jeder kennt Le fabuleux destin d'Amélie Poulain.
Mixer angeschmissen "Amelie rennt"
Amelie..., mit der Wahl dieses Namens, den ja leider eine ganze Generation Kinder gezogen hat, will man einfach nur Cash machen und dazu deren Eltern ins Kino ködern.
Amelie, das ist der 101.Dalmatiner unter den menschl. Vornamen.
Nur, daß ein Hund ein Hund ist und einen individuellen Namen bekommt.
Irgendwann verschwanden die Massen an gepunkteten Kötern....
Menschen müssen aber nun damit rechnen über 80Jahre damit herum zu laufen.
"Recht hast Du", sprach der Kevin(26).
@Sid, danke für das Vorwegnehmen: Das der Film floppen wird, liegt aber nicht am mangelnden Marketingetat. Das liegt am plattgedudelten Setup, das die heutigen Kinder täglich im Fernsehen geboten kriegen. Das können ältere Medienherren aber nicht nachvollziehen.
Und dessen sind sich die Macher bewußt, sonst hätten sie den Namen "Alpenbrennen" gelassen.
Ein viel kernigerer Titel.
22.09.2017 10:09 Uhr 2
Die ganze Produktion allein wegen des Namens ("Alpenbrennen" wäre abseits der falsch zugeordneten Asoziationen auch ein banaler Titel hoch drölf) zu verteufeln ist auch ganz schön kindisch, insbesondere wenn der Inhalt ja anscheinend ganz schmuck gemacht ist und deutsche FIlme ohnehin einen schweren Stand haben, was Produktionsbedingungen angeht.
22.09.2017 16:45 Uhr 3
Daher schrieb ich in meinem Posting ja auch, das besonders die Älteren keinen Zugang haben.
Alpenglühen verbinden doch heutige Jugendliche nur noch mit dem Naturphänomen, sofern sie es schon einmal gesehen haben.
Rentnerrock mit Tanztee und Eintänzer kennen die genau so wenig, wie "die gute Butter".
Die kennen doch Marika Rökk gar nicht mehr, geschweige mußten sie als Kind , Samstagabend bei Oma geparkt, da die Eltern weg waren, den Blauen Bock auf dem einzigen S/W-Fernseher sehen.
Daher soltle die Generation ab Jahrgang X manche Worte auch wieder für normalen Sprachgebrauch freigeben...
Daher sehe ich "Alpenbrennen" als Mix zwischen der Verursachung der Asthmastory und dem Wortspiel "Alpen-b-Rennen" als prickelnder.
22.09.2017 22:27 Uhr 4
Amelie rennt ist personifiziert, rührselig, positiv und eben wesentlich schmissiger. So mein bescheidener Eindruck.